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Wirtschaftsweise: Wird Merz die nötigen Reformen angehen? "Da bin ich skeptisch"



Friedrich Merz wird ohne gelockerte Schuldenbremse, harte Einschnitte und eine Zukunftsvision die Konjunktur nicht ankurbeln können, urteilt die Wirtschaftweise Monika Schnitzer. 

Was ist Ihr erster Eindruck nach der Wahl?
Es wird sehr schwierig werden. CDU, CSU und SPD können jetzt in dieser kleinen Konstellation zwar eine Regierung bilden, sie brauchen nicht noch die Grünen dafür. Trotzdem wird es wirklich schwierig, die nötige Finanzierung zu stemmen für ein Verteidigungspaket. Und auch für alle anderen nötigen Investitionen.

Weil es für Friedrich Merz keine Zweidrittelmehrheit für höhere Verteidigungsausgaben mehr gibt?
Genau. Man wird ein neues Sondervermögen oder eine Änderung der Schuldenbremse benötigen. Ich war eigentlich davon ausgegangen, dass es nach der Wahl reichen würde, dass man dann zur Vernunft kommen würde und sich dann CDU, CSU, SPD und Grüne zusammenraufen und eine Reform der Schuldenbremse angehen. Wir haben als Sachverständigenrat dafür ja auch Vorschläge gemacht, wie das zu regeln wäre, damit das Geld nicht verschwendet wird.

Es war also ein Fehler, das nicht vor der Neuwahl anzugehen, wie Scholz und Habeck das vorgeschlagen haben?
Absolut. Man hätte die Zeit nutzen sollen, spätestens als Trump zum Präsidenten gewählt war. 

Wie würden Sie jetzt insgesamt die wirtschaftliche Lage einschätzen nach dieser Wahl?
Die wirtschaftliche Lage ist leider schlecht. Wir hatten zwei Jahre Rezession, dieses Jahr mit all den geopolitischen Verwerfungen – möglicherweise Zöllen von Trump verhängt etc. – sieht es auch nicht gut aus. Insofern könnte es durchaus sein, dass wir noch ein drittes Jahr in der Rezession steckenbleiben. Damit fehlt uns das Wachstum, um die Herausforderungen in Verteidigung und Infrastruktur zu finanzieren. Es fehlt uns auch an Spielraum, um die Steuern zu senken.

Friedrich Merz würde sagen, sinkende Steuern kurbeln das Wachstum an. 
So schnell finanziert sich eine Steuersenkung nicht von selbst. Dafür braucht es Zeit, dafür braucht es Investitionen. Dafür braucht es dann Wachstum – und das passiert nicht über Nacht. Und gleichzeitig braucht es ja auch öffentliche Investitionen dafür. Wir sehen den desolaten Zustand der Brücken, der Eisenbahn, der Straßen. Das sind alles Themen, die lange versäumt worden sind. Aber es könnte ein Wachstumstreiber werden, wenn man dafür jetzt Geld in die Hand nimmt. Man könnte zum Beispiel ein Wohnungsbauprogramm auflegen, was dringend nötig wäre, auch für den sozialen Frieden.

Vielleicht auch eine Variante, um die Stimmen der Linkspartei für eine Aufweichung der Schuldenbremse zu bekommen.
Möglicherweise.

Nun hatten wir ja viele Jahre eine Große Koalition aus Union und SPD. Jetzt kriegen wir sie in der kleinstmöglichen Variante noch mal. Haben Sie Hoffnung, dass diese neue Version mit Friedrich Merz besser funktioniert?
Ich bin da skeptisch. Das war genau meine Reaktion, als alle gejubelt haben: "Die Ampel ist endlich weg, jetzt geht es endlich voran." Ich weiß nicht, woher sich dieser Optimismus gespeist hat, denn es ist ja auch vorher in diesen Punkten wenig vorangegangen. Selbst zu Zeiten, als man Geld hatte, hat man es ja nicht ausgegeben für die Modernisierung der Infrastruktur.

Was wäre da aus Ihrer Sicht nötig?
Wir haben einen massiven Nachholbedarf in der Digitalisierung. Das hat die Großen Koalition vorher nicht auf die Reihe gekriegt. Und man hat gedacht, mit der Ampel kommt das endlich – und es ist wieder nichts passiert, oder jedenfalls viel zu wenig. 

Sehen Sie irgendwelche Fortschritte bei der Transformation der Wirtschaft hin zu zukunftsfähigen Jobs?
In Einzelfällen vielleicht schon. In der großen Linie nicht. Wenn wir zum Beispiel über die Automobilindustrie nachdenken, sehen wir, dass die massiv zurückfällt, weil sie die Konkurrenz aus China völlig unterschätzt hat. Die kommt jetzt mit besseren Produkten. Das hat man lange weggewischt mit dem Argument: Wer interessiert sich denn für Infotainment? Wer interessiert sich für batterieelektrische Autos? Dabei wäre es so wichtig gewesen, auf die neuen Technologien zu setzen.

