Die #Chatkontrolle wird in Zukunft von jemand anderem forciert werden. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson, die das Projekt mit allen Mitteln durchsetzen wollte, ist nicht wieder nominiert worden. Ein Kommentar zum Abschied.
Politische Auseinandersetzungen sind oftmals mit Gesichtern verbunden. Bei der Chatkontrolle war eines der Gesichter die schwedische Sozialdemokratin Ylva Johansson. Sie war seit Winter 2019 EU-Innenkommissarin, also die Innenministerin Europas – und damit die große Gegenspielerin von Bürgerrechtsorganisationen und der europäischen Digitalszene. Nun hat Schweden Jessika Roswall für die EU-Kommission nominiert – für welches Amt ist noch nicht bekannt. Damit ist klar, dass Ylva Johansson nicht im Amt bleiben wird.
Die Einführung der Chatkontrolle war eines von Johanssons politischen Großprojekten und offenbar auch eine Herzensangelegenheit, bei der die Politikerin nicht nur einmal den politischen Anstand und das Fingerspitzengefühl beiseite ließ. Für die Chatkontrolle, die Online-Diensten vorschreiben soll, private Inhalte der Nutzer zu durchleuchten, begab sie sich mehrfach und lange in extreme Nähe zu Lobbyorganisationen, machte Bilder und Videos für diese und ermöglichte Lobbyisten einen schnellen und direkten Zugang zu ihrem Amt. Dokumente der EU-Kommission über Treffen mit Lobbyorganisationen gab sie auch nach Beschwerden der EU-Bürgerbeauftragten nicht an Journalisten heraus.
Lügen und irreführende Werbung
Als der Gegenwind für das Projekt Chatkontrolle zunahm, schaltete sie mittels umstrittenem Microtargeting irreführende Werbung auf Twitter. Johansson wollte die Chatkontrolle mit der Brechstange durchsetzen, da war ihr fast jedes Mittel recht. Sie ignorierte die breite Kritik, traf sich nicht mit Gegnern der Chatkontrolle und wurde nicht nur einmal der Lügen und irreführenden Aussagen überführt. In Debatten und Sitzungen wiederholte sie gebetsmühlenartig und oft schwer erträglich ihre Version der Chatkontrolle, die angeblich konform mit Grundrechten sei. Dabei malte sie Schreckensbilder an die Wand, versuchte ihre Gegner mit Kinderleid für mehr Überwachung zu erpressen.
Letztlich hat sich der ganze Einsatz nicht gelohnt, Johansson ist bei der Chatkontrolle gescheitert. Die Chatkontrolle wird ihr großer Misserfolg als EU-Kommissarin bleiben, bis zuletzt gab es keine Zustimmung für den gefährlichen Vorschlag. Aus Sicht der Grund- und Freiheitsrechte ist das und auch der Abschied von Johansson eine gute Nachricht. Dass danach allerdings jemand kommt, der die Privatsphäre mehr achtet oder gar Abstand von den Plänen nimmt, ist leider nicht zu erwarten.
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