In Portugal schien die Welt bis vor wenigen Wochen noch weitgehend in Ordnung. Doch plötzlich hat Europa dort einen weiteren Krisenherd - und zwar einen, der auch deutsche Interessen betrifft.
Die undurchsichtigen Geschäfte eines Unternehmens der Familie von Ministerpräsident Luís Montenegro haben die konservative Minderheitsregierung in Portugal zu Fall gebracht. Der Regierungschef war in den vergangenen Wochen von der Opposition, die ihm Vorteilnahme und einen Interessenkonflikt vorwirft, zunehmend in die Ecke getrieben worden - bis der 52-Jährige im Parlament in Lissabon die Vertrauensfrage stellte und bei der Abstimmung darüber eine vernichtende Niederlage erlitt: 144 zu 88 Stimmen, lautete das Abstimmungsergebnis in der "Assembléia da República".
Das beliebte Urlaubsland steuert damit auf eine vorgezogene Wahl des Parlaments im Mai zu. Präsident Marcelo Rebelo de Sousa könnte nun zwar einen anderen Politiker des Regierungsbündnisses Demokratische Allianz (AD) oder aber Oppositionsführer Pedro Nuno Santos von der Sozialistischen Partei (PS) mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen. Es gilt aber als wahrscheinlich, dass er für den 11. oder 18. Mai Wahlen ausrufen wird.
Das Staatsoberhaupt, das wegen der Krise diese Woche bereits einen Besuch in Estland abgesagt hatte, verlor keine Zeit und bestellte die Parteichefs für heute zu Konsultationen ein. Am Donnerstag will er sich dann mit dem Staatsrat beraten - einem in Portugal bereits seit 1845 existierenden Gremium, das den Präsidenten in Krisenzeiten berät und dem aktuelle und ehemalige Mandatsträger sowie andere Persönlichkeiten angehören.
Werden die Rechtspopulisten profitieren?
Rebelos Entscheidung wird spätestens am Freitag erwartet. Aber egal, wie die ausfällt - Portugals Zukunft ist ungewiss. Viele befürchten eine Erstarkung der Rechtspopulisten von Chega, die schon jetzt hinter AD (80 Sitze) und PS (78) mit 49 Abgeordneten die dritte Kraft bilden. Chega-Boss André Ventura sprach bei der hitzigen Debatte von einem "Theater". Kolumnist Manuel Fonseca hatte bereits vor der Abstimmung in "Correio da Manhã" prophezeit: "Heute gewinnt Chega." Ähnlich äußerten sich später Kommentatoren im Sender CNN Portugal.
Europa kommt ein neuer Krisenherd alles andere als gelegen. Aber speziell in Deutschland dürften einige nun besonders sorgenvoll auf das Land mit 10,5 Millionen Einwohnern blicken. Nicht nur, weil der erst seit einem knappen Jahr amtierende Montenegro als zuverlässiger Partner in Brüssel galt. Die geschäftsführende Regierung hat beschränkte Befugnisse. Viele Projekte werden auf Eis gelegt, darunter auch die Privatisierung der Fluggesellschaft TAP, an der unter anderem auch die Lufthansa interessiert ist.
Alles schien in Portugal bis vor kurzem in Ordnung
Dabei kam die Krise durchaus überraschend. Der einstige EU-Schuldensünder verzeichnet auch nach dem Regierungswechsel vom Frühjahr 2024 gute Wachstumsraten und eine historisch niedrige Arbeitslosigkeit bei anhaltend strikter Ausgabendisziplin. Doch zuletzt überschlugen sich die Ereignisse.
Die Opposition wirft Montenegro Vorteilnahme vor. Das vom gelernten Juristen 2021 gegründete Beratungs- und Immobilienunternehmen Spinumviva soll demnach von der Position des Ministerpräsidenten profitiert haben, um Verträge mit Privatfirmen zu unterzeichnen. Montenegro bestreitet jede Unregelmäßigkeit. Die Firma gehöre inzwischen nur seinen Söhnen Hugo und Diogo. Weitere Informationen etwa zu den Kunden gab er allerdings nicht preis.
Im Rahmen der Affäre überstand Montenegro immerhin zwei Misstrauensvoten. Da die Opposition aber trotzdem ihre Pläne für eine Untersuchungskommission nicht aufgab, stellte er sich der Vertrauensfrage. Die Neuwahl sei ein "notwendiges Übel". "Zwei Monate Instabilität sind besser als anderthalb Jahre langsamer Zerfall", betonte der nun scheidende Regierungschef.
Der Regierungschef wollte keine zermürbende Untersuchung
Nach Einschätzung von Beobachtern nimmt Montenegro die Neuwahl in Kauf, weil er eine zermürbende Untersuchung verhindern wollte - und weil sein Bündnis AD laut Umfragen sogar auf einen Sieg mit einem besseren Ergebnis als im März 2024 hoffen kann. Der Gestürzte wirft jedenfalls nicht das Handtuch und kündigte an, er werde wieder kandidieren. Nicht wenige Beobachter bezweifeln aber, dass das Comeback gelingen wird. "Público"-Kolumnist Pedro Adão e Silva wirft Montenegro und auch Santos ein für AD und PS "und auch für die portugiesische Demokratie hochriskantes Pokerspiel" vor.
Die Parlamentsneuwahl wäre bereits die dritte innerhalb von nur gut drei Jahren. Die vorerst letzte gab es am 10. März 2024, nachdem der damalige sozialistische Ministerpräsident António Costa wegen Korruptionsermittlungen gegen ihn und andere Regierungsmitglieder zurückgetreten war. Nach jetzigem Stand hat sich Costa allerdings nichts zuschulden kommen lassen. Der 63-Jährige ist inzwischen Präsident des Europäischen Rates.