Unions-Kanzlerkandidat Merz berät zwei Tage nach der gewonnenen Wahl mit Kanzler Scholz über das Vorgehen in der Übergangsphase. Während die Union aufs Tempo drückt, setzt die SPD ihren eigenen Ton.
Zwischen Union und SPD zeichnen sich komplizierte Verhandlungen über eine neue Bundesregierung ab. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz drückt beim Beginn der Spitzengespräche mit der SPD aufs Tempo. "Die Themen drängen, sie dulden keinen Aufschub und deswegen lege ich Wert darauf, dass wir zügig jetzt in die Gespräche eintreten", sagte der CDU-Vorsitzende vor einer Sitzung der Unionsfraktion in Berlin. Dagegen betonte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich: "Ja, wir tragen Verantwortung, aber wir werden uns zu nichts drängen lassen, was wir nicht verantworten können."
Einer der Knackpunkte künftiger Verhandlungen dürfte die Finanzierung von Verteidigung und Sicherheit für Deutschland sowie der weiteren Unterstützung der Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland werden. Merz erteilte einer Reform der Schuldenbremse zur Finanzierung von Verteidigungsaufgaben noch vor dem Zusammentreten des neuen Bundestags erneut eine Absage. Aus der SPD kamen dagegen wieder entsprechende Forderungen.
Gespräch Merz-Scholz im Kanzleramt
Merz kam im Kanzleramt mit Amtsinhaber Olaf Scholz (SPD) zusammen. Der CDU-Chef traf gegen 10.30 Uhr an der Regierungszentrale ein und verließ sie gegen 12.00 Uhr. Bei dem Gespräch dürfte es um die Gestaltung der Übergangsphase bis zur Bildung einer neuen Regierung gegangen sein. Schon am Montagabend hatte Merz mit SPD-Chef Lars Klingbeil telefoniert. Über den Inhalt der Gespräche wurde zunächst nichts bekannt.
Die Union war bei der Bundestagswahl klar stärkste Kraft geworden, die SPD auf ein historisches Tief gestürzt. Alles läuft nun auf ein Bündnis von CDU/CSU und SPD hinaus.
Merz verlangt Klarheit bei Sicherheit, Migration und Wirtschaft
Vor der Sitzung der Unionsfraktion forderte Merz, bei den Gesprächen mit der SPD müsse vor allem bei drei großen Themenbereichen Klarheit geschaffen werden. Er nannte die Außen- und Sicherheitspolitik, das Thema Migration und die Lage der Wirtschaft. "Ich gehe davon aus, unverändert, dass wir einen guten Koalitionsvertrag mit den Sozialdemokraten verabreden können und dass wir das auch in einer überschaubaren Zeit machen", sagte Merz. Ostern könne es eine neue handlungsfähige Regierung geben.
Mützenich an Klingbeil: Gespräche mit Stärke und Autorität führen
SPD-Fraktionschef Mützenich erwartet von seinem wahrscheinlichen Nachfolger Klingbeil, dass dieser die Partei "mit klarer Stärke, mit klarer Autorität, mit klarer Überzeugung" in die Gespräche mit der Union führe. Klingbeil müsse Konsequenz zeigen, "weil natürlich vielleicht der Wahlsieger glaubt, man kann uns in irgendeiner Form zu etwas drängen". Klingbeil hatte am Vorabend im ZDF-"heute journal" gesagt, es sei noch überhaupt nicht ausgemacht, ob es eine Regierung mit den Sozialdemokraten geben werde.
Streitpunkt Wahlrecht
Als Streitpunkt zwischen Union und SPD zeichnet sich auch das Wahlrecht ab. Mützenich zeigt sich gegenüber der Unionsforderung nach einer erneuten Reform skeptisch. CDU und CSU müssten die Frage beantworten, ob sie wieder einen größeren Bundestag wollten. Die Union habe kein Modell, das einerseits den Bundestag verkleinere und andererseits eine Balance zwischen dem Direktmandat und der Verhältniswahl schaffe. Merz forderte, eine erneute Wahlrechtsänderung müsse Gegenstand einer Koalitionsvereinbarung sein.
Söder: Union und SPD müssen sich "am Riemen reißen"
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte in der ARD, Deutschland stehe vor einer historisch schwierigen Situation, ökonomisch wie außenpolitisch. Hinzu komme die Stärke der politischen Ränder. "Also müssen wir uns am Riemen reißen und müssen tatsächlich eine Regierung bilden, die die Migrationsfrage löst und auch die Wirtschaftsfrage löst."
Wüst plädiert für "Regierung der nationalen Verantwortung"
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) rief zur Kompromissfähigkeit auf. "Jetzt ist wieder Zeit, aufeinander zuzugehen und eine Regierung der nationalen Verantwortung auszuloten", sagte er in Berlin. Die Volksparteien hätten sich, wenn es darauf ankam, immer der Verantwortung gestellt. Jetzt müssten Brücken von allen Beteiligten gebaut werden.
Verhandlungsleitung: Merz, Söder und Klingbeil?
Merz sagte, er selbst und Söder würden auf Unionsseite Verantwortung für die anstehenden Gespräche übernehmen. Bei der SPD erwarte er eine Teilnahme der Parteivorsitzenden. Wenn Klingbeil zum Fraktionschef gewählt werde, "ist er natürlich ein geborenes Mitglied der Verhandlungskommission".
Auf Unionsseite sollen auch die Generalsekretäre Carsten Linnemann (CDU) und Martin Huber (CSU) sowie CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), dem engeren Verhandlungsteam angehören.
Merz mit 98 Prozent als Unionsfraktionschef bestätigt
Die CDU/CSU-Abgeordneten bestätigten den 69-jährigen Merz bei ihrer konstituierenden Sitzung nach Angaben aus Fraktionskreisen mit 98 Prozent der Stimmen als Fraktionschef. Es wurden 205 Stimmen abgegeben, 201 Abgeordnete stimmten für Merz, es gab 4 Nein-Stimmen. Bei seiner Wahl Mitte Februar 2022 hatte er 89,5 Prozent erhalten. Bei der laut Statut nötigen Bestätigung kam er sieben Monate später auf 87 Prozent. Merz hatte das Amt des Fraktionsvorsitzenden schon von 2000 bis 2002 inne.