Nate und J.D. Vance teilen sich den Namen, die Großeltern und den dichten Bartwuchs. Doch während der eine für die Ukraine kämpfte, beleidigte der andere deren Präsidenten.
Ein Bogen lehnt an der Flanke des toten Bisons, trockenes Gras klebt am mächtigen, im filzigen Fell verschwindenden Horn. Daneben kniet sein Jäger, ein bärtiger, breit gebauter Mann in Jeans, Trucker-Cap und Camouflage-Hoodie. Sein Blick ehrfürchtig, fast schon fassungslos auf das gewaltige Tier gerichtet. Kein Lächeln für's Facebook-Profilbild.
Nate Vance schießt gerne. Und er richtet seine Waffe nicht nur auf Tiere. Zweieinhalb Jahre lang kämpfte der heute 47-jährige Amerikaner in der Ukraine, verteidigte sie in matschigen Schützengräben gegen endlose Wellen russischer Invasoren, riskierte sein Leben für ein Volk, das nicht seines ist. Erst diesen Januar legte er die Waffe nieder, kehrte zurück in die Heimat. Sein Nachname war ihm zur Last geworden, hätte fortan zu viel Aufmerksamkeit erregt. Er trägt denselben wie der 50. Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Amerika, J.D. Vance, Nates Cousin.
Die konservativen Herren Vance
Nates Vater James ist der Bruder von J.D.s Mutter Beverly, wie er bei X schreibt. Die beiden hätten in ihrer Jugend die Ferien zusammen verbracht, in ihrer gemeinsamen Heimat im ländlichen Ohio. Oder im sonnigen Kalifornien, wo Nates Familie eine Weile lebte. Ein Foto zeigt die Cousins als Jugendliche freudestrahlend in San Francisco, im Hintergrund die Golden Gate Bridge. Auf einem anderen Bild lächelt der einige Jahre ältere Nate auf seinen kleinen Cousin herab, der grinsend im Superman-Shirt auf einem roten Spielzeugtraktor sitzt.
Beide entkamen den bitterarmen Verhältnissen ihrer Kindheit in den Appalachen. J.D. strebte nach Großem, schaffte es auf eine Elite-Uni, wurde Senator für seinen Heimatstaat Ohio und ist heute der zweitmächtigste Mann des Landes. Genau wie er ging auch Nate zur Marine. Später zog er nach Texas, wo er in San Antonio brav die Karriereleiter in einer Ölfirma emporkletterte. Kein Glanz, aber trotzdem ein Stück wahr gewordener amerikanischer Traum.
Die beiden Vances teilen sich nicht nur den Namen und den dichten Bartwuchs. Konservativ sein ist quasi Werkseinstellung für "Hillbillys", für Hinterwäldler, zu denen J.D. sich und seine Familie zählt. Nate ist da auch auf den zweiten Blick keine Ausnahme. Auf Social Media postet er Bilder von Waffen. Von sich selbst mit Waffen. Von Jagdbeute nebst Waffen. Von seinen kleinen Nichten mit Waffen. Trotzdem wählte er 2016 offenbar die Demokratin Hillary Clinton und nicht die "Kartoffel mit Arschlochlippen", wie Trump auf einem Meme genannt wird, das er damals teilte. Menschen, die "aus reinem Gefühl statt mit Verstand wählen", zerstörten die USA, schrieb er.
Das Anti-Trump-Gen lag in der Familie. Auch J.D. galt einst als Kritiker, verglich den Maga-Mann sogar mit Hitler – bis er, sei es aus Überzeugung oder Opportunismus, zu einem seiner lautesten Fürsprecher wurde. Doch J. D.s heutiger Chef sollte nicht der alleinige Grund bleiben, der Nate offenbar von seinem Cousin entfremdete.
Nate Vance kämpfte für die Ukraine im Krieg
Im März 2022, nur einen Monat nachdem die Russen in die Ukraine eingefallen waren, meldete sich Nate Vance freiwillig für den Kampf in Europas Osten – vor allem aus Abenteuerlust, wie er selbst einräumte. "Es ist nicht ehrenhaft, das zuzugeben, aber es ist die Wahrheit", sagt er dem "Figaro" in einem Interview, das die französische Zeitung diese Woche veröffentlichte.
