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Die blinde Wut der Bürokratie: Integriert, qualifiziert, ausreisepflichtig - wie Deutschland Fachkräfte vergrault



Qualifiziert, gut integriert und arbeitswütig - solche Ausländer sind in Deutschland willkommen, zumindest theoretisch. Doch in der Realität warten statt Unterstützung bürokratische Hürden und immer wieder neue Steine im Weg. Wer alles korrekt machen möchte, zieht am Ende oft "die Arschkarte".

Als die Bundesregierung im vergangenen Sommer beschließt, den vorübergehenden Schutzstatus für ukrainische Flüchtlinge um ein weiteres Jahr zu verlängern, erscheint die Entscheidung naheliegend: Der Krieg tobt weiter, Russland bombardiert ukrainische Städte, von Friedensverhandlungen ist damals noch keine Rede. "Wir werden auch weiterhin Menschenleben retten", erklärt Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Doch was an diesem Tag selbst vielen Betroffenen entgeht: Ab diesem Zeitpunkt wird zwischen Menschen mit ukrainischem Pass und denen ohne unterschieden. Jenen, die keine ukrainischen Staatsbürger sind, wird der Schutzstatus nicht verlängert - mit wenigen Ausnahmen.

Maria K., die eigentlich anders heißt, gehört zu denen, für die das Folgen hat. Im Januar wird sie von ihrer zuständigen Ausländerbehörde benachrichtigt, dass sie ab dem 4. März 2025 ausreisepflichtig ist und Deutschland verlassen muss. Obwohl sie mittlerweile einen hochqualifizierten Job hat und in den drei Jahren seit ihrer Einreise keinen Cent Sozialhilfe erhalten hat, steht sie nun kurz davor, ihr Aufenthaltsrecht zu verlieren. Maria ist ein gutes Beispiel dafür, was man gelungene Integration nennt - ihr Fall zeigt jedoch noch deutlicher, wie absurd die deutsche Bürokratie sein kann und wo das System versagt.

Maria ist Belarussin, ihr Mann ist Ukrainer und kämpft im Krieg gegen die russischen Besatzer. Sie floh im März 2022 nach Deutschland. Die junge Frau, Anfang 30, die aus Sorge um ihr Aufenthaltsrecht weder ihr genaues Alter noch ihren Wohnort nennen möchte, verzichtete von Anfang an freiwillig auf die finanziellen Hilfen, die ihr zustanden. "Ich wollte niemandem etwas schuldig sein", sagt sie im Gespräch mit ntv.de. Von ihrem für deutsche Verhältnisse kleinen ukrainischen Gehalt, das sie zunächst weiterhin erhielt, da sie im Homeoffice arbeiten konnte, bezahlte sie ihre Miete und die Krankenkassenbeiträge. Fürs Essen blieb wenig übrig: "Im ersten Jahr habe ich mich fast ausschließlich von Nudeln mit Tomatensoße ernährt", erinnert sie sich. Um einen Deutschkurs zu besuchen, nahm sie zusätzlich zum Vollzeitjob mehrere Freelance-Aufträge an. Irgendwie schaffte sie es, sich über Wasser zu halten, bis ihr Hochschulabschluss schließlich in Deutschland anerkannt wurde und sie im November letzten Jahres einen Vollzeitjob bei einem Start-up fand. Maria atmete auf - doch ihre Erleichterung währte nur kurz. Schon im Dezember erhielt sie Post von der Ausländerbehörde.

Wäre Marias Mann illegal geflohen, hätte sie jetzt kein Problem

Zunächst machte sie sich keine großen Sorgen, schließlich ist sie mit einem Ukrainer verheiratet und ist unter Bombenhagel aus der Ukraine geflüchtet. Mit Belarus, dem Land, dessen Staatsbürgerin sie ist und das sich an der Seite Russlands am Krieg beteiligt, hat sie seit Langem nichts gemein. Schon lange vor der großangelegten russischen Invasion war sie nach Kiew gezogen. Doch als sie zur Ausländerbehörde ging, wurde ihr mitgeteilt, dass ihr Schutzstatus nur verlängert worden wäre, wenn ihr Mann in Deutschland gewesen wäre. Maria kann zunächst nicht glauben, dass das stimmen könnte: "Wie kann er hier sein, wenn er im Krieg ist und ja nicht ausreisen darf?" Wird die junge Frau faktisch dadurch benachteiligt, dass ihr Mann sich entschieden hat, sein Land zu verteidigen, anstatt illegal nach Deutschland zu fliehen?

