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Ukraine-Hilfen: Merz' Milliardenproblem – helfen SPD und Grüne ihm aus der Patsche?



Geht da was? Noch-nicht-Kanzler Friedrich Merz kann sich neue Schulden plötzlich vorstellen – allerdings drängt die Zeit. Ausgerechnet der SPD-Finanzminister springt ihm bei.

Jetzt also doch. Schon einen Tag nach der Bundestagswahl macht Friedrich Merz plötzlich Tempo, um an frisches Geld zu kommen. Am Montag bei einer Pressekonferenz hatte der Unionskanzlerkandidat eine rasche Reform der Schuldenbremse oder die Einrichtung eines Sondervermögens für die Ukrainehilfen durch das alte Parlament nicht länger ausgeschlossen.

Die Idee hatten vorher die Grünen öffentlich geäußert. Selbst in seiner eigenen Partei sorgte Merz mit seiner Offenheit erstmal für Verwunderung, teils Kopfschütteln. Und zwei Fragen: Was genau meint der Parteivorsitzende? Und geht das überhaupt? SPD-Finanzminister Jörg Kukies sagt dem stern: geht. Aber auch nur, wenn jetzt Tempo gemacht werde. 

Was hat Friedrich Merz vorgeschlagen?

Merz hat keinen eigenen Vorschlag unterbreitet, sondern auf eine Nachfrage eines Journalisten am Montag in einer Pressekonferenz reagiert. Der aktuelle Bundestag sei noch bis einschließlich 24. März beschlussfähig, sagte Merz nach Beratungen der CDU-Parteigremien. "Das heißt also, wir haben jetzt noch vier Wochen Zeit, darüber nachzudenken." Dies wolle er aber zurzeit nicht öffentlich tun.

Doch in diesem Moment war es zu spät und die Debatte da. Zumal Merz nicht konkretisierte, ob es ihm um eine Schuldenbremsenreform oder ein neues Sondervermögen ging. Sein Erster Parlamentarischer Geschäftsführer Thorsten Frei stellte am Dienstagmorgen im "Deutschlandfunk" klar, dass eine so schnelle Reform der Schuldenbremse mit der Union weiterhin nicht zu machen sei. 

Angesichts der hochdynamischen außenpolitischen Veränderungen wolle er nicht ausschließen, dass sehr schnell Entscheidungen im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik notwendig seien, ergänzte Frei aber. Dies ist nach stern-Informationen als Öffnung für ein Sondervermögen zu verstehen oder eine Ausnahme für den Verteidigungsetat von der Schuldenbremse. Das hatte auch Merz während seiner Antwort am Montag im Sinn, heißt es in der Partei. Im Gespräch ist ein Sondervermögen von bis zu 300 Milliarden Euro.

Warum plötzlich die Eile?

Die Union argumentiert mit einer Notwehrsituation. Nach den jüngsten Aussagen der US-Administration, insbesondere bei der Münchner Sicherheitskonferenz, sei der Schutz im Kreis der Nato nicht mehr sichergestellt. Das habe die bisherige Situation fundamental geändert, heißt es aus der Partei.

Das ist jedenfalls die offizielle Lesart. Denn Merz dämmert offenbar, dass ihm die Zeit davonrennt – oder eine Mehrheit, die dabei mitmachen könnte. 

Bis sich der neue Bundestag am 25. März konstituiert, gelten noch die Mehrheitsverhältnisse der 20. Legislaturperiode: Stärkste Kraft ist die SPD, dicht gefolgt von der Union. Und, das ist der entscheidende Punkt: Im "alten" Bundestag wäre, salopp gesagt, das Schuldenmachen deutlich unkomplizierter.        

Denn im neu gewählten Parlament kommen die erstarkte AfD-Fraktion und die Linksfraktion gemeinsam auf ein Drittel aller Parlamentssitze. Damit haben ausgerechnet die beiden politischen Erzfeinde gemeinsam eine Sperrminorität – und könnten Änderungen im Grundgesetz blockieren. Diese wäre notwendig, wollte man beispielsweise ein zweites Sondervermögen (siehe nächster Punkt) aufsetzen. 

Rolf Mützenich, der scheidende SPD-Fraktionschef, ist angesichts Merz‘ neuer Offenheit irritiert. Er wundere sich über die letzten Stunden, sagte er am Dienstag, "wie schnell man das Rad neu erfinden kann". Die SPD habe seit Monaten gemahnt, hier aktiv zu werden – und sei stets auf Gegenwehr von CDU/CSU gestoßen.

Welche Wege dafür gibt es?

Für große Milliardensummen im Grunde genommen nur zwei. Einen davon hat Olaf Scholz in seiner "Zeitenwende"-Rede eingeschlagen: ein Sondervermögen. Dabei handelt es sich, grob gesagt, um einen Schuldentopf, der außerhalb des Bundeshaushalts installiert wird. Allerdings muss ein solches Sondervermögen mit einem bestimmten Zweck – etwa zur Aufrüstung der Bundeswehr – verknüpft werden. Anderweitige Ausgaben wären also nicht erlaubt. Damit die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse für das Sondervermögen nicht gilt, muss der Sondertopf folglich auch grundgesetzlich davon ausgenommen werden. Es braucht also eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag.

