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Wahlkampfabschluss: Und dann äußert Olaf Scholz noch einen Wunsch



Die SPD steuert auf ein Wahldebakel zu, trotzdem glaubt Olaf Scholz noch an einen Sieg – oder? Der Kanzler zeigt sich beim Wahlkampf-Finale von einer ungewohnten Seite. 

Olaf Scholz spricht den Elefanten im Raum besser gleich selbst an: Wird das noch was?

Bis zur Wahl seien es keine 24 Stunden mehr, sagt Scholz am Samstagmittag in der Potsdamer Schinkelhalle. Mehr als 200 Bürgerinnen und Bürgern haben sich in dem historischen Baudenkmal eingefunden, um ihrem Bundestagsabgeordneten noch ein paar Fragen zu stellen. Das hier ist Scholz‘ Wahlkreis; das Bürgergespräch sein offizieller Wahlkampfabschluss

Und Scholz sagt, klar: Da geht noch was.

Einige hätten sich schon entschieden, andere würden sich noch "die letzten Informationen" holen, sagt Scholz. "Viele andere werden noch bis zum Wahllokal mit sich ringen, was sie tun werden." Sein Ratschlag sei wenig verwunderlich: Zwei Stimmen für die SPD und für einen Bundeskanzler Olaf Scholz, "der weitermachen will und wird". 

Glaubt Scholz wirklich noch an seinen Sieg – oder lässt er die Wähler, seine Partei das nur glauben? Eher letzteres. Über eine bevorstehende Niederlage lässt sich ja schlecht eine Wahlkampfrede halten. 

Dutzende Termine hat der Kanzler im kurzen Winterwahlkampf abgerissen, während sich in den Umfragen praktisch nichts bewegte, jedenfalls nicht zu seinen Gunsten. Die Chancen, dass er wie 2021 eine überraschende Aufholjagd hinlegt sind schwindend gering. Bewahrheiten sich die Umfragen, kommt Scholz am Sonntag aus einem Wahlkampf-Tunnel geschossen, an dessen Ende ein historischer Tiefstwert für die Sozialdemokraten steht. Vollcrash. 

Nun kann er nichts mehr ausrichten, nur hoffen. Wie gibt sich der Kanzler im Angesicht eines aufziehenden Debakels? 

"Er wird dann bestimmt kommen"

"Was ich Ihnen immer schonmal sagen wollte", leitet eine Frau ihre Frage an Scholz ein: "Ich danke Ihnen für Ihre Besonnenheit, für Ihre Ruhe, für Ihre Empathie." Es klingt beinahe wie ein Abschied. Vielleicht geht Scholz auch deswegen nicht auf das Kompliment ein und beantwortet lieber ihre Frage zur Rente. Herzlichen Applaus gibt es trotzdem.  

Scholz ist hier, im Wahlkreis 61, nicht nur zu Hause, sondern auch in seinem Element. Mehr als 30 Dialog-Veranstaltungen hat er absolviert, sich dabei stets im Stoff gezeigt, nahbar, zugewandt. Er wandert durchs Publikum, hat auch die hinteren Reihen im Blick. Scholz holte 2021 in Potsdam das Direktmandat, wird es ersten Prognosen zufolge auch verteidigen. Es dürfte für Scholz, den Spitzenkandidaten der Brandenburger SPD, nur ein schwacher Trost sein. 

Denn der "Kanzler unter den Kandidaten", wie ihn seine SPD bundesweit einrahmt, zieht einfach nicht. Jedenfalls zeigen sich die Wählerinnen und Wähler ob des Etiketts unbeeindruckt, die Partei dümpelt zwischen 14,5 und 17 Umfrageprozent einem Wahldebakel entgegen und Scholz seinem Karriereende. 

Scholz dürfte das wissen, aber er kann ja darüber keine mitreißende Rede halten. Alle ahnen es, aber niemand will sich etwas anmerken lassen. Auch nicht bei der letzten Großveranstaltung der Bundes-SPD am Freitagabend in der Dortmunder Westfalenhalle. Hier treten schon mal Künstler wie Herbert Grönemeyer oder Helene Fischer auf, am Freitag aber spielt Olaf Scholz seine Hits: Mindestlohn, Besonnenheit, Rente. 

