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Einigung in Dschidda: So nah am Frieden war die Ukraine noch nie - aber was sagt Putin?



Nach der überraschenden Annäherung zwischen den USA und der Ukraine in Dschidda regt sich Hoffnung, dass Donald Trumps Launenhaftigkeit nun auch dem Westen zugutekommen könnte.

Man kann über die neue US-Administration unter Donald Trump schimpfen, wie man will, aber eines kann sie: überraschen. Dass das Treffen zwischen Amerikanern und Ukrainern im saudi-arabischen Dschidda nicht nur mit einem freundlichen gemeinsamen Abschlussfoto, sondern mit einem Angebot über eine 30-tägige Waffenruhe an Moskau und der Wiederaufnahme der Waffenlieferungen an die Ukraine endete, kam für alle Beobachter überraschend.

Für die Europäer, die sich nach den amerikanischen Verlautbarungen der letzten Wochen schon die Weichen dafür stellen, auf dem europäischen Kontinent ohne amerikanische Unterstützung für Sicherheit zu sorgen. 

Für die Ukrainer, die insbesondere nach dem Rauswurf ihres Präsidenten aus dem Weißen Haus vor knapp zwei Wochen und dem Einstellen der Unterstützung mit Geheimdienstinformationen und Waffen inzwischen davon ausgingen, dass Trump eher auf der Seite Putins als auf der Seite der Ukraine steht.

Besonders überraschend muss das Ergebnis aus Dschidda jedoch für Moskau sein: Im Kreml ließ man in den letzten Wochen im Tagesrhythmus die Korken knallen angesichts der Entfremdung zwischen Europäern und Amerikanern – und der offenen Demütigung von Präsident Wolodymyr Selenskyj.

Plötzlich wächst der Druck auf Putin

Doch nun liegt der Ball plötzlich im Feld von Wladimir Putin, wie es in Dschidda US-Außenminister Marco Rubio ausdrückte. Sollte sich der russische Präsident diesem auf den ersten Blick fairen Angebot verweigern, wären es nicht mehr die Ukrainer, die – aus US-Sicht – wie renitente und nicht zu Kompromissen bereite Störenfriede wirken, sondern die Russen.

Für den Kreml steht in diesem Moment viel auf dem Spiel, denn Trump hat Russland die Tür geöffnet: eine teilweise Rücknahme der Sanktionen, eine Rückkehr in den Kreis der G8, wirtschaftliche Kooperation und Zusammenarbeit in internationalen Fragen. Kurzum: Russland wäre für die USA kein feindliches Land mehr, sondern ein Partner auf Augenhöhe. 

Die russischen Kriegsblogger laufen seit Dienstagabend Sturm gegen das Angebot. Insbesondere die sofortige Wiederaufnahme der militärischen Unterstützung durch die Amerikaner wird dort als unannehmbar gesehen. Sie wollen Krieg führen, bis die Ukraine zerstört oder unterworfen ist.

Aber die "Kriegspartei" ist nicht die einzige Kraft, die im Kreml existiert. Gerade aus der Wirtschaft gibt es nach drei Jahren Konfrontation großes Interesse daran, zumindest die Weichen in Richtung Normalisierung gegenüber dem Westen zu stellen.

Kommt Trumps Unberechenbarkeit uns jetzt zugute?

Angesichts der Lau­nen­haf­tig­keit des amerikanischen Präsidenten muss Putin wissen: Wenn er sich dem Angebot aus Dschidda verweigert, macht er sich Trump zum Gegner, lässt Europäer und Amerikaner und Ukrainer wieder enger zusammenrücken. Auch auf dem restlichen Globus, unter Ländern, die neutral zum Ukrainekrieg stehen, gälte Russland dann als Land, das kein Interesse am Frieden zeigt.

Rational wäre es für Putin also, dieser 30-tägigen Waffenruhe erstmal zuzustimmen, verbunden mit bestimmten Vorbedingungen für die dann anstehenden Verhandlungen. Aber darf man von Putin rationales Verhalten erwarten? Der langjährige Russland-Korrespondent der BBC, Steve Rosenberg, bringt es mit einem Tweet auf den Punkt: "Was macht ein Judoka, wenn der Ball in seinem Feld ist?"

Zumindest ein Hindernis für eine Waffenruhe und die Aufnahme von Verhandlungen scheint momentan beseitigt zu werden: Im Gebiet Kursk, wo die Ukrainer seit August 2024 einige hundert Quadratkilometer besetzt hielten, ist die russische Armee auf dem Vormarsch. Gut möglich, dass dieser recht plötzliche ukrainische Rückzug von russischem Territorium hinter verschlossenen Türen vereinbart wurde, um eine Waffenruhe zu ermöglichen.

Hoffnung ist berechtigt – aber eben nur das

Bislang schweigt Putin, aber in den nächsten Tagen, vielleicht schon heute, wird der US-Sondergesandte Steve Witkoff in Moskau erwartet, um das Angebot offiziell zu unterbreiten. Trump hat angekündigt, noch diese Woche mit Putin telefonieren zu wollen. Der erste Schritt zu Frieden in der Ukraine ist damit – fast – getan.

Im Übrigen weitgehend ohne unsere Beteiligung. Im Abschlusskommuniqué aus Dschidda findet sich lediglich eine Erwähnung, die wir Europäer auch nur den Ukrainern zu verdanken haben: "Die ukrainische Delegation wiederholte, dass die europäischen Partner am Friedensprozess beteiligt werden sollen."

Die Hoffnung nach Dschidda ist berechtigt – aber bis zu einem "fairen und dauerhaften" Frieden, den die Ukrainer wollen, ist es noch ein weiter Weg. Es gibt viele komplexe Fragen: territoriale Fragen, den zukünftigen Status der Ukraine, aus welchen Ländern Friedenstruppen kommen sollen, die einen Waffenstillstand kontrollieren. Die Ukraine, so brutal das klingen mag, hat Trump inzwischen an die Kandare genommen. Das Gelingen der weiteren Verhandlungen hängt nun vor allem davon ab, ob der Judoka im Kreml Interesse an Entspannung mit dem Westen zeigt – oder weiter kämpfen will.

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