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Köln: Kampf gegen polizeiliche Videoüberwachung



Die Polizei hat in Köln in immer größerem Umfang Videoüberwachung ausgerollt. Gegen die Kameras, die Plätze und Kieze überwachen, wehrt sich die Initiative „Kameras stoppen“. Mit Erfolg: Ein erstes Urteil des Verwaltungsgerichts schränkte die Videoüberwachung ein. Wir sprechen mit Calvin Baus, der auf dem Klageweg gegen Kameraüberwachung kämpft.

Mehrere Kameras an einer HauswandKameras zur Videoüberwachung an einer Hauswand am Vorplatz des Kölner Dom. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Horst Galuschka

Die ehrenamtliche Initiative Kameras stoppen ist ein Zusammenschluss von Menschen, die gegen Überwachung kämpfen und polizeiliche Videoüberwachung grundsätzlich in Frage stellen. Seit 2018 führt die Initiative Gerichtsverfahren, um die ab 2016 in Köln eingeführte polizeiliche Videoüberwachung des öffentlichen Raumes rückgängig zu machen.

Nach einer öffentlichen Verhandlung im November 2024 erging ein erstes Urteil des Verwaltungsgerichts Köln. Die Aktivisten konnten damit einen Teilerfolg verbuchen: Etwa ein Drittel der Videoüberwachungsanlagen müsste demnach wieder abgebaut werden.

Die Überwachung bleibt nach der Entscheidung des Gerichts zwar grundsätzlich rechtmäßig, ist für sieben Videoüberwachungsbereiche aber zu groß bemessen. In einigen mitüberwachten Nebenstraßen müsste die Videoüberwachung daher beendet werden. Der Rechtsstreit wird jedoch beim Oberverwaltungsgericht NRW in Münster erneut verhandelt werden: Beide Seiten haben Berufung eingelegt.

Calvin BausCalvin Baus - CC-BY 4.0

Calvin Baus ist Informatiker und Teil der Initiative „Kameras stoppen“ gegen Videoüberwachung. Seit 2020 ist er an der juristischen Auseinandersetzung in Köln beteiligt. Er is auch Mitorganisator der FrOSCon, einer der Sprecher des CCC und engagiert sich in der europäischen Kampagne Reclaim your Face.

Im Podcast Chaosradio in der Reihe Dicke Bretter von Elina Eickstädt, Elisa Lindinger und Constanze Kurz gibt Calvin Baus Auskunft über die Klageverfahren und darüber, wie man solche Gerichtsverfahren initiiert und führt. Ein Teil des Podcast-Gesprächs ist hier verschriftlicht.


Wirklich dicke Bretter

Elina Eickstädt: Wir wollen mit Calvin Baus über strategische Klagen sprechen. Calvin ist Teil einer Initiative, die „Kameras stoppen“ heißt. Was ist das Ziel?

Calvin Baus: Wir haben „Kameras stoppen“ schon vor einiger Zeit in Köln gegründet. Die Initiative wendet sich gegen Videoüberwachung im öffentlichen Raum, vor allem durch staatliche Institutionen, hier in Köln auch gegen die Polizei. Das gesamte Verfahren, in dem wir juristisch dagegen vorgehen, zieht sich schon sehr lange.

Constanze Kurz: Ende letzten Jahres gab es vor dem Verwaltungsgericht Köln dazu eine mündliche Verhandlung und ein Urteil. Ihr wendet euch gegen die polizeiliche Videoüberwachung, die seit 2016 läuft. Das sind also fast neun Jahre.

Elina Eickstädt: Wogegen genau klagt ihr in Köln?

Calvin Baus: Es sind wirklich dicke Bretter, die wir bohren. Wir haben insgesamt über 1.500 Seiten schriftsätzliches Material, ich glaube, das sind über zehn Leitz-Ordner.