Damit ist er durchs ganze Land getourt, hat in über 50 Städten und Gemeinden erzählt, warum er derjenige welche ist, der als Kanzler weiter den Kurs vorgeben sollte. Obwohl der halben Republik die Liedtexte von Scholz schon zu den Ohren raushängen müssten, und der öffentliche Nahverkehr sogar bestreikt wird, bleibt kaum ein Stuhl in der – für diesen Anlass leicht verkleinerten – Veranstaltungshalle unbesetzt. 

Los geht’s aber erstmal ohne den Haupt-Act: Wo steckt Scholz? 

Gesehen habe er ihn schon, ruft Achim Post, Co-Chef der NRW-SPD, bei der obligatorischen Grußrunde von der Bühne. "Wo er genau ist, weiß ich nicht, aber ich begrüße ihn schonmal, er wird dann bestimmt kommen." Einige im Saal erheben sich, klatschen Beifall. Auf dem Bildschirm über der Bühne wird ein leerer Stuhl eingeblendet. Kein Kanzler in Sicht. Weiter geht's, nützt ja nichts. 

Oder geht’s hier vielleicht gar nicht mehr nur um Scholz? 

Schließlich sei das keine Abschlussveranstaltung, hält Parteichef Lars Klingbeil später fest, sondern vielmehr der Beginn des Schlussspurts. 27 Prozent der Bürger hätten sich noch nicht entschieden, beschwört Klingbeil die Genossen, das habe es so kurz vor einer Bundestagswahl noch nie gegeben. Die Botschaft, wieder: Da geht noch was. 

Eine starke SPD sei wichtig für das Land, gibt Klingbeil als Devise für die letzten 48 Stunden vor der Wahl aus. Den Mann, um den es dabei irgendwie auch gehen sollte, also Olaf Scholz, erwähnt der SPD-Chef in seiner kurzen Motivationsrede kein einziges Mal. Es ist entweder eine subtile Absetzbewegung oder ein Wink mit der Dachlatte.

Olaf Scholz: Wie ausgewechselt

Die Dortmunder Westfalenhalle sollte schon einmal Ausgangspunkt für eine Aufholjagd der SPD sein. 2017 hatte sie hier ihr Regierungsprogramm für den Bundestagswahlkampf beschlossen. Sogar Gerhard Schröder hatte nochmal gesprochen. Martin Schulz, damals Parteichef, Kanzlerkandidat und Hoffnungsträger der SPD, ging am Ende aber doch nur mit 20,5 Prozent durchs Ziel. Eine historische Niederlage. Kanzler Scholz könnte den bisherigen Tiefpunkt noch toppen – nach unten. Hinter den Kulissen sortiert sich die Partei längst für eine Zeit nach Scholz. 

Doch Scholz wirkt weder angespannt, noch verklemmt ob seiner misslichen Ausgangslage. Stattdessen erleben die Anwesenden in der Westfalenhalle einen lauten, kämpferischen Scholz, der über "so komische Manöver" der Union moppert, den "Infight" mit der überbordenden Bürokratie sucht und so gar nicht wie der spröde Hanseat wirkt und spricht, den die allermeisten vor Augen haben dürften. 

Einmal äfft der Kanzler sogar Friedrich Merz nach, seinen aussichtsreichen Kontrahenten von der CDU. "Möh! Schließ‘ ich nicht aus!" habe der gemacht, erzählt Scholz mit gespielt bockiger Stimme, als er von ihrem kürzlichen TV-Duell berichtet. Gefragt wurde dort nach einer möglichen Erhöhung der Mehrwertsteuer. Das Thema hätten dann andere für ihn austreten müssen, spottet Scholz mit diebischer Freude. Applaus, Lacher. Scholz-Grinsen. Der Kanzler wirkt locker, nicht mehr so steif. Fast befreit. 

