
In Washington und in den sozialen Medien tönt US-Präsident Trump immer wieder mit seinem Vorhaben, sich Kanada als 51. Bundesstaat einzuverleiben. Der scheidende Premier Trudeau ist sicher: Die Bedrohung ist real. Sein Nachfolger Mark Carney soll sie abwehren.
Als eine seiner territorialen Expansionsvorstellungen hat sich US-Präsident Trump unter anderem das naheliegendste Land ausgesucht: Kanada. Bevor der sein Amt antrat, war der kanadische Premierminister Justin Trudeau politisch auf dem absteigenden Ast, der Liberale kündigte seinen Rückzug an. Ein Wahlsieg der oppositionellen Konservativen kurz vor Jahresende schien nahezu sicher. Doch zwei Wochen später zog Trump ins Weiße Haus, drohte in Richtung Ottawa, er werde Kanada zum 51. Bundesstaat der USA machen - und dies mit einem Wirtschaftskrieg erzwingen.
Die Stimmung hat sich deutlich verändert. Alltagssorgen der Kanadier, wie steigende Preise und Kriminalität, werden von einem Gefühl der existenziellen Krise überlagert. Die fundamentale Frage für die Wahlentscheidung ist laut Umfragen derzeit, wer verhindern kann, dass Kanada seine Unabhängigkeit verliert. Kurz vor Trumps Amtsantritt hatten die Konservativen einen Umfragevorsprung von etwa 25 Prozent. Inzwischen sind es nur noch 6 Prozent bei einer Fehlertoleranz von 4 Prozent. Am Wochenende kürten die Liberalen nun Mark Carney zu Trudeaus Nachfolger als Parteichef und Premierminister.
Carney soll so schnell wie möglich vereidigt werden, vorgezogene Neuwahlen sind wahrscheinlich. Der 59-Jährige, so viel ist sicher, verkörpert vieles, was Trump nicht ausstehen kann. Carney gehört zur Globalisierungselite. Er hat zwei Zentralbanken geleitet, ist Stammgast beim Weltwirtschaftsforum in Davos - und engagierte sich im Kampf gegen den Klimawandel. Er hat sich praktisch sein Leben lang in Institutionen bewegt, die Trump ignoriert oder sogar zerstören möchte.
"Sie wollen unser Land"
Mindestens bis zur Wahl muss Carney die Angriffe aus dem Süden abwehren. Und damit auch Trumps Versuche stoppen, die Weltwirtschaft und geopolitische Ordnung mit Zöllen auf rechts zu drehen. "Unser Nachbar möchte uns übernehmen", sagte Carney nach seinem Sieg auf dem Parteitag: "Keine Chance." Die Vergeltungszölle "mit maximalem Effekt" für die USA würden bleiben, "bis uns Amerika Respekt zeigt". Der Parteitag brach in Jubel aus. "Sie wollen unsere Ressourcen, unser Wasser, unser Territorium, unser Land. Sie würden unseren Lebensstil zerstören."
Der 59-Jährige ist Sohn eines Lehrers aus der kanadischen Subarktis, hat Wirtschaft in Harvard und Oxford studiert, in London, Tokio, New York und Toronto als Investmentbanker für Goldman Sachs gearbeitet. Nachdem er die kanadische Zentralbank im Angesicht der Finanzkrise leitete, wurde er Chef der Bank of England. Dort habe er geholfen, "die britische Wirtschaft nach der Brexit-Volksabstimmung über den Austritt aus der EU zu stabilisieren", schreibt das "Wall Street Journal". Er wurde in der Folge der Sondergesandte der Vereinten Nationen für Klimaschutz, saß im Vorstand des Weltwirtschaftsforums und war Vorstandsvorsitzender der Investment-Firma Brookfield.
"Meine Stärke ist, dass ich weiß, wie die Welt funktioniert", warb Carney kürzlich für sich: "Ich weiß, wie man Dinge erledigt." Zudem sei er gut vernetzt. Ihm werde vorgeworfen, ein "Elitist oder ein Globalist" zu sein. "Es ist zufällig genau das, was wir brauchen", meinte er. Eingewöhnungszeit wird der Ökonom aller Voraussicht nach nicht bekommen. Sondern permanente Drohungen ertragen müssen, und sich Zoll-Duelle sowie mediale Schlagabtausche mit Trumps Regierung liefern. Es seien "dunkle Tage", sagt Carney: "Dunkle Tage, verursacht von einem Land, dem wir nicht mehr vertrauen können."
Maximaler Druck?
Der neue Ansprechpartner in Ottawa könnte auch zu Entspannung zwischen den beiden Nachbarn beitragen- zumindest dann, wenn Trump auf seinen Anspruch auf Kanada als 51. Bundesstaat verzichtet, oder dahinter nur der Wunsch nach maximalem diplomatischem Druck steht. Denn eine mögliche Absicht könnte sein, eine maximal günstige Position für die Neuverhandlung des nordamerikanischen Freihandelsabkommens USMCA zu erreichen. Dazu ist bereits ein erstes Treffen angesetzt. Die beiden Länder hatten USMCA gemeinsam mit Mexiko während Trumps erster Amtszeit vereinbart, es ersetzte das vorherige Vertragswerk NAFTA.
Das Verhältnis zwischen dem Republikaner und Trudeau war mehr als angespannt. Trump verspottete den Liberalen als "Gouverneur", das letzte Telefonat zwischen Trudeau und Trump, als die beiden Staatschefs über Handels- und Grenzfragen stritten, endete in Geschrei und Beschimpfungen. Trudeau warnte fatalistisch, Trump hätte nur ein Ziel: "Er will einen völligen Zusammenbruch der kanadischen Wirtschaft, weil das die Annexion erleichtern würde."
Als Trudeau am 6. Januar seinen Rücktritt ankündigte, beabsichtigte er damit etwas anderes. Es sei an der Zeit für einen Neustart, um "die Temperatur zu senken". Das dürfte schwierig werden, solange Trump auf der anderen Seite der Grenze regiert.