In der Silvesternacht in Köln von 2015 auf 2016 gab es viele Missbrauchsübergriffe im Bereich um den Dom. Die Polizei aus Köln und aus Nordrhein-Westfalen hat versagt darin, rechtzeitig die passenden Maßnahmen einzuleiten, um die Leute zu schützen oder sich darum zu kümmern, dass die Übergriffe gestoppt werden. In der Folge der Aufarbeitung gab es dann den Willen: Jetzt müssen wir was machen.

Dann wurden einige Maßnahmen beschlossen. Eine davon ist zum Beispiel die Videoüberwachung, die nochmal konkreter ausgebaut wurde: an der Vorderseite des Kölner Hauptbahnhofs. Da ist dann die Videoüberwachung im März 2016 gebaut worden.

Constanze Kurz: War die entgleiste Silvesterparty der ausschlaggebende Grund?

Calvin Baus: Auf jeden Fall ist das eine zeitliche Korrelation. Wenn man die Hardware betrachtet, liefert die auch im Dunkeln wohl einigermaßen brauchbare Bilder.

„Das ist mit Kriminalitätsbekämpfungsmaßnahmen nicht zu begründen“

Constanze Kurz: Es geht also um den Kölner Hauptbahnhof und die Domplatte. Welche Bereiche noch?

Die Videoüberwachungsbereiche in der Innenstadt von Köln.Die Videoüberwachungsbereiche in der Innenstadt von Köln. - Alle Rechte vorbehalten Kameras stoppen

Calvin Baus: Nachdem die Videoüberwachung dort ausgebaut war, wurden weitere Plätze mit Kameras ausgestattet. Dazu gehört die Kölner Party-Szene auf den sogenannten Ringen. Später wurde die Videoüberwachung auch gegen die Drogenkriminalität in Stellung gebracht. Deshalb wurde sie auf dem Ebertplatz und dem Neumarkt weiter ausgebaut.

Noch später ging der Ausbau weiter mit dem Wiener Platz in Köln. Das war für uns eine Überraschung, weil das ein Platz ist, der außerhalb vom Innenstadtbereich ist. Die letzte Ausweitung geschah dann letztes Jahr in Kalk. Die Videoüberwachung in Kalk ändert die Dimension, weil auch ein Wohnviertel betroffen ist.

Elina Eickstädt: Das betrifft also Wohngebiete. Mit welcher Begründung wird die Kameraüberwachung in Wohngebiete ausgeweitet?

Calvin Baus: Das Viertel, in dem die Videoüberwachung ausgebaut wurde, hat soziale Probleme. Man sieht auch einige Obdachlose dort im Straßenbild. Es gibt Drogenkriminalität, das ist auch bekannt in Köln.

Sie haben die Videoüberwachung allerdings deutlich über diese Hotspots hinaus ausgeweitet, auch in den nächsten Stadtteil Humboldt-Gremberg hinein. Das ist mit Kriminalitätsbekämpfungsmaßnahmen nicht zu begründen und einfach nicht sinnvoll.

Stück für Stück erweitert

Constanze Kurz: 2016 ist die Kameraüberwachung im öffentlichen Raum eingeführt worden, die mittlerweile in Wohngebiete hineinreicht. Habt ihr bei jedem weiteren Ausbau jeweils eure Klage erweitert? Wie läuft das praktisch, wenn bereits eine Klage läuft?

Calvin Baus: Die Polizei hat die Videoüberwachungsbereiche Stück für Stück erweitert, beginnend mit der Videoüberwachung am Hauptbahnhof. Die Klage dagegen hat sich lange gezogen, die Kammer, die das entscheiden sollte, hat nicht besonders schnell gehandelt. Mittendrin wurden aber schon weitere Videoüberwachungsbereiche ausgebaut.

Wir stellen die Videoüberwachung ja grundsätzlich in Frage. Aber bevor das entschieden wurde, ändert die Polizei durch weitere Maßnahmen die Realität, obwohl das Ergebnis noch nicht festgestellt ist. Man hat dann die Möglichkeit, ein Eilverfahren anzustrengen, um eine vorläufige Entscheidung zu erwirken, bis das in der Hauptsache geklärt ist.