Seine aktive Militärzeit lag da zwar schon mehr als zwei Jahrzehnte zurück. Aber die Nachfrage nach jedem, der eine Waffe halten und selbiges anderen beibringen konnte, war groß. "Viele waren fast noch Kinder. Es war furchteinflößend", erinnert sich Vance.
Ein halbes Jahr später habe er sich den "Da Vinci Wolves" angeschlossen, einem Milizbataillon eines paramilitärischen Flügels rechter Ukrainer. Mit Männern, alle weit jünger als er selbst, sei er weiter gen Osten gezogen, an die Front. Dort habe er an einigen der blutigsten Schlachten des Krieges teilgenommen, soll unter anderem in Kupjansk, Awdijiwka und Bachmut gekämpft und dabei eine "beträchtliche Anzahl von Feinden vernichtet" haben, behaupten seine Kameraden auf Social Media:
Während sein Cousin offenbar Russen tötete, wetterte Senator J.D. Vance gegen die milliardenschwere Unterstützung der USA für die Ukraine. Am Anfang habe er noch geglaubt, J.D. habe die Ukraine-Hilfen nur kritisiert, "um einer bestimmten Wählerschaft zu gefallen", so Nate gegenüber dem "Figaro". Immer wieder habe er versucht, J.D. aus der Ukraine zu erreichen, habe seinem Büro Nachrichten hinterlassen. Sein Cousin habe sich nie zurückgemeldet. "Ich hätte ihm die Wahrheit sagen können, schlicht und einfach, ohne jegliche persönliche Agenda", erklärte Nate.
Vielleicht wäre es bei Funkstille geblieben. Doch Ende Februar 2025 machte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dem neuen, alten US-Präsidenten Donald Trump seine Aufwartung – und dessen Nummer zwei.
Nate Vance an seinen Cousin: "Ich akzeptiere nicht, dass du meine Kameraden sterben lässt"
Die Szene, wie Trump seinen offensichtlich innerlich kochenden Gast aus Kiew im Oval Office in Anwesenheit der Weltpresse vorführte, ihm mangelnde Dankbarkeit vorwarf, markierte einen beispiellosen Einschnitt, vielleicht einen Wendepunkt im Krieg. Statt die Situation zu deeskalieren und seinem erratischen Chef entgegenzuwirken, trat Vizepräsident J.D. Vance nach. Er warf Selenskyj vor, respektlos zu sein, seinem Chef nicht oft und inständig genug für dessen Großzügigkeit gedankt zu haben. Das Treffen wurde abgebrochen – genau wie kurz darauf die Militärhilfen der USA für die Ukraine.
Nate, der seit Januar wieder in den USA lebt, ist fassungslos – und geht an die Öffentlichkeit. "Du bist Familie, aber das heißt nicht, dass ich den Fakt akzeptieren werde, dass du meine Kameraden sterben lässt", sagt er im "Figaro" an J.D. gewandt. Er erwarte von politischen Führern, auch von seinem Cousin, "ein gewisses Maß an Anstand, insbesondere vor Kameras", legt er in einer Sendung der BBC nach.
Seine Erfahrungen in der Ukraine hätten ihm eine Perspektive eröffnet, über die die meisten Amerikaner nicht verfügten, erklärt Nate Vance später in einem TV-Interview mit dem US-Sender CNN. Man müsse die Ukraine nicht einmal aus emotionalen oder moralischen Gründen verteidigen. "Die Vorstellung eines imperialistischen, aggressiven, modernisierten Russlands, das seine Lektion in moderner Kampfführung gelernt hat, ist problematisch für unsere Zukunft", sagt er betont ruhig. Als wiege er jedes Wort einzeln ab, als wolle er den Ausbruch des Vizepräsidenten konterkarieren.
Kurz nachdem Vance mit der Kritik an seinem Cousin an die Öffentlichkeit gegangen war, posteten seine "Wölfe" Fotos seiner Zeit in der Ukraine in den sozialen Medien. Eines zeigt ihn in voller Kriegsmontur, mit dichtem, grau-meliertem Bart, den Blick in die Ferne gerichtet, als beobachte er den Feind. Es gebe zwei Vances, heißt es in der Bildunterschrift. Einen, der die Ukraine verteidige und einen, der sie verrate.