Don Mattia fährt auf dem Schiff „Mare Ionio“ von Mediterranea mit und gehört zu den Betroffenen eines vermutlich staatlichen Spionage-Angriffs. Im Interview spricht er über die Kriminalisierung seiner Arbeit für Migrant*innen, über Versöhnung und die Quelle seiner Kraft.

Mindestens sieben Journalist*innen und Aktivist*innen, die eine Telefonnummer mit italienischer Ländervorwahl hatten, wurden mit der Spähsoftware „Graphite“ der US-israelischen Firma Paragon Solutions ausspioniert. Das wurde Anfang Februar nach Berichten von The Guardian und Haaretz bekannt. Alle bekannten Betroffenen hatten sich zuvor kritisch mit Italiens Migrationspolitik auseinandergesetzt.
Zu ihnen gehören Francesco Cancellato, Chefredakteur von Fanpage.it, sowie Luca Casarini von der Seenotrettungs-NGO Mediterranea Saving Humans. Die Attacke wurde öffentlich, nachdem der Internetkonzern Meta die Opfer informierte. Laut dem unabhängigen Forschungslabor Citizen Lab aus Kanada könnten mindestens 90 Personen in 24 Ländern betroffen sein. Die Infiltration erfolgte demnach über manipulierte WhatsApp-Chats mit infizierten PDF-Dateien.
Die italienische Regierung bestreitet jegliche Verantwortung, obwohl Paragon angibt, an dortige Behörden verkauft zu haben. Premierministerin Giorgia Meloni hat die Nationale Agentur für Cybersicherheit mit der Untersuchung beauftragt, verweigert jedoch weitere Informationen und wollte sich nur in einem Geheimdienst-Kontrollgremium äußern – zum Ärger der Opposition. In Reaktion auf die Berichte entzog Paragon Italien angeblich den Zugriff auf seine Software. Unterdessen fordern Journalist*innen und die EU-Kommission Aufklärung über den Angriff, während Paragon sich als Opfer der Debatte sieht und sich auf einen Rechtsstreit mit WhatsApp vorbereitet.
Auch der katholische Priester Don Mattia, der auf dem Schiff „Mare Ionio“ von Mediterranea mitfährt, erhielt eine Bedrohungsmitteilung von Meta. Seine zeitgleiche Benachrichtigung mit dem in Italien seit Jahrzehnten bekannten linken Aktivisten Luca Casarini deutet darauf hin, dass sie als Teil derselben „Gruppe“ ins Visier genommen worden sein könnten. Im Interview spricht Mattia darüber, was über den Angriff bekannt ist und wie die Seenotretter:innen damit umgehen.
Eine übersehene Benachrichtigung
netzpolitik.org: Wann und wie haben Sie erfahren, dass Sie Ziel eines Spionageangriffs wurden?
Don Mattia: Ich habe das Ende Februar dieses Jahres entdeckt. Zunächst erfuhren wir, dass unsere Genossen von Mediterranea, Luca Casarini und Beppe Caccia, sowie David Yambio, ein Flüchtlingsaktivist in Ligurien, mit dem wir zusammenarbeiten, ins Visier genommen wurden. Luca erhielt bereits am 8. Februar 2024 eine entsprechende Benachrichtigung von Meta. Also überprüfte ich mein eigenes Konto – und stellte fest, dass ich am selben Tag ebenfalls informiert worden war.
netzpolitik.org: Sie wurden also 2024 informiert, haben es aber erst 2025 herausgefunden?
Don Mattia: Genau. Ich hatte die Benachrichtigung vorher nicht gesehen, weil ich es nicht gewohnt bin, mein Hilfe-Center zu überprüfen. Deshalb wusste ich nicht, dass die dort zu finden war.
netzpolitik.org: Haben Sie sich dann Hilfe geholt, um das untersuchen zu lassen?
Don Mattia: Ich war bereits mit Citizen Lab in Kontakt und habe sie dann darüber informiert. Gemeinsam haben wir analysiert, was diese Benachrichtigung bedeutete. Anschließend haben wir bei der Staatsanwaltschaft in Italien einen Antrag gestellt, damit sie eine Untersuchung einleitet – denn wir wussten nicht genau, um welche Spyware es sich handelt. Und auch nicht, wer genau dahintersteckt. Was wir wissen, ist der Kontext, in dem das Ganze passiert: die Kriminalisierung von Solidarität.
netzpolitik.org: Haben Sie eine Idee, warum ausgerechnet Sie überwacht wurden? Gab es vorher Hinweise darauf?
Don Mattia: Nein. Wir haben uns natürlich schon vorher Sorgen wegen Kriminalisierung gemacht, besonders durch einige Zeitungen, die Luca Casarini, Beppe Caccia und meine Arbeit für Migrant:innen kritisiert haben. Außerdem arbeiten wir mit der katholischen Kirche zusammen – vielleicht spielt auch das eine Rolle.
