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Neustart, Aufbruch, Anpacken: Die deutsche Wirtschaft knüpft an das Ergebnis der Bundestagswahl vor allem die Hoffnung, dass ihre bekannten Forderungen aufgegriffen werden.
Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft sehen im Ergebnis der Bundestagswahl vor allem ein Signal für eine wirtschaftspolitische Wende. Sie richten zugleich zahlreiche Forderungen an eine künftige Bundesregierung.
"Viele Rückmeldungen aus kleinen, mittleren und großen Unternehmen machen deutlich: Insbesondere auf dem Feld der Wirtschaftspolitik sind jetzt dringend wichtige Weichenstellungen erforderlich", erklärte Peter Adrian, Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). "Dieser Kurswechsel ist überfällig." Der politische Neustart sei eine Chance, "bisherige Blockaden aufzulösen und einen gemeinsamen Weg aus der Wirtschaftskrise zu finden".
"Jetzt ist der Moment für den großen Wurf: klare Strukturreformen und entschlossene Entscheidungen für mehr Wachstum und Sicherheit", sagte Peter Leibinger, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI).
"Die Politik muss jetzt liefern - pragmatisch, ideologiefrei und mit dem Mut zum Kompromiss. Nur so bleibt Deutschland ein attraktiver Standort für die Industrie", hieß es vom Verband der Chemischen Industrie (VDI). "Unsere Branche ist bereit, mit anzupacken. Es ist Zeit für den Aufbruch", sagte VCI-Präsident Markus Steilemann.
Erneut umfassende Entlastungen gefordert
Konkret forderten Unternehmensvertreter und Verbände erneut den Abbau bürokratischer Hemmnisse, geringere Steuerlasten und Energiekosten, aber auch staatliche Investitionen. In den Unternehmen müssten nun spürbare Entlastungen bei Bürokratie und Abgaben ankommen - "statt wie zuletzt immer neue Berichtspflichten, Auflagen und Einschränkungen", betonte DIHK-Präsident Adrian.
"Der Entscheidungs- und Handlungsstau in vielen für die Wirtschaft existenziellen Fragen wie etwa des Bürokratierückbaus, staatlichen Investitionen, der Energieversorgung und der Sicherheitspolitik gehört dringend aufgelöst", forderte BDI-Präsident Leibinger.
Auch mit Blick auf das veränderte geopolitische Umfeld forderten die Wirtschaftsvertreter eine handlungsfähige Regierung. "Der Gegenwind aus den USA ist stärker geworden - darauf müssen wir reagieren", sagte Dirk Jandura vom Außen- und Großhandelsverband BGA. Um im Handelskonflikt mit den USA und China zu bestehen, "müssen wir geschlossen und mit deutlicher Stimme auftreten", so der BGA-Präsdient. Notwendig sei eine klare Haltung für offene Handelswege und neue Freihandelsabkommen.
Ökonomen zurückhaltend
Während die Wirtschaftsvertreter vor allem Aufbruchssignale in den Vordergrund stellten, wiesen Ökonomen auf die Konfliktlinien in einer möglichen schwarz-roten Regierung hin. "Die absehbare Neuauflage der Großen Koalition spricht bei divergierender DNA nicht für eine beherzte Wirtschaftswende", kommentierte Alexander Krüger, Chefvolkswirt von Hauck Aufhäuser Lampe. "Ein Hauch von Konjunkturoptimismus dürfte demnächst spürbar sein. Die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt zu steigern und ungesteuerte Migration zu begrenzen, wird Wohl und Wehe der künftigen Regierung bestimmen."
"Bei der Wirtschaftspolitik haben Union und SPD häufig unterschiedliche Auffassungen darüber, wie der Standort Deutschland für Unternehmen wieder attraktiv gemacht werden soll", erklärte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. "Während die Union die Steuern für alle Unternehmen senken will, möchte die SPD die Unternehmen durch eine Investitionsprämie entlasten und höhere Einkommen sogar stärker belasten, wovon auch viele Unternehmer betroffen wären."
Rasche Regierungsbildung gefordert
Dass die wirtschaftsliberale FDP aus dem Bundestag ausscheiden wird, bedauerten einzelne Wirtschaftsvertreter. "Mit einer starken liberalen Stimme wäre diese Wende einfacher gewesen", erklärte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. "Alle Themen sind bekannt: Wir müssen unser Land umfassend modernisieren, um zu wirtschaftlicher Stärke zurückzukehren", so Dulger. "Eine starke Wirtschaft ist im Interesse aller - für Unternehmen, Beschäftigte und Gesellschaft gleichermaßen."
Der Deutsche Gewerkschaftsbund stellte in seiner Reaktion auf das Wahlergebnis die Forderung einer "Investitionsoffensive" in den Vordergrund. Im Zentrum müssten Infrastruktur, Digitalisierung, Energieversorgung und industrielle Zukunftstechnologien stehen, so die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi. Zudem forderte Fahimi einen nationalen Aktionsplan zur Stärkung der Tarifbindung. "Wir brauchen jetzt eine Tarifwende: faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen sind die Basis für eine stabile und innovative Wirtschaft."
Einig zeigten sich die Sozialpartner in der Forderung nach raschen Koalitionsverhandlungen. "Die Wirtschaft kann nicht warten: Wir brauchen eine schnelle Regierungsbildung. Jeder Tag, an dem nicht gehandelt wird, ist ein verlorener Tag für den Standort", betonte Arbeitgeberpräsident Dulger. Ähnlich äußerte sich IG-Metall-Chefin Christiane Benner: "Wir haben keine Zeit mehr. Die Industrie und die Beschäftigten können nicht Monate auf klare Perspektiven warten."