Das haben wir mit verschiedenen Kölner Plätzen gemacht: Wir haben die Eilverfahren beim Ebertplatz, Neumarkt und Breslauer Platz angestrebt, nachdem die Plätze weiter mit Videoüberwachung bebaut wurden. Mit dem Eilverfahren gibt es dann einen Vorentscheid.

Unterdessen Fakten geschaffen

Elina Eickstädt: Wo waren eigentlich die Datenschutzbehörden, als die Polizei gesagt hat, wir rollen hier die Videoüberwachung aus?

Calvin Baus: Die zuständige Datenschutzaufsichtsbehörde ist die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen. Sie hat sich damit beschäftigt. Es gab am Anfang, nachdem das gebaut wurde, eine Kontrolle der Datenschutzbeauftragten und Beanstandungen.

Eine der Beanstandungen war, dass die Videoüberwachung nicht rund um die Uhr notwendig sei. Es sei ausreichend, um den Zweck zu erfüllen, wenn man in bestimmten Belastungszeiten überwacht, etwa wenn viel passiert, zum Beispiel in den Abend- und Nachtstunden. Nach Auffassung der Datenschutzbeauftragten sollte die Videoüberwachung zeitlich eingeschränkt werden.

Sonst haben wir nicht erkennen können, dass die Datenschutzbeauftragte besonders viel unternommen hat. Was genau sie getan hat, haben wir per Informationsfreiheitsgesetz erfragt. Wir haben ein paar Dokumente zurückbekommen, die zeigen, dass es eine Prüfung gab mit dem Hinweis, hier müssten Dinge verbessert werden.

Man sieht, dass die Polizei sich sehr viel Zeit lässt, diese Verbesserungen umzusetzen. Teilweise sind sie auch gar nicht umgesetzt worden.

Zahnlose Datenschutzbehörde

Constanze Kurz: Eure Klage ist vom Juli 2018. Die Überwachung an Bahnhöfen ist in den acht Jahren, die jetzt vergangen sind, enorm gewachsen. Das Bundesministerium das Innern und die Deutsche Bahn haben dazu aktuelle Zahlen veröffentlicht: Wir haben derzeit in bundesdeutschen Bahnhöfen, nämlich an allen 750 großen Bahnhöfen, 11.000 Kameras.

In der Zeit, in der ihr den Klageweg mühsam gegangen seid, sind Fakten geschaffen worden. 180 Millionen hat der Bund investiert. Wie siehst du diese geschaffenen Fakten?

Calvin Baus: Die Videoüberwachung wird als Allheilmittel angesehen. Wir versuchen hingegen, juristisch grundsätzliche Dinge feststellen zu lassen. Es geht ja um Grundrechte, also das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, aber auch das Recht auf freie Meinungsäußerung, insbesondere in Bezug auf Versammlungen. Die Idee hinter unseren Klagen ist, dass wir unsere Grundrechte stärken.

Wie man vorgeht

Elina Eickstädt: Wie macht man eigentlich so eine Klage? Wenn Wohngebiete auch betroffen waren, habt ihr mit Betroffenen gearbeitet? Wie seid ihr vorgegangen?

Calvin Baus: Wenn es um Wohngebiete geht, ist es sinnvoll, die passenden Betroffenen zu finden. Aber bei uns fing es ja schon vor dem Ausbau in die Wohngebiete an. Es ging anfangs vor allem um Hauptbahnhof und die Gebiete um den Dom. Der Kläger ist politisch aktiv, nimmt an Versammlungen teil. Er hat sich einfach von der Videoüberwachung gestört gefühlt, da Versammlungen gern am Hauptbahnhof und am Dom vorkommen, und sich entschieden, dagegen vorzugehen, auch damit der Ausbau nicht weiter eskaliert.