In der Tat liegt hier kein Behördenfehler vor, wie eine ntv.de-Anfrage beim Bundesinnenministerium bestätigt. Der Schutzstatus für Maria wäre verlängert worden, wenn ihr Mann einen deutschen Aufenthaltstitel nach dem Schutzgesetz für geflüchtete Personen aus der Ukraine gehabt hätte, folgt aus der Antwort des Ministeriums.

Wie Maria dürfte es aktuell vielen Menschen ohne ukrainischen Pass gehen, die aber aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind. Laut offiziellen Angaben hielten sich im November 2023 rund 38.000 Geflüchtete aus der Ukraine ohne ukrainische Staatsangehörigkeit in Deutschland auf. Wie vielen von ihnen der Schutzstatus automatisch verlängert wird, weil sie beispielsweise einen unbefristeten Aufenthaltstitel oder Asylstatus in der Ukraine hatten, ist unklar.

Wie so oft spielt auch der deutsche "Flickenteppich" eine Rolle. Während einige Bundesländer blind dem Gesetz folgen, versuchen andere, pragmatischere Lösungen zu finden. Ein Sprecher des Berliner Landesamts für Einwanderung erklärte auf Anfrage von ntv.de, dass das Land Berlin in solchen Fällen eine weit großzügigere Regelung habe als andere Bundesländer und auch als es die EU oder das Bundesinnenministerium vorsehen. Das Berliner Amt prüft "alle anderen Optionen, ein Aufenthaltsrecht nach deutschem Recht zu erteilen". Dies habe dazu geführt, "dass von den rund 1800 Drittstaatsangehörigen aus der Ukraine, die als Kriegsflüchtlinge in Berlin aufgenommen wurden, nur im unteren zweistelligen Bereich Anhörungen zu einer möglichen Versagung des Schutzes durchgeführt wurden."

"Wenn du in Deutschland alles korrekt machen willst, hast du immer die Arschkarte"

Eine Rückkehr nach Belarus kommt für Maria "allein schon aus moralischen Gründen nicht infrage", erklärt sie ntv.de. "Außerdem muss ich dort als Frau eines ukrainischen Soldaten fast garantiert mit Verfolgung rechnen." In die Ukraine zurückzukehren ist ebenfalls keine Option: Die gemeinsame Wohnung in Kiew hat ihr Mann aufgegeben, als er sich beim Militär meldete und in den Krieg zog.

Maria stellte letztlich einen Antrag auf einen Aufenthaltstitel für Arbeit. Zum Glück hatte sie ja wenige Wochen vor der Benachrichtigung der Ausländerbehörde als qualifizierte Fachkraft einen unbefristeten Vollzeitjob gefunden. Angesichts des Fachkräftemangels in Deutschland wäre dies eine Win-Win-Situation für sie und die deutsche Wirtschaft. Doch nach langer Wartezeit - ausgerechnet wegen Fachkräftemangels bei der Behörde - erhielt sie schließlich eine Absage. Die Begründung: Sie verdiene rund sechs Prozent weniger als ein "vergleichbarer deutscher Arbeitnehmer". Auch wenn sie inzwischen ihren Mut und den Glauben an die Gerechtigkeit verloren hat, scheint Maria ihren Sinn für Humor noch zu besitzen: "Ich sage immer, wenn du in Deutschland alles korrekt machen willst, hast du immer die Arschkarte".

Die junge Frau überlegt nun, was sie weiter tun soll. Eine der Optionen wäre, mit einem "Digital Nomad Visum" nach Spanien oder in ein anderes, für ausländische Fachkräfte freundlicheres Land zu ziehen. "Mit meinem aktuellen deutschen Job wäre das kein Problem und ich könnte ihn problemlos vom Strand aus erledigen", sagt Maria. Die Steuern würde sie dann auch dort zahlen. Ein Win-Win-Szenario - für sie und Spanien.

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