„Wir wissen nicht, welche Regierung genau dahintersteckt“
netzpolitik.org: Ich nehme an, Sie haben eine Vermutung, wer hinter dem Angriff stecken könnte…
Don Mattia: Solche Benachrichtigungen erhält man normalerweise, wenn Spyware-Angriffe mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer Regierung ausgehen. Das wurde uns jedenfalls gesagt. Aber wir wissen nicht, welche genau dahintersteckt – und auch nicht, warum.
netzpolitik.org: Das erinnert mich an den Fall des zivilen Rettungsschiffs „Iuventa“, das 2017 verwanzt wurde. Die Behörden schickten der Crew damals auch verdeckte Ermittler. Seitdem hatte ich den Eindruck, dass alle, die mit der zivilen Flotte arbeiten, regelmäßig ihre Smartphones überprüfen lassen sollten. Welche Empfehlungen haben Sie für Aktivist:innen?
Don Mattia: Natürlich müssen wir wachsam sein, aber vor allem müssen wir weitermachen. Das ist das Wichtigste. Wir müssen immer darauf achten, was wir tun – insbesondere nichts, was gegen uns verwendet werden kann.
netzpolitik.org: Würden Sie die „Mare Ionio“ und Ihre Organisation Mediterranea als eine Bewegung bezeichnen?
Don Mattia: Genau so hat es angefangen. Wir sind eine soziale Bewegung, weil wir Menschen sind, die sich zusammenschließen, um gemeinsam Gerechtigkeit und Brüderlichkeit zu schaffen, um Solidarität mit Leben zu füllen. Wir arbeiten mit vielen anderen Organisationen und Bewegungen zusammen.
netzpolitik.org: Was fordern Sie von der Regierung? Welche politischen und rechtlichen Konsequenzen sollte dieser Fall haben?
Don Mattia: Aus unserer Sicht sollte jeder daran mitwirken, die Wahrheit ans Licht zu bringen und Versöhnung zu ermöglichen. Jemand hat das gegen uns getan – nun muss das Geschehene aufgearbeitet werden. Das war ein schwerwiegender Fall, und wir müssen einen Weg finden, uns mit denen zu versöhnen, die dahinterstecken.
„Beziehungen sind unsere größte Stärke“
netzpolitik.org: Versöhnung setzt voraus, dass es ein Gegenüber gibt – jemanden, der sagt: „Ja, das war ich.“ Aber wenn die Regierung nichts aufklärt, was dann?
Don Mattia: Wir werden weiter nachfragen – nicht nur für uns, sondern für alle, denn das ist kein Einzelfall. Aber es ist ein schwerwiegender Fall. Es gibt noch viele andere offene Wunden, zum Beispiel den Fall von al-Masri. Er ist einer der Bosse der libyschen Mafia, zudem Chef der libyschen Justizpolizei und Leiter des Internierungslagers Mitiga. Letzten Monat wurde er in Italien aufgrund eines internationalen Haftbefehls wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verhaftet – doch dann wurde er wieder freigelassen und mit einem italienischen Regierungsflugzeug zurück nach Libyen gebracht. Das sind die großen Wunden, die geheilt werden müssen.
netzpolitik.org: Wer sind Ihre Verbündeten im Kampf für Versöhnung, gegen Überwachung und Repression?
Don Mattia: Viele Organisationen, viele soziale Bewegungen, viele Volksbewegungen – und auch Menschen innerhalb politischer Institutionen, die sich darum kümmern. Wir wollen mehr Verbündete, weil es uns darum geht, die Gesellschaft zu vereinen, nicht zu spalten. Wir kämpfen gegen Ungerechtigkeit, gegen Systeme, gegen Repression, gegen Autoritarismus – aber wir kämpfen nicht gegen einzelne Personen.
netzpolitik.org: Sie kämpfen also nicht gegen den rechtsradikalen Verkehrsminister Matteo Salvini, der sich der Repression gegen die zivile Seenotrettung verschrieben hat, oder gegen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni?
Don Mattia: Genau. Wir kämpfen nicht gegen Personen. Wir kämpfen nur gegen Ungerechtigkeit, gegen Gewalt. Wir wollen die Gesellschaft vereinen, weil unser eigentlicher Gegner die Repression ist, der Autoritarismus, die Pushbacks, die Ungerechtigkeit, jede Form von Herrschaft. Das sind die Dinge, die wir bekämpfen müssen – aber keine einzelnen Menschen.
netzpolitik.org: Die Überwachung war ein massiver Eingriff in Ihre Privatsphäre. Was gibt Ihnen die Kraft, Ihre Arbeit fortzusetzen, ohne sich davon einschüchtern zu lassen?
Don Mattia: Die Tatsache, dass wir nicht allein sind. Beziehungen sind unsere größte Stärke.
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