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Kolumne: Putin? Trump? Wir drücken lieber noch einmal die Snooze-Taste



Zwei alte, weiße Männer teilen die Welt untereinander auf. Aber Europa verschläft lieber noch ein bisschen die Weltgeschichte, meint stern-Kolumnist Florian Schroeder.

Es gibt Orte, die haben etwas Magisches. München zum Beispiel. Das politische Frühjahrs-Oktoberfest heißt Münchener Sicherheitskonferenz und war schon häufiger nur betrunken zu ertragen. Traditionell ist die MSC der Ort überraschender Reden großer Autokraten. Ich meine natürlich nicht die Flasche-leer-Rede von Giovanni Trapattoni. 

2007 sprach dort Wladimir Putin und bezeichnete die USA als heuchlerisch. Der Grund: Die Amis versuchten, die Welt zu bekehren, indem sie sich nur in die inneren Angelegenheiten fremder Länder einmischten, dabei ihre eigenen geopolitischen Interessen vorantrieben und in die eigene Tasche wirtschafteten. 

Aus heutiger Perspektive könnte man sagen: Putin sprach schon damals in erster Linie über sich selbst und erläuterte uns die Zukunft. München, das war schon 1938 der Ort, der symbolisch für die Appeasement-Politik gegenüber Hitler stand. München steht für Europas Diktatoren-Tinder.

In diesem Jahr sprach nun Trumps persönlicher Wadenbeißer J.D. Vance und hatte die hübsche Pointe im Gepäck, wonach die Gefährdung von Meinungsfreiheit und Demokratie von Deutschland ausgehe, während sein Chef drüben Nachrichtenagenturen wie AP aus dem Weißen Haus ausschloss, weil sie sich weigerten, vom Golf von Amerika zu sprechen. 

Das imperiale Großmannsgehabe feiert ein Comeback 

Es ist ein offenes Geheimnis, dass Wladimir Putin ein Vorbild von Donald Trump ist. Er ist in Russland den Weg gegangen, den nun Trump mit den USA gehen will. Den Weg in eine knallharte Autokratie. Dank des jahrelangen Anschauungsunterrichts kann Trump dabei vor allem eines, nämlich: schneller sein. Er muss nicht, wie einst Putin 2001 im Deutschen Bundestag, so tun, als wolle er "eine neue Seite in der Geschichte unserer bilateralen Beziehungen aufschlagen" und vom gemeinsamen "Aufbau des europäischen Hauses" sprechen. Er kann Europa einfach direkt links liegenlassen und es vom "player" zum "payer" machen, wie der Politikwissenschaftler Herfried Münkler schreibt.

Das imperiale Großmannsgehabe feiert ein Comeback wie zuletzt die Rolling Stones. Und mit denen verbindet dieser Gestus noch etwas: Er war nie wirklich weg. Er hatte sich nur vorbereitet auf seinen nächsten großen Moment. 

Die selbst ernannten Progressiven Europas ließen sich in den Jahrzehnten seit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1991 von sich selbst und ihrer eigenen romantischen Idee blenden, wonach das Hilfreiche, Edle und Gute, als das sie sich in grandioser Selbstüberschätzung schon immer vor allem selbst sahen, nun planetar – oder, wie man heute sagt, global werden könne. Respekt, Anerkennung, Demokratie, Gemeinsinn. All die schönen Worte aus dem Stehsatz der gut gemeinten Beteuerungen waren die Luft nicht wert, in die sie hineingerufen worden waren. 

Dass der damals mittelalte weiße Mann Putin 2001 eigentlich genau dasselbe sagte wie heute, das hatte man im postimperialen Europa nicht wirklich hören wollen. 

Ein Satz meiner Kindheit: "Der Russe steht vor der Tür"

Später erst war Europa schockiert über Putins wahre Absichten. 2007 auf der Münchener Sicherheitskonferenz und dann zwei Monate vor Beginn des Ukrainekrieges, als er in zwei Vertragsentwürfen ans Weiße Haus und die Nato in Brüssel aufschrieb, was mit Europa passieren soll: Westeuropa soll sich militärisch neutralisieren, die USA ziehen sich aus Europa zurück und die demokratische Entwicklung Osteuropas wird zurückgedreht. Damit würden die Europäer Russlands Vasallen. Wahrscheinlich würden sie dann in Leichtrussen umbenannt.

Nun, da die USA drauf und dran sind, sich aus Europa zurückzuziehen, ist dieser Moment realistischer als gedacht. Der Satz meiner Kindheit "Der Russe steht vor der Tür" kriegt eine beklemmende Aktualität. Heute muss hinzukommen: "Und dem Ami ist das vollkommen wumpe!"

Trotz aller "Weckrufe", wie es jetzt, nach Vances Münchener Rede zum gefühlten 500. Mal hieß, schläft Europa weiter vor sich hin und wann immer ein Weckruf ertönt, drückt man hier noch einmal die Snooze-Taste und denkt: "Ach komm, noch zehn Minuten Weltgeschichte verschlafen … und dann nochmal zehn und nochmal zehn." Und irgendwann kommt die Wirklichkeit rein und sagt: "Sorry, ist 5 nach 12." Und wir Europäer sagen: "Echt? Schon Mittagessen?" – "Nee, gibt leider gar nix mehr zu essen. Und Putin will den Wecker haben!"

Florian Schroeder, geboren 1979, ist Satiriker, Autor und Publizist. Er studierte Germanistik und Philosophie in Freiburg. In der ARD hostete er bis 2023 die Sendungen "Spätschicht", "Die Florian Schroeder Satireshow" und "Schroeder darf alles". Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zum Beispiel "Unter Wahnsinnigen. Warum wir das Böse brauchen." Ab dem Frühjahr ist er mit seinem Bühnenprogramm "Endlich Glücklich" auf Tour. Seit Juni 2024 hat Schroeder die Videokolumne "Kurz und schmerzhaft" auf stern.de. Hier finden Sie alle bisherigen Beiträge.

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