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Ex-Kanzlerin stellt ihr Buch vor: "Wenn es hilft, soll man sagen: 'Merkel war's'"



Ex-Kanzlerin Merkel stellt am Abend im Deutschen Theater in Berlin ihre Autobiographie vor. Es ist wie ein Deja-Vu, kein Wunder nach so langer Zeit im Amt. Sie sorgt für einige Lacher, aber als sie Fehler zugeben soll, wird sie grimmig.

Da ist sie wieder, die Kanzlerin. Angela Merkel blickt uns in diesen Tagen wie früher von zahllosen Bildern, Titelblättern und Bildschirmen entgegen. Am Dienstag ist ihre Autobiografie erschienen. 736 Seiten, 42 Euro, übersetzt in 30 Sprachen. Eine Millionengage soll geflossen sein, es ist das Buch des Jahres, zumindest in Deutschland. Am Dienstagabend stellt sie das Werk mit dem Titel "Freiheit" im Deutschen Theater in Berlin vor. Dafür lässt sich die mittlerweile 70-Jährige von Anne Will befragen und liest auch einige Passagen aus dem Buch vor.

Und wie war's? Tja, er war mal wieder typisch, dieser Auftritt. Da geht es um Putin, die Ukraine, um den Mauerfall, um dieses einzigartige Leben, das sich gerade in genau zwei Hälften teilt: 35 Jahre in der DDR und 35 Jahre im vereinten Deutschland. Aber dann sitzt da eine Frau auf einem der beiden Stühle, die mit all dem Brimborium nur wenig am Hut zu haben scheint.

"Es war ein uckermärkischer See", korrigiert sie Anne Will nach wenigen Minuten in Bezug auf das Gewässer, in das sie mit 19 betrunken gefallen ist. Die Journalistin hatte von einem Baggersee gesprochen. Mit einem Freund habe sie jeweils am Ende eines Bootes gesessen und plötzlich sei der aufgestanden - "damit war die Gleichgewichtsstruktur natürlich hin" und sie sei in den See gefallen. Was der ganzen Sache aber keinen Abbruch getan hatte. In die Lacher hinein sagt Merkel dann: "Ich lese mal, nich'?" und macht sich daran, einen Abschnitt aus dem Buch vorzulesen.

Wie ein Déjà-vu

Es ist die Bodenständigkeit, die Merkel immer auch ausgemacht hat, ihre einfache Sprache, die Selbstironie, der Humor, der allerdings im Amt nur selten zum Vorschein kam. Es ist die Merkel der Kartoffelsuppen- und Pflaumenkuchenrezepte. Die Merkel, die im Wanderurlaub immer die gleiche Wanderhose trug, nachdem sie den Euro gerettet, mit Putin verhandelt oder mit der Türkei ein Flüchtlingsabkommen geschlossen hat. Merkel könne es menscheln lassen, sagte ihr Biograf Ralph Bollmann im ntv.de-Interview. Etwas das ihrem Nachfolger Olaf Scholz überhaupt nicht liege. Vielleicht fällt das deswegen jetzt nochmal mehr auf.

Wie Anne Will und Angela Merkel da so sitzen, hat es etwas von Déjà-vu. Denn Merkel war mehrmals allein in deren Sonntagabend-Talksendung zu Gast und erklärte ihre Politik. Die Kanzlerin außer Dienst sieht auch so aus wie immer, Blazer, an diesem Abend ein weißer, eine typische Halskette, schwarze Hose. Die Frisur liegt wie seit 20 Jahren bekannt. Trotzdem wirkt ihr Standard-Outfit an diesem Abend eher wie eine Uniform, vielleicht weil die Frau darin entspannter wirkt als die Bundeskanzlerin im Dienst. Sie habe die "Atemlosigkeit der Politik" hinter sich gelassen, sagt sie. Merkel ist dennoch ein einziges Déjà-vu, wie sie redet, wie sie gestikuliert, übrigens ohne Raute. Kein Wunder nach 16 Jahren im Amt und mehr als 30 Jahren in der Bundespolitik. Die Frage, um die es gerade geht, ist allerdings, ob es ein gutes Deja-Vu ist.