Der Zug ist offenbar abgefahren. Was nun? 
Man müsste jetzt auf Künstliche Intelligenz setzen. Damit können wir die Autos effizienter produzieren, und wir können sie autonom machen. Autonomes Fahren spielt in der deutschen Diskussion praktisch keine Rolle. Und in China und den USA fahren die Autos schon autonom. Hier müsste man ansetzen und die Regulierung deutlich vereinfachen, so dass man auch bei uns autonome Autos auf die Straße bringt. Sonst wird uns früher oder später die Automobilindustrie wirklich verloren gehen. 

Braucht es dafür Vorgaben der Politik? Wie ein Verbrenner-Aus?
Auch in diesem Wahlkampf wurde leider nicht über die Zukunft der Wirtschaft gesprochen, über eine Vision für die Zukunft. Die Diskussion um das Verbrenner-Aus etwa war komplett rückwärtsgewandt. Wir müssen nach vorne schauen. Und da ist es schon sinnvoll, ein politisches Ziel vorzugeben. Weil man die Koordination für die Klimawende hinkriegen muss. Alle Akteure – Autohersteller, Anbieter von Ladestationen, Kunden – müssen Klarheit haben, wohin die Reise geht. 

Erwarten Sie, dass jetzt unter einem Kanzler Friedrich Merz klare Vorgaben für die Industrie kommen?
Die Ankündigungen sind, dass man keine Vorgaben macht, sondern ganz auf Technologieoffenheit setzt. Aber ohne ein gewisses Maß an Koordination kann das dazu führen, dass die Industrie halt gar nichts macht. 

Anders als in China. 
Wenn man eine Koordination hat, dann skaliert eine neue Technik, man produziert schnell in hohen Zahlen, sodass die Kosten sinken. Das haben die Chinesen bei der Elektromobilität vorgemacht, mit sehr viel Geld natürlich. Die haben uns inzwischen bei der Elektromobilität den Rang abgelaufen. Jetzt können wir im Grunde nur noch versuchen, das zu machen, was die Chinesen bisher immer umgekehrt gemacht haben: Wir müssen von denen die Batterietechnologie nehmen und umgekehrt selbst daraus lernen und besser werden.

Also eine verpasste Chance. Allerdings heißt es in den USA jetzt wieder: "Drill, baby, drill!" Ändert das alles? 
Das könnte tatsächlich die Entwicklung weg vom Öl verlangsamen. Ökonomen haben ja schon immer gewarnt: Solange das Öl im Boden ist, ist die Versuchung einfach sehr hoch, das rauszuholen.

Friedrich Merz nimmt für sich in Anspruch, dass es wirtschaftlich mit der Union schon deshalb besser laufe, weil dann wieder eine Regierung aus zwei Partnern da sei, die an einem Strang ziehe.
Das könnte in der Tat helfen, denn einer der Faktoren, der die Wirtschaft zurückgehalten hat, ist diese große Verunsicherung gewesen. Wir haben das im letzten Jahresgutachten in unseren Zahlen dokumentiert: Investoren halten sich zurück, weil sie so große Unsicherheit sehen. Und das gleiche gilt für die Konsumenten. Sie geben ihr Geld nicht aus. Da ist natürlich auch Psychologie im Spiel. Nur muss man leider sagen, selbst wenn die politische Unsicherheit in Deutschland zurückgeht: Die Welt hat sich in den vergangenen drei Jahren und erst recht in den vergangen Wochen so sehr verändert, dass die Unsicherheit eigentlich noch mal deutlich gestiegen ist. Donald Trump ist ein derartig großer Risikofaktor geworden, dass man wirklich nicht weiß, was da noch alles auf uns zukommt.

Mal abgesehen von dem Wahlergebnis: Vor welchen Problemen stehen wir wirtschaftlich?
Da wäre zunächst die Demografie: Die Babyboomer treten jetzt ins Rentenalter ein. Damit fehlen uns die Arbeitskräfte, und auch Zuwanderung wird nicht ausreichen, das auszugleichen. Wir haben einen starken Rückgang der Investitionen gesehen, einen alternden Kapitalstock in der Privatwirtschaft, im öffentlichen Sektor. Da braucht es schon einiges an Investitionen und dafür dann halt auch Zuversicht, damit die Unternehmen wirklich hier in Deutschland investieren. Der dritte Punkt ist die Produktivität.