Weder das Ampel-Aus, noch die Wiederwahl von Donald Trump zum US-Präsidenten oder das schwarz-blaue Schreckgespenst haben ihm zum Vorteil gereicht. Die Umfragewerte für die Scholz-SPD sind wie einzementiert, das Image des spröden, aber kompetenten Regierungsprofis ist abgenutzt. Der letzte Strohhalm scheint zu sein, bisschen weniger Scholz zu sein. 

Beim Bürgergespräch in Potsdam begibt sich Scholz einen Tag nach Dortmund wieder zwischen die Stuhlreihen, eine Frau weiter hinten hat eine Frage. Er, der Kanzler, habe ja harte Kritik am Merz-Manöver mit der AfD geübt, sagt die Frau durchaus anerkennend. Aber sei nicht auch die Ampel-Politik der vergangenen drei Jahre für das Erstarken der Rechtspopulisten verantwortlich? 

Bedrückend seien die Umfragewerte schon, räumt Scholz ein, der auf die Vernunft der Wähler an der Urne setzt. Fehler eingestehen will er nicht. "Natürlich gibt es was zu kritisieren an der Ampel, was denn sonst?" winkt er ab. Kurz blitzt der kühle, mitunter schroffe Kanzler durch. 

Scholz wiederholt nur sein Lamento, dass er die Ampel wohl früher hätte beenden sollen. Seine Lektion aus den rauflustigen Regierungsjahren: Künftig müsse es klare Ansagen geben. "Wer sich monatelang nicht bewegt, muss auch mit Zwischenkommentaren vom Mannschaftskapitän rechnen – und das wird’s geben." Lauer Applaus, der Knallhart-Kanzler kommt offenbar zu spät.

Was Olaf Scholz nicht mehr sagt 

Dabei sah es kurz nach dem Ampel-Bruch danach aus, als könnte der unbeliebte Scholz nochmal reüssieren. Nach dem Rauswurf der FDP entstand kurz eine Art Momentum, die Genossen waren elektrisiert von Scholz‘ Konsequenz. Doch kaum war der Kanzler außer Landes, weit weg bei einem mehrtägigen Gipfeltreffen in Rio de Janeiro, witterten seine Gegner ihre Chance und warben für Verteidigungsminister Boris Pistorius als Kanzlerkandidaten.

Warum, wird auch beim Wahlkampfabschluss in Dortmund deutlich. Pistorius soll auf der Wahlkampfbühne etwas zum Umgang mit den USA sagen, der Rolle Europas und der weiteren Ukraine-Unterstützung. Größtmögliche Fallhöhe. "Lasst mich aber zunächst mal sagen", setzt Pistorius an, "dass ich es fantastisch finde, in dieser geilen, vollbesetzten Halle oben auf der Bühne zu stehen, und original Betriebsrat- und Gewerkschaftssound zu hören. Großartig." 

Das Publikum johlt, als sei Pistorius einer der ihren. Dieser Sound, geradeaus und schneidig, hat Pistorius zum Beliebtheitsminister der Deutschen gemacht – und zum Sehnsuchtskandidaten vieler Genossen. Das sei nun vergossene Milch, heißt es in der Partei, in der Regel leicht verbittert. 

Und damit zurück zu Scholz. "Wir wollen diese Wahl gewinnen!", ruft der Kanzler in die Dortmunder Westfalenhalle. Dass die SPD die Wahl gewinnen wird, wie er in der Vergangenheit häufig gesagt hatte, sagt Scholz mittlerweile nicht mehr. So viel offenen Zweifel an einer erfolgreichen Aufholjagd lässt er dann doch zu. In Potsdam, seinem Wahlkreis, äußert er daher einen Wunsch: "Überlegen Sie es zu Ende, machen Sie am Ende Ihr Kreuz bei der SPD." Damit er und seine Partei ein starkes Mandat bekämen und man sich hinterher nicht ärgere. "Schönen Dank." 

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