Die EU-Kommission steht von diesem Freitag an vor Gericht. Es geht um einen Impfdeal mit Pfizer – und unauffindbare Kommunikation von Ursula von der Leyen mit dem Firmenchef.
Um zu verstehen, warum dieser Freitag für Ursula von der Leyen unangenehm werden könnte, muss man einmal zurückspringen ins Jahr 2021. Europa wird damals von der Corona-Pandemie heimgesucht, die meisten Länder sind im Lockdown, die Wirtschaft liegt lahm. Eigentlich sollen in der EU die ersten Impfkampagnen starten, doch es gibt Lieferengpässe. Einer der ersten Impfstoffproduzenten, AstraZeneca, hat Produktionsprobleme.
Die Europäische Kommissionspräsidentin will Abhilfe schaffen. Stellvertretend für die 27 Mitgliedstaaten handelt die EU einen Deal aus – mit dem amerikanischen Pharmaunternehmen Pfizer. Es soll der größte Auftrag werden, den die EU-Kommission jemals erteilt hat: 1,8 Milliarden Impfstoffe bestellt sie, genug, um die gesamte EU-Bevölkerung dreimal durchzuimpfen.
Der Deal mit Pfizer wird auf über 35 Milliarden Euro geschätzt, den genauen Preis wird die EU-Exekutive nie preisgeben. Von den Impfstoffen wurden inzwischen Hunderte Millionen zerstört – sie haben ihr Haltbarkeitsdatum überschritten.
Ursula von der Leyen: Heikle Kommunikation mit Pfizer per SMS und Telefon
Die Verhandlungen soll Ursula von der Leyen persönlich geführt haben. Per Telefon und über Textnachrichten soll sie mit Pfizer-Chef Albert Bourla kommuniziert haben. So erzählt es dieser wenig später der "New York Times". Und genau das könnte Ursula von der Leyen nun zum Verhängnis werden.
An diesem Freitag beschäftigt sich das Gericht der EU in Luxemburg damit, dass die Kommission jegliche Informationen zum umstrittenen Deal unter Verschluss hält. Bei der Verhandlung geht es nicht nur um die Pfizer-Geschäfte, sondern auch darum, welche Dokumente die EU-Kommission künftig an die Öffentlichkeit geben muss.
Kurz nach dem umstrittenen Pfizer-Deal 2021 hatte der Journalist Alexander Fanta im Rahmen des europäischen Transparenzgesetzes jene Textnachrichten angefordert, die die Europäische Kommissionschefin mit dem Pfizer-Chef ausgetauscht haben soll – erfolglos. Die Kommission verwehrte dem Journalisten den Zugang. Sie argumentierte, dass es sich bei Textnachrichten nicht um "offizielle Dokumente" handele, die die Kommission registrieren und archivieren müsse, sprich: zu denen sie der Öffentlichkeit Zugang gewähren müsse. SMS seien zu kurzlebig, das war das Argument.
Der Journalist gab den Fall an die europäischen Bürgerbeauftragten und bekam Recht. Das Gremium, das Beschwerden gegen EU-Behörden prüft, befand "Missstände in der Verwaltungstätigkeit". Die Kommission habe demnach kein Recht, der Öffentlichkeit Textnachrichten kategorisch vorzuenthalten. Dennoch blieb diese bei ihrer Position.
Kommen jetzt neue Transparenzregeln?
Fanta wandte sich an die "New York Times". Und diese reichte vor einem Jahr Klage gegen die Europäische Kommission ein. Sie verlangt den Zugang zu den Textnachrichten. Es ist dieser Fall, der nun vor fünfzehn Richtern des Europäischen Gerichtshofes verhandelt wird.
Dabei gehe es um mehr, als nur um die Textnachrichten zwischen von der Leyen und Pfizer-Chef Bourla, sagte Alexander Fanta dem stern. "Es geht auch darum, was die Europäische Kommission als Dokument wertet und was nicht." Aktuell würde die EU-Behörde arbiträr entscheiden, welche Dokumente sie registriere und welche nicht – und dadurch auch, welche Dokumente der Öffentlichkeit im Rahmen des Transparenzgesetzes zur Verfügung stünden. SMS, aber auch andere Kommunikationsformen wie Teams-Nachrichten oder Webex-Unterhaltungen seien somit ausgeschlossen.
Dabei sei dieses Vorgehen nicht mit EU-Gesetzen und der EU-Grundrechtecharta vereinbar. Letztere räumt Bürgern den Zugang zu EU-Dokumenten ein, "unabhängig von der Form der für diese Dokumente verwendeten Träger". Entscheide das Gericht zugunsten der Kläger, könnten viele weitere Dokumente der Öffentlichkeit zugänglich werden, die die Kommission bisher nicht als "offizielle Dokumente" wertet – ein großer Schritt in Richtung Transparenz, sagt Alexander Fanta.
Verliert die Kommission vor Gericht, so wird sie zu deutlich schärferen Transparenzmaßnahmen gezwungen. Sie kann dann nicht mehr selbst entscheiden, was sie als "Dokument” bezeichnet und somit den Bürgern zugänglich macht, sondern müsste systematisch alle Arten der Kommunikation, also auch Textnachrichten, der Kommissionschefin und ihrer Kommissare, archivieren. Für Journalisten und EU-Bürger bedeutet das, dass sie Zugang zu einer viel größeren Bandbreite an Dokumenten anfragen können.
Auch ein belgischer Lobbyist hat geklagt
Der Prozess wird aber auch Erkenntnisse darüber liefern, ob es die berüchtigten Textnachrichten zwischen Ursula von der Leyen und Albert Bourla überhaupt gibt – bisher bestreitet das die EU-Kommission – und ob sie inzwischen womöglich gelöscht wurden. Es wäre nicht das erste Mal, dass Ursula von der Leyen wegen verschwundener SMS in den Fokus rückt. Als 2020 in Deutschland ein Bundesausschuss die Vergabe millionenschwerer Beraterverträge des Verteidigungsministeriums prüfte, forderte er das Diensthandy der ehemaligen Verteidigungsministerin von der Leyen an. Nur: Sie hatte sämtliche Textnachrichten auf ihrem Handy gelöscht.
Es ist auch nicht das erste Mal, dass sich die EU-Kommission für den umstrittenen Deal mit Pfizer verantworten muss. Der Europäische Rechnungshof warf der Kommission 2022 Fehler bei den Verhandlungen mit Pfizer vor. Die Europäische Staatsanwaltschaft EPPO ermittelt seit zwei Jahren in dem Fall. Und auch ein belgisches Gericht befasst sich mit dem Deal: Ein belgischer Lobbyist hat ebenfalls geklagt, um Zugang zu den Textnachrichten zwischen Ursula von der Leyen und dem Pfizer-Chef. Polen und Ungarn haben sich der Klage angeschlossen. Die Anhörung ist für den 6. Dezember angesetzt.