Als Merkel vor drei Jahren aus dem Amt schied, ging sie sozusagen als ungeschlagener Champion aus der politischen Arena. Sie hatte den Zeitpunkt ihres Abschieds selbst bestimmt und wurde vor allem international gefeiert, aber hatte auch im Inland noch viele Bewunderer. Die Kritiker waren eher an den Rändern, vor allem in der AfD, zu finden. Seit dem 24. Februar 2022, als Russland die Ukraine überfiel, änderte sich das. Plötzlich ging es fast nur noch darum, was nicht gut gelaufen war. Die unterfinanzierte Bundeswehr. Die Abhängigkeit von russischem Gas. Die marode Bahn. Die Digitalisierung. Der Klimaschutz! War Merkel wirklich so eine gute Kanzlerin?

"Ist das ein Gütesiegel an sich?"

Wenn Merkel nun ihre Biografie veröffentlicht, geht es natürlich auch darum, ihre Version der Geschichte zu erzählen. Und, das bestätigt dieser Abend, sie ist nicht in die Öffentlichkeit zurückgekehrt, um sich zu entschuldigen. Es gebe Kontroversen, räumt sie ein, aber, so sagt sie, "es hat doch keinen Sinn zu sagen, 'ich habe damals alles völlig falsch gesehen, jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen', warum soll ich das machen, ist das ein Gütesiegel an sich?" Sie stehe zu den Beschlüssen ihrer Zeit.

Als sie das sagt, geht es um Ukraine. Merkel verhinderte 2008, dass das Land innerhalb weniger Jahre in die NATO aufgenommen wurde. Ihr Argument: Putin hätte das nicht hingenommen und womöglich damals schon angegriffen. Wäre die NATO, wäre Deutschland dann bereit gewesen, der Ukraine beizustehen? Sie habe das nicht geglaubt. Ob man dem nun zustimmt oder nicht - es wird deutlich, dass die Lage komplexer war, als sie heute in vielen Debatten erscheint.

"Wenn es hilft, soll man sagen: Merkel war's", meint sie an anderer Stelle. "Aber dem Land wäre damit nicht geholfen." Deutschland habe systemische Probleme. Und andere Parteien hätten auf der Bremse gestanden. Bei der Aufrüstung der Bundeswehr habe sich Grünen-Politiker Jürgen Trittin stark widersetzt. Im Bundesrat hätten die Grünen jahrelang verhindert, die Balkan-Länder zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Das hätte viel illegale Migration erspart, sagt Merkel. "Ich kann jetzt auch mal auspacken", sagt sie und erntet einen Lacher. "Aber ich packe gleich wieder ein", fügt sie hinzu.

Selbstkritik beim Klimaschutz

Sie sagt auch, man könne nicht sagen, sie habe das Land in einem Tipp-Topp-Zustand hinterlassen. Auch beim Klimaschutz zeigt sie sich selbstkritisch. Sie sei "mitnichten der Meinung", für dieses große Menschheitsthema genug getan zu haben. Wenn sie ihre Entscheidungen von damals verteidigt, klingt das anders als bei Scholz, bei dem der Subtext immer zu sein scheint: Hätten Sie so viel Ahnung wie ich, würden Sie mir zustimmen. Merkel verteidigt die Entscheidungen, weil sie von ihnen überzeugt war. Man könne ihr vorwerfen, dass sie sich nicht durchgesetzt habe, sagt sie. Aber man solle nicht alles andere, also die Umstände, vergessen.

Und sonst? Sagt sie, sie gönne Friedrich Merz die Kanzlerkandidatur, weil er den "absoluten Willen zur Macht" habe, so wie es bei ihr auch gewesen sei. Trotzdem sei sie gegen Zurückweisungen an der Grenze, die der CDU-Chef fordert. Sie sagt, sie sei für eine Lockerung der Schuldenbremse, weil die Zeiten nunmal sehr schwierig seien. Mehr als zu ihrer Zeit. Zum Zerbrechen der Ampelkoalition sagt sie nichts. Aber deren Scheitern nach drei Jahren voller Unruhe spricht ja für sich. Auch im Vergleich zu 16 Jahren Merkel.

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