Man braucht verschiedene Mittel, um sowas stemmen zu können. Da ist natürlich immer die Frage des Finanziellen, weil Klagen Geld kostet. Man muss Rechtsbeistände finden und bezahlen, man muss die Gerichte bezahlen. Es hilft, gute Kontakte in lokale aktivistische Gruppen zu haben, die einen dabei unterstützen.

Constanze Kurz: Was wisst ihr darüber, was an Kameras verbaut ist und was technisch im Hintergrund läuft?

Calvin Baus: Am Anfang wussten wir gar nicht so viel darüber. Wir haben die Kameras gesehen, die sahen beeindruckend aus. Wenn man sich so eine Kamera anschaut, die aktuell in Köln verbaut ist, dann sieht man einen weißen Kasten. Da ist keine kleine Kamera drin, die man vielleicht als Webcam benutzt, sondern ein Gerät mit acht Objektiven. Das ist eine deutlich leistungsfähigere Hardware, als man sie vielleicht von Überwachungskamera aus den U-Bahnen kennt.

Wir haben im Klageverfahren einiges über diese Kameras und den Anbieter der Videoüberwachung gelernt. Der Hersteller steht auch auf den Geräten drauf und heißt Dallmeier.

Eine der zentralen Fragen, die uns bewegt haben, war: Wird die Videoüberwachung bei einer Versammlung ausgeschaltet oder nicht? Und wenn ja, kann die Polizei das nachweisen? Über Auskunftsrechte, die wir geltend gemacht haben, erhielten wird Protokolle und Datenblätter von der Polizei zurück, nach mehrfachem Bitten und Nachhaken.

So bin ich da reingerutscht, denn irgendwann stand der Kläger bei uns beim CCC Köln vor der Tür und hat uns diese Protokolle hingehalten. Er hat gefragt, ob ihm das bitte jemand erklären könne. Dann habe ich mir die Dokumente und technischen Daten angeguckt.

Constanze Kurz: Was ist mit Verarbeitung der eigentlichen Videosignale?

Calvin Baus: Wir konnten die Datenblätter vom Hersteller sehen, auswerten und begutachten. Dieses vorhin beschriebene Kamera-Modell in der Größe eines Schuhkartons und mit den mehreren Objektiven ist eine Multifokus-Kamera: In einem Gehäuse sind mehrere Objektive mit eigenen Fotosensoren. Oben sind Objektive mit einem Zoom als Teleobjektive, die weit in einen Raum hineingucken können. Dann sind noch Objektive drin, die eine Übersichtsaufnahme erstellen können. Die Kameras können also einen sehr großen Bereich abdecken.

Diese Übersichtsobjektive, die immer im Hintergrund laufen, ermöglichen eine Flächenüberwachung. Auch im Nachhinein kann man in einen Bereich reinzoomen. Das macht das Überwachungspotential nochmal höher: Jederzeit kann man im Prinzip zeitlich wieder zurückspulen und woanders reinzoomen.

Interviews

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Constanze Kurz: Wie ist es mit der Auswertung der Daten, ist irgendeine Automatisierung dabei?

Calvin Baus: Die Polizei sagt – auch in den Gerichtsverfahren –, dass keine automatisierte Auswertung vorhanden ist. Wir sehen beim Hersteller allerdings, dass unterschiedliche Funktionen von automatisierten Auswertungen angeboten werden. Sie wirken jedoch manchmal unausgegoren, etwa bei der Gesichtserkennung. Aber die Polizei sagt ganz vehement: Das machen wir nicht.

Die Polizei hat einen Recording-Server-Computer, der die ganzen Aufzeichnungen speichert, und ein paar Arbeitsplätze, wo man die Videobilder live beobachten und die Kameras drehen, neigen und zoomen kann.

Schon 2003 von Rot-Grün eingeführt

Elina Eickstädt: Siehst du das Potential, dass Köln eine Art von Verhaltensmusterauswertung bekommt?

Calvin Baus: Stand heute ist das einfach standardmäßige Videoüberwachung: Man kann an einem Bildschirm beobachten, die Kameras zeichnen auf und man kann sich das Material speichern.

