In einer eigentlich vorteilhaften Situation sorgt Friedrich Merz dafür, dass sich die Fronten verhärten. Er muss jetzt einen Crashkurs in Lichtgeschwindigkeit durchlaufen.
Die Ausgangslage nach der Bundestagswahl war für Friedrich Merz gar nicht so schlecht. Erstens, weil es anders als befürchtet für eine Regierung nur mit der SPD reicht. Zweitens, weil nicht nur die SPD, sondern auch die Grünen es richtig fanden, dem Staat mehr Möglichkeiten für Schulden zu geben.
Freie Fahrt also für den CDU-Chef um sich schnellstmöglich aus genau den Finanznöten zu befreien, die seinen Vorgänger Olaf Scholz noch die Koalition gekostet hatten.
Man muss keine politikwissenschaftlichen Proseminare belegt haben, um zu erkennen: Es gibt vertracktere Ausgangssituationen. Doch nun drohen Merz in dieser Lage ausgerechnet die Grünen von der Fahne zu gehen. Dass die Partei verkündete, seinen Plänen vorerst nicht zuzustimmen, hat der Mann, der Kanzler werden will, vor allem sich selbst zuzuschreiben.
Friedrich Merz hat sich zu sicher gefühlt
Mit Ansage hat Merz dafür gesorgt, dass sich die Fronten verhärten – indem er den Grünen allen Grund zur Annahme gab, dass er sie nicht ernst nimmt. Noch am Samstag erklärte Merz, die Partei müsste doch sowieso zustimmen, weil er ja jetzt die Politik mache, die die Grünen vor der Wahl immer gefordert hatten. Und die er immer abgelehnt hatte.
Es schien in der Tat schwer vorstellbar, dass die Grünen einem Schuldenpaket am Ende nicht zustimmen. Sie sind schon lange der festen Überzeugung, dass Deutschland nur so eine Chance auf eine gute Zukunft hat, es ist ihre langgehegte Forderung. Das Selbstbild der Grünen ist heute das einer staatsstragenden Partei. Das passt kaum zusammen mit einem Veto in dieser Weltlage.
Ja, die Grünen plustern sich gerade ziemlich auf und sie haben lange gebraucht, um ihre Schlüsselrolle zu erkennen. Aber Friedrich Merz hat sich wegen der Ausgangslage offenbar zu sicher gefühlt. So sicher, dass das Scheitern plötzlich im Raum steht. Der CDU-Chef ließ die Grünen bei den Gesprächen außen vor, und hat deren Hinweise, man werde ein "Friss oder stirb" nicht akzeptieren, geflissentlich ignoriert. Er provozierte zusätzlich mit dem Verweis, die Zustimmung der Grünen müsste eigentlich "sicher" sein. Er ließ außerdem zu, dass die führenden Männer der Schwesterpartei CSU selbst in der derzeitigen Lage nicht aufhörten, auf die Grünen einzudreschen.
Offenbar hielt es Merz für eine Form des Verhandelns, eine Mailbox-Mitteilung zu hinterlassen. So tat er es bei der grünen Fraktionschefin Britta Haßelmann. Und sagte das auch noch öffentlich. Statt grundlegender Reformen präsentierte er gemeinsam mit der SPD teure Wahlgeschenke an die eigene Klientel.
Und dem sollen die Grünen einfach zustimmen? Das kann wirklich nur ein Regierungspraktikant wie Friedrich Merz glauben.
Offensichtlich ist da kein Politiker am Werk, der das nötige Feingefühl oder die politische Weitsicht für komplexe Verhandlungen besitzt. Das zeigte sich schon im Wahlkampf bei den Asyl-Abstimmungen mithilfe der AfD. Sie zeichneten das Bild eines Mannes, der sich von seinen Emotionen treiben ließ, und dabei nicht abschließend abschätzen konnte, wozu seine Ankündigungen am Ende führen würden.
Wie soll das erst als Kanzler mit einem Dutzend anderer Staatschefs werden? Wird EU-Politik auch künftig per Mailbox gemacht? Oder nach Tagesform des Bundeskanzlers?
Häme ist deshalb nicht angebracht
Wer diese Wochen seit der Wahl als Probezeit fürs Kanzleramt versteht, muss daran zweifeln, dass Friedrich Merz sie gut übersteht. Mit Ach und Krach manövriert er die CDU und das Land durch die Sondierungen. Häme ist deshalb nicht angebracht, schon gar kein Zynismus.
Nach wie vor ist wahrscheinlich, dass Friedrich Merz der neue Kanzler der Bundesrepublik wird. Man muss fast darauf hoffen, denn eine Neuwahl dürfte nichts einfacher machen. Die AfD reibt sich schon die Hände.
Merz muss jetzt einen Regierungscrashkurs in politischer Lichtgeschwindigkeit durchlaufen. Und Woche für Woche dazulernen. Alles andere wäre für das Land eine Katastrophe.