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Kredite, Altlasten, Zinsrisiko: So steht es um die deutsche Staatsverschuldung



Der Bundestag beschließt umfangreiche Investitionen in die Infrastruktur und die Verteidigung: Das Finanzpaket sieht eine massive Neuverschuldung vor, inklusive multimilliardenschwerem "Sondervermögen". Wie sehen die Zahlen im Vergleich zum bisherigen Schuldenstand aus?

Die Entscheidung ist gefallen: Mit den Stimmen von Union, SPD und Grünen macht der scheidende Bundestag den Weg frei für wahrhaft gewaltige Geldströme, die kreditfinanziert in Infrastruktur, Klimaschutz und Verteidigung fließen sollen. Wenige Tage später passiert das Finanzpaket auch den Bundesrat. Mit der Zustimmung der Länderkammer kann die künftige schwarz-rote Koalition in den kommenden Jahren bis zu 1000 Milliarden Euro an zusätzlichen Schulden für Deutschland aufnehmen.

Allein 500 Milliarden Euro davon sollen auf ein neues Sondervermögen entfallen. Das Finanzpaket sieht zudem eine Lockerung der Schuldenbremse mit Sonderregeln für Verteidigungsausgaben und mehr Spielraum für die Bundesländer bei der Aufnahme neuer Schulden vor. Die Rede ist von einem "historischen Paradigmenwechsel" bei den Staatsfinanzen. Doch wie ging Deutschland bisher mit der Kreditaufnahme um? Wie viele Schulden hat das Land?

Schulden begleiten die Bundesrepublik schon fast seit der Geburt. Ein Blick auf die Daten aus der amtlichen Statistik zeigt: Der junge Staat steuerte bereits 1950 - dem Jahr nach der Gründung - mit umgerechnet 3,4 Milliarden Euro auf Pump in den Wiederaufbau. In den Jahren des Wirtschaftswunders hielt sich die Verschuldung des Bundes noch in vergleichsweise engen Grenzen.

Erst lange nach den Jahrzehnten des Aufschwungs zeichnet sich in den Daten zum deutschen Schuldenstand Bewegung ab. Die zunehmende Arbeitslosigkeit und die heraufziehende Ölpreiskrise stellen den Staat in den 1970er Jahren vor heikle Herausforderungen. Die gewachsene Wirtschaftskraft und die solide Bonität des Staates legen den Schritt an den Kapitalmarkt nahe.

Der Staat beginnt, sich in Krisenzeiten Geld zu leihen, um damit zusätzliche Investitionen zu finanzieren. Die Folge? Ab 1975 steigt der Schuldenstand des Bundes kontinuierlich an. Im Jahr 1979, noch unter der rot-gelben Regierung Schmidt, wird - umgerechnet in Euro - erstmals die Schwelle von 100 Milliarden überschritten. Und das sind nur die Schulden im Kernhaushalt, die Außenstände der Länder und Kommunen werden separat erfasst.

In den 1980er Jahren bleibt der finanzpolitische Kurs auch nach dem Wechsel zu Schwarz-Gelb unter Kanzler Helmut Kohl konstant: Bis 1985 hat sich die Staatsverschuldung auf Bundesebene bereits auf umgerechnet gut 200 Milliarden Euro verdoppelt. Zeit für einen Abbau der angehäuften Schuldenberge bleibt in der Kohl-Ära nicht: Der Mauerfall und die Kosten der Wiedervereinigung katapultieren die bundesdeutsche Finanzpolitik in eine ganz neue Sonderlage.

Das wiedervereinigte Deutschland setzt in den Jahren nach der Wende auch auf die Wirkung von kreditfinanzierten Konjunkturprogrammen. Die Stufen auf der deutschen Schuldentreppe werden in den 1990er Jahren erkennbar steiler. Parallel dazu nimmt auch die jährliche Wirtschaftskraft zu. Bis zum Ende der Amtszeit Kohls steigt das Volumen der bundesdeutschen Schulden bis auf umgerechnet 745,3 Milliarden Euro an.

Haushaltspläne ohne größere Neuverschuldung sind in den Jahren danach in der bundesdeutschen Politik nur noch unter großen Mühen durchzusetzen. In den mehr als sieben Jahrzehnten der bundesdeutschen Fiskalgeschichte zeigen sich bisher nur drei kurze Phasen, in denen die Verschuldung nicht von Jahr zu Jahr weiter anschwoll.

Ein erstes Ausnahmejahr gab es etwa 2001 noch unter SPD-Finanzminister Hans Eichel und Kanzler Gerhard Schröder. Eine längere Spanne fiskalpolitischer Weitsicht eröffnete sich dann erst wieder nach der Finanzkrise von 2008 samt aufwändiger Bankenrettung. Im Jahr 2009 trat die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse in Kraft, die Deutschland zurück auf einen Kurs eines nachhaltigen Finanzgebarens bringen sollte.