Wenn die Kameras ausgebaut werden, dann können wir das im Stadtbild gut sehen: Da sind neue Masten, da sind Kameras, sie überwachen Plätze. Aber wenn jemand hinten an diesen Recording- und Beobachtungsplätzen neue Geräte dazustellt, durch die dann die Datenströme fließen, das werden wir nicht sehen.

Da müssen wir hoffen, dass die Polizei sagt, dass neue Maßnahmen etabliert wurden.

Constanze Kurz: Polizei ist ja Ländersache, dafür müsste man eine gesetzliche Grundlage schaffen. Da der Wind sich bei der Videoüberwachung gedreht hat, würde man zumindest bei euch im Bundesland auch durchaus Mehrheiten finden, um eine gesetzliche Grundlage zu schaffen. Ist das realitätsrelevant?

Calvin Baus: Die Geschichte der Videoüberwachung beginnt hier im Polizeigesetz NRW und dort konkret im Paragraph 15a Polizeigesetz. Sie wurde 2003 von Rot-Grün eingeführt, aber auf fünf Jahre befristet. Genau 2008, also am Ende der Frist, wurde dann die Videoüberwachung von Schwarz-Gelb verlängert bis 2013. Nachdem das bis 2013 verlängert wurde, ging es dann unter Rot-Grün wieder bis 2018 weiter. 2018 hat die schwarz-gelbe Landesregierung die Videoüberwachung entfristet. Man schleppt so eine Regelung über zwanzig Jahre mit, um es am Ende zu entfristen, denn das hat ja niemandem geschadet.

Constanze Kurz: Kamen zur öffentlichen Verhandlung im November 2024 auch Pressevertreter?

Calvin Baus: Es waren bei der Verhandlung Vertreter der Presse dabei, vor allem am Anfang mit Kameras. Es gab auch einiges an Publikum, aber niemand der anwesenden Personen hat die sieben oder acht Stunden Verhandlung bis zur Urteilsverkündung durchgehalten. Am Ende, als der Gerichtssprecher zum Beispiel durch den Saal gelaufen ist, um die Pressemitteilung zu verteilen, gab es niemanden, der diese Pressemitteilung haben wollte, weil von der Presse keiner mehr da war.

Constanze Kurz: Welche verschiedenen Verfahren sind für das Urteil in dem Gerichtsverfahren zusammengezogen worden?

Calvin Baus: Wir haben wir die Klage eingereicht gegen die Videoüberwachung in Köln für alle Plätze, die zu dem Zeitpunkt überwacht wurden. Alle Orte sind in die Klage eingegangen. Sobald ein weiterer Platz mit überwacht wurde, haben wir die Klage erweitert. Irgendwann ist das Gericht hingegangen und hat gesagt: Moment, die Plätze müssen wir eigentlich einzeln betrachten, das können wir nicht in einem Verfahren machen. Dann gab es einen Trennungsbeschluss. Mit diesem Trennungsbeschluss gab es dann eine neue Klage pro Platz, der videoüberwacht wird, also ein Verfahren mit eigenem Aktenzeichen. Dann hatten wir statt einer Klage mit Eilverfahren auf einmal sechs Hauptsache-Verfahren mehr an der Backe.

Constanze Kurz: Auch mit den entsprechenden Kostenrisiken?

Calvin Baus: Genau.

Die Maximalforderung

Constanze Kurz: Was war eure Maximalforderung und was habt ihr hilfsweise gefordert?

Calvin Baus: Unsere Maximalforderung war, dass die Videoüberwachung vollständig eingestellt werden muss: Sie wird komplett zurückgebaut und ist dann weg. Hilfsweise haben wir verschiedene Dinge gefordert, zum Beispiel die Videoüberwachung zeitlich einzuschränken oder auch örtlich, damit bestimmte Bereiche eingeschränkt werden müssen.

Constanze Kurz: Wie lautete das Urteil?

