3 months ago

Mindestlohn und Steuerentlastung: Die SPD schnürt ihr Anti-Merz-Paket



Der SPD-Parteivorstand hat Beschlüsse für den Bundestagswahlkampf gefasst. Die Vorstellung des Papiers lässt tief blicken: Die Partei widmet sich fast ebenso ausführlich dem Herausforderer Friedrich Merz wie den eigenen Ideen. Doch auch ein Koalitionspartner gerät stärker ins Visier.

Die SPD-Spitze gewährt etwas weniger als ein Jahr vor der Bundestagswahl einen Einblick in ihre Strategie und bläst zum Angriff auf Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz. Dessen Name findet sich nicht nur zweimal im sechsseitigen Forderungskatalog, den der Parteivorstand am Wochenende beschlossen hat. Der CDU-Vorsitzende steht auch im Zentrum der Eingangsworte, die SPD-Chefin Saskia Esken bei der Vorstellung des Beschlusses zum Besten gibt. Merz sei geleitet von "grundfalschen Analysen, die nur mit dem Blick aus dem Privatflieger zu erklären sind", sagte Esken etwa. Da der SPD-Vorstand sich am Sonntag erklärtermaßen auf den Bundestagswahlkampf einstimmen wollte, ist diese Botschaft offenbar die zentrale Strategie der Sozialdemokraten für die kommenden Monate: Merz, der Abgehobene!

Schon als Matthias Miersch in der vergangenen Woche für den erkrankten Kevin Kühnert als Generalsekretär einsprang, ließ er wissen, dass in der Parteizentrale Willy-Brandt-Haus schon vieles für den Wahlkampf vorbereitet sei. Mit ihren Beschlüssen vom Wochenende signalisiert die SPD-Spitze, einen "Aufschwung für alle und nicht nur für wenige" zu wollen. So drückte es Esken am Montagmittag vor Journalisten aus. "Die Merz-CDU will Spitzenverdiener entlasten und für die Beschäftigten hat sie Mehrarbeit, Lohnkürzungen und Rentenkürzungen zu bieten." Merz, das kalte Herz!

Die Formulierung von der "Merz-CDU" soll offenbar vermitteln, dass die Christdemokraten unter seiner Führung die Merkel-Mitte verlassen hätten und so deren Wähler für sich vereinnahmen. Maß, Mäßigung und Mitte, Regierungserfahrung und Seriosität: All das sollen politisch mittige Wählerinnen und Wähler stattdessen beim Amtsinhaber finden, Olaf Scholz. Der bekennende Feminist Scholz soll auch bei den Frauen punkten. Esken empfahl ein "Bild"-Interview, in dem Merz erklärte, warum er sich zu einem Kufiya-tragenden Taxifahrer ins Auto setzen würde, eine Frau dagegen nicht: wegen seines größeren Selbstbewusstseins als Mann. Das "spricht Bände", befand Esken. Merz, der Macho!

Lieber Programm als Kanzler

Die Angriffe auf den Herausforderer sind logisch: CDU und CSU sind der SPD in Umfragen regelmäßig um 13 bis 17 Prozentpunkte voraus. Das Abarbeiten an Merz bietet aber auch den Vorteil, weniger über den eigenen Mann im Kanzleramt sprechen zu müssen. Den mit den historisch schlechten Umfragewerten. Den, dem auch SPD-Anhänger Führungsqualitäten absprechen. Den, mit dem das Land in drei von Krisen geprägten Regierungsjahren noch immer nicht warm geworden ist. Der Bundeskanzler wird in dem Papier jedenfalls nur zweimal namentlich erwähnt. Herausforderer Merz und seine CDU zusammen immerhin viermal. Vielleicht ist auch das ein Fingerzeig: Die SPD wird Bundeskanzler Olaf Scholz zumindest vorerst nicht ganz so prominent platzieren und stattdessen ihre Programmatik in den Vordergrund stellen.

Diesbezüglich aber hat der Bundesvorstand nur sehr dosiert Neuigkeiten zu verkünden: 95 Prozent der Steuerzahler sollen entlastet werden. "Die Einkommenssteuerreform soll in sich finanziert sein", sagte Esken. Was die übergroße Mehrheit weniger einzahlt, sollen stattdessen die obersten ein Prozent zusätzlich bezahlen. Der Reichensteuersatz und der Spitzensteuersatz sollen angehoben werden. Letzteren erreicht derzeit schon ein Alleinverdiener mit 66.761 Euro im Jahr. Dieser Grenzwert soll angehoben werden. "Viel zu viele Menschen in diesem Land zahlen viel zu hohe Steuern bei mittlerem Einkommen", sagte Esken hierzu.

