Friedrich Merz hatte angekündigt, den israelischen Premier trotz Haftbefehls auch in Deutschland zu empfangen. Nun bekommt er Unterstützung von unerwarteter Seite.
Es ist eine kniffelige Frage für den mutmaßlich künftigen Kanzler Friedrich Merz: Sollte er den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu trotz internationalen Haftbefehls in Deutschland empfangen?
Merz: Netanjahu soll "unbehelligt" nach Deutschland reisen können
Der Wahlsieger und CDU-Chef hatte vor einem Monat in einem Gespräch mit der "Jüdischen Allgemeinen" erklärt: "Unter meiner Führung wird der israelische Ministerpräsident unbehelligt nach Deutschland reisen können." Er werde Mittel und Wege finden, das zu ermöglichen. "An der engen Verbindung zu Israel lassen wir als CDU zu keinem Zeitpunkt irgendeinen Zweifel."
Nun bekommt Merz prominenten Unterstützung von unerwarteter Stelle für diese Haltung. Völlig abwegig findet der frühere Außenminister und Grünen-Politiker Joschka Fischer den Gedanken, man könne Netanjahu eine Einreise nach Deutschland verweigern oder ihn bei einem Staatsbesuch strafrechtlich verfolgen. "Sind Sie der Meinung, er könnte festgenommen werden?", sagte er auf die Frage des stern, was er von Merz' Aussage halte. "Ja, wir schwächen den Internationalen Strafgerichtshof. Aber sollte Deutschland dem israelischen Premier sagen, du darfst die deutsche Grenze nicht überschreiten? Allein die Vorstellung ist doch absurd."
Vergangenen November hatte der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag sowohl gegen Netanjahu als auch gegen den damaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant sowie den Hamas-Anführer Mohammed Diab Ibrahim Al Masri (auch Mohammed Deif genannt) erlassen. Allen Dreien wird vorgeworfen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Deif soll allerdings bei einem israelischen Angriff getötet worden sein; eine offizielle Bestätigung seines Todes gibt es nicht.
Alte Bundesregierung wich dem Problem aus
Die alte Bundesregierung hatte ausweichend auf die Ankündigung der Haftbefehle reagiert. In einer schriftlichen Erklärung bekräftigte Regierungssprecher Steffen Hebestreit die Unabhängigkeit des Gerichtshofs und kündigte dann an: "Die innerstaatlichen Schritte werden wir gewissenhaft prüfen." Dies stünde aber erst dann an, "wenn ein Aufenthalt von Premierminister Benjamin Netanjahu und dem ehemaligen Verteidigungsminister Joaw Galant in Deutschland absehbar ist".
Anders als Bundeskanzler Olaf Scholz, den die Nachricht vom Haftbefehl erst gegen Ende seiner Amtszeit ereilte, kann sich die künftige Bundesregierung es sich nicht leisten, das Problem derart zu vertagen. Denn über kurz oder lang wird die Frage nach einem Staatsbesuch von Netanjahu im Raum stehen. Die israelische Regierung erhöhte den Druck, indem sie nach einem Telefonat zwischen Netanjahu und Merz nach dessen Wahlsieg bekannt gab, Merz habe ersterem eine offizielle Einladung in Aussicht gestellt, „als offene Herausforderung gegen die skandalöse Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs, den Ministerpräsidenten als Kriegsverbrecher zu bezeichnen“. So verlautete es aus Netanjahus Büro. Aus dem Umfeld von Merz wurde hingegen lediglich das Telefonat bestätigt, aber nichts über dessen Inhalt mitgeteilt.
Völkerrechtler kritisiert Haltung von Merz
Völkerrechtler sehen die Haltung von Friedrich Merz hingegen kritisch. Christoph Safferling, Professor für Strafrecht und Völkerrecht an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen, sagte dem stern: "Deutschland ist als Mitgliedstaat verpflichtet, Netanjahu festzunehmen." Auffassungen wie die von Merz seien eine "Katastrophe" für den Internationalen Strafgerichtshof und für ein regelbasiertes Völkerrecht. Sollte der Haftbefehl nicht vollstreckt werden, würde dies einen "massiven Autoritätsverlust" für den Internationalen Strafgerichtshof bedeuten.
"Ich sehe keinen Weg, wie Merz legal Einfluss auf die Justiz nehmen könnte, um eine Verhaftung zu verhindern", sagt Safferling. Vielmehr müsse man darauf hinwirken, dass Israel und auch seine Regierung alles täten, um die Vorwürfe gegen Netanjahu und den Ex-Verteidigungsminister aufzuklären. "Der Internationale Strafgerichtshof ist geschaffen worden, um gegen jeden vorzugehen – möglicherweise auch gegen Freunde."
Es sei daher nicht "absurd", internationale Haftbefehle umzusetzen, sondern die "logische Folge", da der Verdacht bestehe, dass Völkerstraftaten begangen worden seien. Wenn Deutschland nicht kooperiere, stehe die Zukunft der Institution auf dem Spiel. "Herr Merz muss sich die Frage stellen: Wieso zahle ich jedes Jahre mehrere Millionen für den Internationalen Strafgerichtshof, wenn ich nicht glaube, dass das, was der Gerichtshof macht, richtig und rechtsstaatlich ist", so Safferling. Außerdem sollte Merz sich fragen: "Tue ich Herrn Netanjahu wirklich einen Gefallen, wenn ich das Erbe der Nürnberger Prozesse verrate?“
Der Internationale Strafgerichtshof wurde 2002 gegründet. Er ist nur für die allerschwersten Verbrechen wie Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zuständig und auch nur dann, wenn diese nicht von nationalen Gerichten geahndet werden. Deutschland zählte zu den größten Unterstützern der Einrichtung eines "Weltgerichtshofs". Und könnte bald zu den Ländern zählen, die seine Autorität am meisten untergraben.