Calvin Baus: Wir haben einen guten Erfolg erzielt. Wir sind mit unserer Maximalforderung nicht durchgekommen, aber haben doch einiges gewonnen. Hauptsächlich wurde entschieden, dass die Örtlichkeit eingeschränkt werden muss. Das Verwaltungsgericht hat gesagt: Ungefähr ein Drittel der Plätze, die videoüberwacht werden, dürfen nicht mehr videoüberwacht werden. Das ist schon ein signifikanter Teil. Das Besondere an diesem Ergebnis ist auch, dass eine klagende Anwohnerin, die in Kalk lebt, persönlich dadurch richtig gewonnen hat.

Teilerfolg bei Klage gegen Videoüberwachung

Constanze Kurz: Werdet ihr nun den Instanzenweg suchen? Wie hat die Polizei oder vielleicht sogar die Politik auf das Urteil reagiert?

Calvin Baus: Bei der Politik habe ich nicht viel vernommen. Aber die Presse hat größtenteils geschrieben, dass die Videoüberwachung in Köln zu großflächig ist. Es hat uns auch ein bisschen überrascht, dass die Presse durchaus stärkere Kritik an der Videoüberwachung durchklingen lässt und dass das eher als Problem dargestellt wird und nicht als die Lösung.

Von der Polizei selbst haben wir keine Äußerungen, außer dass sie das Urteil prüfen werden. Die Reaktion ist, dass sie Berufung in allen Fällen, also in allen Verfahren eingelegt haben.

Das heißt, egal ob wir jetzt sagen würden, dass uns das Ergebnis zufriedenstellt und wir es dabei belassen, das geht nicht. Das ist vorbei, weil die Polizei Berufung eingelegt hat und das Verfahren in die nächste Instanz zwingen wird, ob wir darauf Lust haben oder nicht.

Constanze Kurz: Hättet ihr denn darauf Lust?

Calvin Baus: Das Zwischenergebnis ist schon gut. Wir reden jetzt natürlich auch davon, dass wir über sieben Jahre an diesem Thema dranhängen. Es ist ein anstrengendes Projekt, was durchaus Zeit und Energie und Ressourcen bindet. Wir sind eher im Nachteil verglichen mit der Polizei, weil sie als Behörde genug Ressourcen hat.

Aber wir haben entschieden, dass wir auch in Berufung gehen. Wir wollen in der Berufungsverhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht NRW die Themen, mit denen wir nicht zufrieden sind, nochmal aufgreifen.

Wir können nicht komplett neue Sachverhalte oder Argumente in das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht einbringen. Wir müssen uns darauf stützen, was bisher diskutiert wurde. Da geht es natürlich um die zeitliche Dimension von der Videoüberwachung. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass 24 Stunden an sieben Tagen die Woche nicht verhältnismäßig ist. Die überwachten Flächen werden wir auch nochmal angreifen.

Es geht zum Beispiel auch um die Speicherdauer. Das Material wird vierzehn Tage lang gespeichert nach der Aufzeichnung. Wir finden, dass das zu lange ist.

Wir kennen die Berufungsgründe noch nicht. Wir wissen also noch nicht, welche Punkte die Polizei angreifen wird.

Elina Eickstädt: Was würdest du jemandem mitgeben wollen, der sich auch eine Klage überlegt? Was sollte man beachten?

Calvin Baus: Das funktioniert eigentlich nur als Projekt, bei dem mehr als zwei Personen mitziehen. Man sollte eine Gruppe haben, die sich Aufgaben teilen kann, wenn jemand ausfällt.

Parallel muss man auch auf die finanzielle Seite immer schauen und beachten, wie langatmig sowas werden kann. Ma sollte sich vorher klarmachen, dass dieses Thema einen selbst vielleicht die nächsten Jahre dominieren wird.

Elina Eickstädt: Vielen Dank für das Gespräch, Calvin! Und noch eine herzliche Einladung: Schaut bei kameras-stoppen.org vorbei, wenn ihr weitere Informationen zu diesen Prozessen haben wollt.


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