Was lässt sich da tun?
Es gibt große Chancen, die Produktivität zu steigern, mit neuen Technologien, mit der künstlichen Intelligenz. Das ist aus meiner Sicht ein wirklicher Gamechanger, so ähnlich wie die Einführung der Dampfmaschine, die Entwicklung der Elektrizität, also etwas, was man in allen Bereichen einsetzen kann – und was dann überall die Produktionseffizienz steigert.

Fehlt es nur daran?
Wir müssen auch besser werden, neue attraktive Produkte zu entwickeln. Warum haben wir bisher in der Automobilindustrie gute Löhne zahlen können? Weil wir gute Gewinne gemacht haben. Warum haben wir das gemacht? Weil wir gute Autos gebaut haben, die die Leute trotz des hohen Preises kaufen wollten. Das passiert jetzt nicht mehr, weil die Autos im Vergleich nicht mehr so gut sind. Wir brauchen also mehr herausragende Produkte. Autonomes Fahren könnte einen Unterschied machen.

An welche Bereiche denken Sie noch?
Pharma ist ein ganz großes Thema. Wir haben bei Biontech erlebt, wie schnell sie einen Impfstoff entwickelt und damit ein unglaubliches Geld verdient haben. Mit künstlicher Intelligenz kann man künftig sehr schnell neue Medikamente entwickeln, zum Beispiel gegen Krebs, das ist die Zukunft. Denken wir an Robotik, mit der wir die Produktionseffizienz steigern können. Denken wir an die neuen Technologien in der Rüstung, wie Drohnen. Wir werden nicht darum herumkommen, jetzt massiv in diese Bereiche zu investieren.

Geht es nur um Industrie?
Industrieprodukte, die durch KI gefunden oder veredelt werden, das ist der eine Teil. Das andere sind die Dienstleistungen. Wir denken bei uns bei Dienstleistungen immer nur an Imbissbuden oder Pflege im Krankenhaus. Es geht auch um IT, um Social Media, Cloud-Dienste oder Dienste wie Amazon Prime. Das sind ja Dinge, für die wir inzwischen alle viel Geld ausgeben.

Was müssen Friedrich Merz und seine neue Regierung jetzt relativ schnell angehen, um die Herausforderungen zu meistern?
Die eine Sache ist, für Finanzierung zu sorgen. Das wird nicht einfach. Dafür werden auch ein paar harte Strukturreformen nötig sein: eine Rentenreform, eine Reform der Sozialversicherung, da muss wirklich was passieren, damit Geld eingespart wird. Außerdem brauchen wir Bürokratieabbau. Wir müssen genau schauen: Welche Regeln halten die Unternehmen ab davon, sich weiterzuentwickeln in diese Zukunft, in diese neuen Technologien zu gehen. Wir müssen in diesen Bereichen wirklich gut werden und mit diesen Technologien neue Produkten entwickeln. Bislang sind wir vor allem in der Forschung sehr gut, nicht in der Vermarktung von neuen Produkten.

Haben wir da überhaupt noch eine Chance gegen die USA?
Jetzt ist tatsächlich eine Gelegenheit da, auch Forscher und Forscherinnen aus den USA zu locken. Viele von ihnen wissen nicht, ob ihre Projekte weiter gefördert werden. Denn die neue Regierung will massiv einsparen. Und viele sind abgeschreckt von dem Chaos, das da gerade entsteht. Wir sollten die Chance nutzen, Leute zu uns zu holen. Wir müssen dann aber dafür sorgen, dass sie hier mit ihrer Forschung erfolgreich sind und daraus Unternehmen entstehen.

Genügt es, Regeln abzubauen?
Es braucht schon die Vision, dass wir in diese Richtung gehen müssen, dass sich daraus etwas entwickeln kann, damit die jungen Menschen auch mit Begeisterung diese Fächer studieren, sich engagieren und nicht abwandern. Bisher läuft es doch so: Die gründen ein kleines Startup, dann verkaufen sie es oder machen sich gleich in Richtung USA auf.

Sie sagen, Deutschland braucht auch Strukturreformen, Einsparungen bei Rente und Sozialausgaben. Glauben Sie, dass eine Regierung Merz das angeht?
Da bin ich skeptisch, denn in den Wahlprogrammen haben sie sich ja ganz dezidiert nicht in Richtung solcher Reformen geäußert. Bei der SPD war es nicht anders zu erwarten, weil die ja die ganze Zeit schon diese Linie fährt. 

Und die Union?
Die hat diese Diskussion vermieden, weil sie wohl gefürchtet hat, dass das Wählerstimmen kostet. Stattdessen kam dann nochmal die Forderung von der CSU, die Mütterrente zu erhöhen. Die vier Milliarden, die das kosten würde, werden anderswo sehr viel dringender gebraucht.

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