Friedrich Merz braucht für das Schuldenpaket eine Zweidrittelmehrheit, sonst wackelt seine geplante Kanzlerschaft. Ein Ex-Vertrauter stellt sich gegen ihn – andere könnten folgen.
Er war einmal sein Hoffnungsträger. Nun könnte er zur größten Gefahr für Friedrich Merz werden: Mario Czaja, 49, scheidender Bundestagsabgeordneter für den Berliner Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf.
Czaja gehört zu den insgesamt 197 Abgeordneten von CDU und CSU im Bundestag, die am Dienstag gemeinsam mit den anderen Fraktionen über das von SPD und Union geplante Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro sowie die Schuldenbremsen-Ausnahme für Verteidigung abstimmen. Weil das nur per Grundgesetzänderung geht, bedarf es einer Zweidrittelmehrheit. Union, SPD und die Grünen, die nach hartem Verhandeln und einigen Zugeständnissen dem Paket zustimmten, verfügen über 520 Stimmen.
Der Puffer ist nur 31 Stimmen groß
Das sind 31 mehr als nötig. Rechnet man saisonübliche Krankheitsausfälle und andere privat bedingte Abwesenheiten ein, ist das nicht sehr viel. Für Merz ist es doppelt wichtig, dass er bei der namentlichen Abstimmung seine Parteifreunde geschlossen hinter sich hat: Zum einen rein rechnerisch, zum andern, weil er die Geschlossenheit auch als Signal für die Koalitionsverhandlungen mit der SPD braucht.
Doch Mario Czaja verweigert sie ihm. Am Sonntag erklärte er gegenüber "The Pioneer", er habe der Fraktion mitgeteilt, dass er nicht für den Schuldenkompromiss stimmen werde. Dieser sei "nicht generationengerecht, und die Begründungen, die dafür herangezogen werden, sind nicht redlich".
Der Erste gegen Friedrich Merz
Montagfrüh legte Czaja auf dem Kurznachrichtendienst X noch einmal nach. Und berief sich dabei auf eine CDU-Koryphäe, den im Dezember 2023 verstorbenen Ex-Finanzminister Wolfgang Schäuble. "Er warnte vor finanzieller Blasenbildung: höhere Schulden = wachsende Zinsbelastungen = höhere Inflation = Taschendieb der kleinen Leute. Wer Geringverdiener und die Mittelschicht vertritt, muss sich gegen solche Neuverschuldung stemmen", schreibt Czaja und meint weiter: "Neues Geld verdeckt nicht nur die Strukturprobleme, sondern verschärft sie am Ende."
Czaja ist damit der erste Unions-Abgeordnete, der sich offen gegen die Pläne von Merz stellt. Das macht es für den Fraktionsvorsitzenden auch so gefährlich. Denn in der Fraktion blicken nicht wenige mit Bauchschmerzen auf das Vorhaben der gigantischen Neuverschuldung. Zumal Merz vor der Wahl immer wieder fest versprochen hatte, an der Schuldenbremse festhalten zu wollen.
Öffentlichen Widerstand hatte aber noch keiner der Unzufriedenen gewagt. Der Brandenburger Abgeordnete Jens Koeppen hatte angekündigt, nicht zur Abstimmung zu erscheinen. Auch andere sollen hadern, zum Beispiel der Wirtschaftspolitiker Klaus-Peter Willsch. Die weitgehenden Zugeständnisse an die Grünen stoßen in der Fraktion auf deutliche Kritik. Durch Czajas Festlegung, so die Sorge im Merz-Lager, könnten kritische Fraktionskollegen sich nun ermutigt fühlen, bei der Abstimmung ebenfalls gegen die schwarz-roten Pläne zu votieren.
Andererseits: Nur wenige in der Union glauben, dass es wirklich in erster Linie inhaltliche Bedenken sind, die Czaja zu seinem Schritt bewogen. Sondern vielmehr Rachsucht und gekränkte Eitelkeit. Czaja hat nichts mehr zu verlieren: Er hat bei der Bundestagswahl sein Direktmandat verloren und war nicht über die Landesliste abgesichert.
Das beeindruckte Merz an Mario Czaja
Dabei hatte sein Verhältnis zu Merz einst gut begonnen. Dieser war bereits vor seiner Wahl zum CDU-Chef im Dezember 2021 auf den Ostberliner aufmerksam geworden, weil Czaja bei der Bundestagswahl desselben Jahres ausgerechnet in der Linken-Hochburg Marzahn-Hellersdorf ein Direktmandat gewonnen hatte.
Ein Ostdeutscher, im Vergleich zum Partei-Altersdurchschnitt noch jung, mit langer politischer Erfahrung und liberalen Überzeugungen: Merz erschien dies eine gute Kombination für seine Regentschaft an der Spitze der CDU. Und so wurde Czaja im Januar 2022 zum Generalsekretär gewählt.
Das bittere Aus für den Generalsekretär
Doch nur anderthalb Jahre später, im Juli 2023, feuerte Merz die Nachwuchshoffnung wieder. Nachfolger wurde Carsten Linnemann, der mittlerweile für einen Posten im künftigen Kabinett als gesetzt gilt.
Öffentlich kam die Entscheidung überraschend, intern hatte es schon länger Unzufriedenheit mit der Arbeit des Generalsekretärs gegeben. Er hatte es nicht vermocht, Akzente zu setzen, blieb farblos. In der Parteizentrale war er wegen seines als "arrogant" beschriebenen Auftretens wenig beliebt.
Umgekehrt berichten frühere Mitarbeiter von Merz, dass dieser bei Entlassungen wenig Wert auf ein einvernehmliches Auseinandergehen legte. Nun könnte es sich für ihn rächen, bei Czaja derart "verbrannte Erde" hinterlassen zu haben.
Merkels Irrtum könnte eine Warnung sein
Vielleicht hätte sich Friedrich Merz an eine Niederlage von Angela Merkel erinnern sollen. Im September 2018 wurde ihr Vertrauter Volker Kauder als langjähriger Fraktionschef abgewählt. Der Finanzexperte Ralph Brinkhaus übernahm damals die Führung. Dieser hatte im Vorfeld jeden Abgeordneten einzeln abtelefoniert. Merkel hatte sich hingegen darauf verlassen, dass ihr Wunsch, Kauder als Fraktionschef zu behalten, schon zum gewünschten Abstimmungsergebnis führen würde, quasi "par ordre de Mutti", wie in der Fraktion gelästert wurde. Ein Irrtum.
Bis Dienstag hat Merz noch die Chance, die Abgeordneten im persönlichen Gespräch von seinem Vorhaben zu überzeugen. Oder er vertraut darauf, dass in der Union noch genug Kanzlerwahlverein steckt, um Czaja zu einem Einzelfall zu machen.