Mehr Geld für die Beschäftigten

Die SPD will stärker als Partei der arbeitenden Mitte wahrgenommen werden, nicht nur als Hüterin der sozialen Netze. Wie erwartet nimmt die SPD auch die Forderung nach einer Anhebung des Mindestlohns von 12,41 auf 15 Euro ins Wahlprogramm auf. Damit würde die SPD erneut den Pakt aushebeln, dass dieser Wert von der Mindestlohnkommission aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern festgesetzt wird. Schon nach der Bundestagswahl 2021 hatte die Partei so ihr Versprechen einer Anhebung auf 12 Euro eingelöst. Sie musste danach aber erleben, wie beispiellose Inflationsraten diese Zusatzverdienste auffraßen, während das Bürgergeld über einen gesetzlichen Mechanismus ebenfalls deutlich stieg und sich das Einkommen der nicht arbeitenden Bevölkerung wieder dem der Beschäftigten annäherte.

Zur Förderung der Wirtschaft, die 2024 das zweite Rezessionsjahr in Folge erlebt, setzt die SPD auf einen Dreiklang aus mehr staatlichen Investitionen, vor allem in die marode Infrastruktur, Hochtechnologieförderung und sinkende Strompreise für energieintensive Unternehmen. Zudem will sich die SPD Förderinstrumente zum Anschub der Elektro-Pkw-Verkäufe überlegen. Gegen diese Maßnahmen spricht allerdings die enorm knappe Kassenlage des Bundes. Die SPD pocht daher weiter auf eine Reform der Schuldenbremse, um kreditfinanzierte Zukunftsinvestitionen zu ermöglichen.

Neben dem Koalitionspartner FDP sperrt sich aber insbesondere die Union gegen eine Reform. Dass Merz diesen Kurs nach einem Wahlsieg durchhalten könnte, glaubt bei SPD und Grünen niemand. Beide Parteien könnten im Fall eines Wahlsiegs von CDU und CSU als Juniorpartner in die Regierung eintreten. Merz wird sich daher ein Nachgeben in dieser Frage als Zugeständnis für Koalitionsverhandlungen vorbehalten.

Auch FDP im Visier

Verabschieden will die SPD ihr Wahlprogramm erst am 21. Juni. Bis dahin sollen Details erarbeitet werden, auch zur Steuerreform. Der späte Termin, an dem auch Olaf Scholz offiziell als Kanzlerkandidat nominiert werden soll, passt zur Überzeugung von Parteichef Lars Klingbeil, Wahlen würden erst in den letzten Wochen vor dem Termin entschieden. Weil sich die Menschen vorher nicht festlegten, welcher Partei sie ihre Stimme geben. Damit aber lässt die Partei auch bis drei Monate vor der Wahl Raum für Spekulationen, dass sie doch noch den Kandidaten wechseln könnte. Vorausgesetzt, Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius ist in den Umfragen auch weiterhin so viel beliebter als Scholz.

Die von der SPD-Spitze mit neuer Verve vorgetragenen Forderungen sind taktisch ebenfalls nicht unheikel: In der ntv-Sendung "Frühstart" erinnerte der scheidende Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour daran, dass mit seiner Partei höhere Mindestlöhne, mehr E-Auto-Förderungen und eine Reform der Schuldenbremse sofort zu machen seien. Je lauter die Sozialdemokraten vortragen, was sie alles umsetzen wollen, desto mehr rückt in den Fokus: Die SPD stellt den Kanzler, der aber viele Vorstellungen der Genossen bislang nicht durchsetzt.

Esken rügt die anderen

An wem der Bundeskanzler da regelmäßig scheitert, machte Esken am heutigen Montag ebenfalls klar: Sie nannte das Rentenpaket II, das Tariftreuegesetz, ein soziales Mietrecht und den Digitalpakt zwei zur Digitalisierung der Schulen: All das müsse schleunigst umgesetzt werden, mahnte die SPD-Chefin. Bei allen vier Themen aber bremst wahlweise der zuständige FDP-Minister, die zuständige FDP-Ministerin oder aber die FDP-Bundestagsfraktion.

Esken nannte Justizminister Marco Buschmann und Bettina Stark-Watzinger namentlich. In ihrer Partei ist aber umstritten, ob all die Vorstellungen der Genossen tatsächlich immer an der FDP scheitern oder diese dem Kanzler auch als Feigenblatt dient. Als scharfer Kritiker der Schuldenbremse ist Scholz jedenfalls bisher nicht aufgetreten. Auch Co-Parteichef Klingbeil warnte am Sonntag die FDP vor einer weiteren Blockade des Rentenpakets.

Dennoch: Die SPD hat sich am Wochenende offenbar nicht nur Merz als Hauptgegner herausgepickt. Sie will sich auch stärker von den Freidemokraten emanzipieren. Drei Regierungsparteien auf Profilierungskurs: Der Herbst wird für die Ampel angesichts der Vielzahl an Streitthemen - dem ungelösten Haushalt 2025 und zahlreichen im Bundestag zu verhandelnden Beschlüssen für mehr Sicherheit und Wirtschaftswachstum - kein leichter. Friedrich Merz kann diesem Treiben von außen zuschauen. Ab und an vielleicht sogar aus der Vogelperspektive.

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