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Handyverbot an Schulen: Ein Schulleiter klärt auf: "Das Handy ist nicht das Problem"



Ein Handyverbot greife zu kurz, meint Schulleiter Micha Pallesche. Statt Smartphones zu verteufeln, sollte man Kindern und Jugendlichen den gesunden Umgang mit ihnen beibringen.

Herr Pallesche, in Hessen soll ab dem kommenden Schuljahr ein flächendeckendes Handyverbot an Schulen eingeführt werden. Was halten Sie davon?
Eine spannende Diskussion, da die meisten Schulen ohnehin schon eigene Regelungen zur Handynutzung in ihrer Schulordnung verankert haben. Wenn wir von Verboten sprechen, fokussieren wir auf die Ausgrenzung eines technischen Geräts und lösen damit nicht die grundsätzlichen Fragen. Das Handy zu verbieten, es vielleicht sogar zu verteufeln, greift zu kurz. Denn nicht das Handy an sich ist das Problem, sondern der Umgang damit.

Aber ist es nicht wichtig, Grenzen zu setzen, um problematischer Handynutzung vorzubeugen?
Durchaus. Allerdings bewegen sich junge Menschen in sozialen Medien, das ist Teil ihrer Kultur. Es ist entscheidend, dass sie lernen, verantwortungsvoll damit umzugehen. Statt Verbote auszusprechen, sollten wir ihnen einen gesunden Umgang mit digitalen Medien beibringen.

Die Ernst-Reuter-Schule ist besonders weit fortgeschritten in der Digitalisierung. Dürfen Ihre Schüler ihre Handys in der Schule nutzen?
Bei uns brauchen die Schüler ihre Handys gar nicht, weil sie digitale Endgeräte für den Unterricht haben. Diese Tablets sind deutlich besser geregelt und haben eine andere technische Einbindung, wie beispielsweise einen Jugendschutzfilter. Gleichzeitig ist es wichtig, dass soziale Netzwerke Thema im Unterricht sind. Es geht uns ja darum, dass Schülerinnen und Schülern lernen, wie soziale Netzwerke funktionieren und wie es gelingen kann, digitale Medien für ihren Lernprozess zu nutzen.

Wie bringen Sie Ihren Schülern einen gesunden Umgang mit Handys bei?
Wir versuchen, die Schüler von Konsumenten zu Produzenten zu machen. Bei uns schauen sie sich nicht nur Erklärvideos an, sondern produzieren sie selbst. Wir bringen den Schülern nicht nur bei, Fake News zu erkennen, sondern auch, wie sie selbst solche Inhalte produzieren können – natürlich ohne sie zu veröffentlichen. So lernen sie, wie einfach es ist, Fake News zu erstellen. Wir erarbeiten auch, warum Menschen Fake News verbreiten, welche Absichten dahinter stecken, wie man Nachrichten überprüfen kann, und vieles mehr. Dieser umfassendere Blick ist viel wirksamer, als einfach ein technisches Gerät zu verbieten.

Schüler sind aber trotzdem auch Konsumenten von sozialen Medien und Smartphone-Inhalten. Wie bringen Sie ihnen bei, damit umzugehen?
Sie lernen, wie ein Algorithmus funktioniert – was passiert, wenn ich einen bestimmten Suchbegriff eingebe? Oder was geschieht, wenn ich persönliche Informationen ins Netz stelle? Sie erfahren, was Datenschutz und Urheberrecht bedeuten, wenn sie beispielsweise selbst produzierte Inhalte veröffentlichen wollen und dafür zunächst einmal die Bildrechte Dritter einholen müssen.

Viele Lehrer beklagen eine zunehmende Disziplinlosigkeit bei der Handynutzung im Unterricht. Haben Sie und Ihre Lehrkräfte auch ein Problem damit?
In der Regel benutzen unsere Schülerinnen und Schüler ihre Handys nicht im Unterricht, also haben wir dieses Problem nicht. Natürlich gibt es einen grundsätzlichen Ablenkungsfaktor, wenn man digitale Endgeräte benutzt. Das haben Studien schon Anfang der 2000er Jahre gezeigt, als die Netbooks in die Klassenzimmer kamen. Entscheidend ist aber etwas anderes. Wenn zum Beispiel die Inhalte für die Schüler relevant sind, ist die Ablenkung deutlich geringer, weil ein Eigeninteresse besteht, sich mit dem Thema zu beschäftigen.

Das klingt unglaublich: Kinder, die digitale Endgeräte produktiv einsetzen und sich nicht davon ablenken lassen.
Es wäre illusorisch zu glauben, dass Menschen – nicht nur Kinder- und Jugendliche! – digitale Geräte stets produktiv einsetzen und sich nicht ablenken lassen. Jedoch habe ich das Gefühl, dass viele ein Bild vor Augen haben, in dem im Unterricht ständig die Smartphones piepen und vibrieren und jeder vor sich hindaddelt. Als hätten die Schülerinnen und Schüler ihre Handys ständig in der Hand und würden nichts anderes mehr machen. Das ist weit entfernt von der Realität.

Sie sehen also kein Problem mit der Handynutzung in Schulen?
Jede Schule, die ich kenne, hat ihre eigenen Regelungen. Ich finde es daher interessant, dass wir überhaupt über ein Handyverbot spreche, wenn es in den meisten Fällen vor Ort bereits geregelt ist.

Wenn Sie Handyverbote nicht für sinnvoll halten, welche Regelungen empfehlen Sie stattdessen?
Natürlich habe ich Bedenken, was die Nutzung, aber vor allem was die Inhalte sozialer Medien betrifft. Ich denke, wir sollten grundsätzlich darüber diskutieren, ob es nicht bestimmte Filter in sozialen Netzwerken geben sollte, damit Kinder unter einem bestimmten Alter bestimmte Inhalte nicht sehen können.

In Skandinavien war die Digitalisierung recht weit fortgeschritten. Nun merkt man, dass die Kinder teilweise darunter leiden, und rudert wieder zurück. Sollte das nicht eine Warnung für Deutschland sein?
In Skandinavien wurden Schulbücher, Aufgabenformate und so ziemlich alles digitalisiert. Das ist gar nicht unser Ziel. Wir wollen einen veränderten Unterricht, der den Anforderungen einer digitalen Welt gerecht wird. Die beiden Situationen lassen sich daher nicht vergleichen.

Was würden Sie Lehrkräften empfehlen, die mit der Disziplinlosigkeit ihrer Schüler bei der Handynutzung kämpfen?
Diese Schulen sollten versuchen, gemeinsam mit den Schülern Regeln auszuhandeln. Wie sieht die Handynutzung in den Pausen, wie im Unterricht aus? Soll es bestimmte Bereiche in der Schule geben, in denen das Handy benutzt werden darf? Wie geht man damit um, wenn sich Schülerinnen und Schüler nicht an diese Regeln halten? All diese Fragen würde ich an einer solchen Schule klären.

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