Diese erste Phase unter der Ägide der "Schwarzen Null", einer Einschränkung der Neuverschuldung bei gleichzeitigem Rückbau der Altlasten, hielt Deutschland bisher jedoch nur von 2010 bis 2019 durch. Seitdem folgt eine Großkrisenlage der nächsten: Die globale Pandemie ab 2020, der russische Überfall 2022, der Energiepreisschock und nicht zuletzt auch der Klimawandel zwingen den Staat immer wieder zum Handeln.

Ist frisches Geld für lau zu haben? Liegen die Zinsen niedrig und ist die Wirtschaftslage gut, sind Schulden für eine Industrienation wie Deutschland kein Problem. Anders sieht die Lage aus, wenn die Einnahmen des Staates sinken, die Bonität sich verschlechtert oder das allgemeine Zinsniveau ansteigt. Bei allzu großzügigen Kreditaufnahmen können die Spätfolgen im Staatshaushalt unter solch ungünstigen Umständen schnell außer Kontrolle geraten.

Die Staatsschuldenkrise in Südeuropa hat das Bewusstsein für die Risiken drückender Lasten aus Altschulden auch hierzulande geschärft. Der erforderliche Aufwand für Zinszahlungen können dann immer größere Portionen der Steuereinnahmen verschlingen.

Die jährliche Belastung im Staatshaushalt hängt unmittelbar auch vom Zinsniveau an den Kreditmärkten ab. Muss sich der Staat in einer Phase steigender Leitzinsen refinanzieren, kann es schnell teuer werden. In der Etatplanung des Bundes waren die Ausgaben für die "Bundesschuld" früher zeitweise der drittgrößte Posten, gleich nach "Arbeit und Soziales" und "Verteidigung".

Die anfallenden Summen schwanken von Jahr zu Jahr. 2014 zum Beispiel gingen 26,7 Milliarden Euro an Steuergeldern nur für die Begleichung von Kreditzinsen früherer Konjunkturprogramme drauf - das entsprach damals einem Anteil von neun Prozent der Ausgaben im Gesamthaushalt.

Die Sparauflagen, die Schuldenbremse und das geschickte Umschichten während der Nullzinsphase brachten die Aufwendungen für den Schuldendienst in den Jahren danach zum Abschmelzen. Im Jahr 2021 musste der Bund im Kernhaushalt nur noch 4,6 Milliarden Euro für die Abzahlung der Altlasten aufbringen - mit einem Anteil von 0,8 Prozent an den Gesamtausgaben war das so wenig wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Sicher: Schulden sind nicht automatisch schlecht. Wenn das aufgenommene Geld in langfristig wirkende Investitionen fließt, können die Ausgaben auf Pump zum Wohlstand kommender Generationen beitragen. Oder, andersherum: Eine überzogene Sparpolitik kann dazu führen, dass die staatliche Investitionsleistung schrumpft und notwendige Aufwendungen für den Erhalt der Infrastruktur ausbleiben.

Die wachsende Bereitschaft, die Aufnahme neuer Schulden nicht nur im Kernhaushalt, sondern zusätzlich auch in "budgetflüchtige Sondertöpfe" auszulagern, machen die Probleme und die schwelenden Zinsrisiken nicht kleiner. Im Gegenteil: Die nackten Zahlen zur bisherigen deutschen Finanzpolitik sprechen eine deutliche Sprache.

Die Gesamtverschuldung des Bundes inklusive aller Extrahaushalte lag zuletzt bereits bei 1,6 Billionen Euro. Die Effekte der Schwarzen Null sorgten nur kurzfristig für Entspannung in den Kassen: In den Jahren nach der Corona-Krise wuchs der deutsche Schuldenberg steil an. Die Schaffung von "Sondervermögen" erleichtert der breiten Öffentlichkeit zudem nicht gerade den Überblick.

Entsprechend kritisch blickt der Bundesrechnungshof auf alle Bestrebungen, anfallenden Problemen in den Staatsfinanzen durch die Einrichtung von Extrahaushalten zu begegnen. "Die Kernaufgaben des Staates, wie die Verteidigungsfähigkeit und die Gewährleistung einer leistungsfähigen Infrastruktur, sollten grundsätzlich aus laufenden Einnahmen und nicht über Schulden finanziert werden", heißt es vom Sitz des BRH in Bonn. "Eine Zukunft auf Pump ist keine Lösung", mahnte BRH-Präsident Kay Scheller.

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"Neue Schulden mögen kurzfristig als einfache Lösung erscheinen, langfristig können sie jedoch die Handlungsfähigkeit des Staates gefährden", lautet die eindringliche Warnung der Experten. Bereits im Jahr 2035 könnten durch die Vorhaben zusätzliche Zinsausgaben in Höhe von 37 Milliarden Euro anfallen, hieß es. Zum Vergleich: Die gesamten Zinsausgaben des Jahres 2024 beliefen sich laut vorläufiger Berechnung auf 39,6 Milliarden Euro.

Der Anteil der Steuereinnahmen, der künftig Jahr für Jahr in die Bedienung der Altlasten umgelenkt werden muss, könnte diesen Befürchtungen zufolge dann zu einem der größten Budgetposten aufsteigen. Kurz: Die Krisenpolitik der Gegenwart wird Deutschland noch lange begleiten.

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