Die andere Möglichkeit ist die Schuldenbremse selbst anzufassen, beispielsweise den bisher zulässigen Kreditrahmen auszuweiten. Auch für eine Reform der Schuldenbremse wäre eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag nötig, um entsprechende Änderungen an dem Instrument – das ja im Grundgesetz verankert ist – vornehmen zu können.

Jörg Kukies, der noch amtierende SPD-Finanzminister, mahnt im stern daher zu raschen Gesprächen. Die Zeit bis zur Konstituierung des neuen Bundestags sei "denkbar knapp für ein solch komplexes Vorhaben", sagte er. "Deshalb müssen nun die Fraktionen des Deutschen Bundestags schnell die nötigen Gespräche aufnehmen." 

Der Sozialdemokrat hält eine Änderung des Grundgesetzes "rein rechtlich gesehen" für möglich, um eine Reform der Schuldenbremse oder die Einrichtung eines neuen Sondervermögens umzusetzen. "Denn der jetzige Bundestag ist bis zur Konstituierung des neuen Bundestages voll handlungsfähig", sagte Kukies dem stern, "er verfügt über alle Rechte." Dies schließe auch eine Grundgesetzänderung ein. 

Warum fehlt plötzlich so viel Geld?

Das Geld fehlt nicht plötzlich, sondern schon lange. Allein im laufenden Haushaltsjahr fehlt eine zweistellige Milliardensumme. Die alte Regierung hatte auch deshalb keinen Haushalt mehr verabschiedet, sondern war genau über diese Frage zerbrochen. Die Union hatte einen neuen Notlagenbeschluss immer abgelehnt. Auch eine Reform der Schuldenbremse wollte man bisher entweder gar nicht oder nur für die Finanzen der Bundesländer.

Nun aber muss Friedrich Merz regieren. Die Union hat Steuererleichterungen versprochen. Nicht sofort, nein, sondern stufenweise. Aber schon in wenigen Jahren würde das rund 90 Milliarden Euro kosten. Jedes Jahr. Dazu müssen die Verteidigungsausgaben deutlich erhöht werden, so sieht man es zumindest in der Union. Und in den großen Partnernationen, Frankreich, Großbritannien, Polen. 

Die in der Nato beschlossenen Verpflichtungen würden eine Erhöhung des Verteidigungsetats auf rund 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bedeuten. 2024 lagen die Ausgaben bei 90 Milliarden Euro, was rund 2,1 Prozent des BIP entsprach. Die neuen Summen lägen also deutlich im dreistelligen Milliardenbereich. Das gilt als nicht finanzierbar aus dem normalen Haushalt.

Hinzu kommt: Das alte Sondervermögen für die Bundeswehr ist längst verplant. Noch ist Geld da, gerade für die Bundeswehr. Viele Aufträge wurden gerade erst ausgelöst, laufen noch mehrere Jahre. Der Zeitdruck entsteht vor allem deshalb, weil die Union Angst vor der Sperrminorität von Linken und AfD hat.

Was kann ein neues Parlament beschließen?

Theoretisch vieles, aber praktisch sind die bereits genannten Milliarden-Möglichkeiten – die Schuldenbremsen-Reform und das Sondervermögen – eigentlich nicht zu machen. Stichwort: die Sperrminorität.

Zwar ist es unwahrscheinlich, dass AfD und Linke im Schulterschluss von ihrer Blockade-Option Gebrauch machen. Allerdings bleibt für Friedrich Merz ein anderes Problem: Ein (erneutes) Zusammenwirken mit der AfD schließt der CDU-Chef aus, die SPD sowieso – das wäre aber nötig, um auf die nötige Zweidrittel-Mehrheit zu kommen. Auch mit den Linken würde es gehen, mit der die CDU aber einen Unvereinbarkeitsbeschluss hat.

Damit bleiben im Grunde genommen noch zwei Optionen. Merz könnte eine besondere Notlage durch den Bundestag ausrufen lassen – das würde ein Aussetzen der Schuldenbremse ermöglichen. Dafür reicht eine einfache Mehrheit im Parlament, also etwa die Stimmen der Unions- und SPD-Fraktion. Gegen den sogenannten Überschreitungsbeschluss könnte jedoch geklagt werden, das Bundesverfassungsgericht das Vorhaben wieder kassieren. Für eine Klage wäre ein Drittel der Bundestagsabgeordneten nötig – also die AfD- und Linksfraktion –, die nicht gemeinsame Sache machen dürften. Ein Haken bleibt trotzdem: Durch eine Notlage lassen sich nur geringere Summen mobilisieren – und nicht die Gelder, die eigentlich nötig wären.

Eine Alternative könnte sein, ein Sondervermögen zu schaffen, das nicht für Aufrüstung gedacht ist – sondern beispielsweise für Investitionen in die Infrastruktur – um auch die Linksfraktion ins Boot zu holen. Dadurch würden Mittel für die Bundeswehr im regulären Haushalt frei. Es wäre ein absichtsvolles Manöver, das zwei Fragen aufwerfen würde: Ginge die Linksfraktion ob des durchsichtigen Tricks tatsächlich mit? Und würde die Union ihren Unvereinbarkeitsbeschluss über Bord werfen? 

Friedrich Merz sagte am Dienstag vor der Sitzung der Unionsfraktion. "Ich sehe das alles im Augenblick als schwierig an, aber es gibt Gespräche.“ Eine rasche Reform der Schuldenbremse schloss er diesmal aus. 

Es ist kompliziert. 

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