Keine Partei wurde zuletzt so gequält wie die Grünen – oft zu Unrecht. Gerade darum ist ihre Haltung im Milliardenpoker ein Armutszeugnis, meint stern-Kolumnist Florian Schroeder.
Endlich: Die Union besinnt sich pünktlich zu Beginn der Fastenzeit auf ihre christlichen Werte! So wie damals die Mönche sich vor Ostern Fleisch erlaubt haben, solange es in der Form von Fischen zubereitet war, so entdeckt die Union gerade das Schuldenmachen, solange es "Sondervermögen" heißt.
Das erste Gebot, "Du sollst keinen Gott außer der Schuldenbremse haben", gilt theoretisch weiterhin.
Es ist aber auch ein biblisches Wunder geschehen: Wie die Jungfrau zum Kind sind Merz und die SPD zu den Sondervermögen gekommen! Wie bei Maria und Josef gilt aber natürlich auch hier: Es gibt nichts, was eine gute Paartherapie nicht wieder hinkriegt! Man vergibt sich gegenseitig, du bist nicht schuld, ich bin nicht schuld, es GIBT keine Schuld, also auch keine Schulden, sondern im Gegenteil nur Sondervermögen.
Das größte Wunder aber ist: Die Grünen stellen sich quer. Sie versuchen damit genau das zu verhindern, was sie selbst seit Monaten gefordert haben. Zweifelsohne gibt es gute Gründe dafür, so zu agieren. Die Grünen waren Teil der Regierung, und Robert Habeck hat alles dafür getan, dass sie es auch jetzt wieder sein können. Er hat sich der Union als Kretschmann-Jünger und Merkel 4.0 bis an die Schmerzgrenze angebiedert.
Einzig Sahra Wagenknecht und ihre Sekte haben Friedrich Merz mit ihrem Scheitern den Gefallen getan, dass er nicht auf die Grünen angewiesen ist für die Regierungsbildung. Andersherum gibt es nun eigentlich keinen Grund für die Grünen, Schwarz-Rot das Regieren zu erleichtern – erst recht nicht unter diesen Umständen: ein Maßnahmenpaket durch den alten Bundestag zu peitschen, das die Hälfte der neuen Koalition – nämlich CDU und CSU stets abgelehnt haben.
Taktisch ist die Intervention der Grünen sinnvoll und geboten. Zumal wenn man einrechnet, wie massiv die Union, insbesondere in Person von Markus Söder, sie gebasht und gedemütigt hat – als hätten sie Läuse und Krätze und irgendwas Schlimmes mit *trans. Die Union hat nicht nur gemeinsam mit der AfD im Bundestag abgestimmt, sie hat auch einem Erfolgsmodell der Extremisten Vorschub geleistet, indem die Grünen zu einer Art Partei gewordener Personifikation des Bösen stilisiert wurden. Vom Gendern über Autofahrverbote bis zur unterstellten Obdachlosigkeit Millionen Deutscher wegen des Heizungsgesetzes waren die Grünen an allem schuld, was man sich in bierseligen Nächten an bayerischen Stammtischen so ausdenken konnte.
Gerade weil all das so vollkommen überzogen und deplatziert war, ist das Verhalten der Grünen nun umso unwürdiger. Sie waren vielleicht die einzige Partei, deren Radar in den vergangenen Jahren wirklich funktioniert hat. Im Hinblick auf den Ukrainekrieg hatte Robert Habeck ein ebenso präzises Gespür wie für die Notwendigkeit, die Schuldenbremse zu lockern.
Das Beleidigtsein ist eine der unangenehmsten Eigenschaften unserer Gegenwart"
Auf ihrem Zukunftskongress im September vergangenen Jahres forderten die Grünen einen Investitionsfonds für die Infrastruktur. Robert Habeck war der Einzige, der darauf hingewiesen hat, dass größere Verteidigungsanstrengungen einen Preis haben – einen sehr konkreten sogar: 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Jetzt also gegen das zu stimmen, was sie selbst wollten, macht die Grünen genau zu dem beleidigt-moralischen Haufen, als den Söder sie immer darstellen wollte.
Das Beleidigtsein ist eine der unangenehmsten Eigenschaften unserer Gegenwart. Es ist weinerlich, kindisch und jeder sachlichen Auseinandersetzung unwürdig. Dennoch grassiert das Beleidigtsein in allen politischen Lagern. Ihm liegt eine Vergeltungslogik zugrunde, die sonst eher einer kriegerischen Logik entspringt. Im Englischen nennt man sie tit for tat. Wie Du mir, so ich Dir. Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Die Grünen waren in den vergangenen Jahren tatsächlich die Partei, die am wenigsten im Verdacht stand, sich dem Beleidigtsein zu überlassen. Nun tun sie es. Ausgerechnet in einem Moment, in dem es tatsächlich um viel, vielleicht auch um alles geht. In Europa und im Rest der Welt. Wer hier so agiert wie die Grünen, überantwortet sich selbst einem infantilen Denken, das man sonst eher von den Trumps dieser Welt kennt:
Sie verschränken die Arme vor der Brust und strecken den anderen die Zunge raus im Glauben, dass mit dieser Geste Probleme zu lösen seien.