
Die EU-Kommission mahnt eindringlich zu mehr Zusammenarbeit des Staatenbundes beim Thema Verteidigung. Dringend müssten Fähigkeitslücken geschlossen werden. Russlands Umstellung auf Kriegswirtschaft sei ein Zeichen für einen "langfristigen aggressiven Plan".
Die EU-Kommission fordert höhere Verteidigungsausgaben, gemeinsame Wehrprojekte und Rüstungskäufe in Europa. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas sagte zur Vorlage des Weißbuchs zur gemeinsamen Verteidigung, die internationale Ordnung verändere sich in einem Ausmaß wie seit 1945 nicht mehr. Sie sprach von einem entscheidenden Moment für die Sicherheit Europas. Das Papier ruft zur Schließung von "Fähigkeitslücken" in Bereichen wie der Luft- und Raketenabwehr, bei Artillerie, Munition und Raketen, Drohnen, Logistik und Schutz der Infrastruktur, aber auch bei künstlicher Intelligenz und Cyberkriegsführung auf.
"Die Geschichte wird uns Untätigkeit nicht verzeihen", warnt die Behörde unter der Leitung von Ursula von der Leyen in dem Strategiepapier zur Zukunft der europäischen Verteidigung. Sollte Russland seine Ziele in der Ukraine erreichen, werde das Land seine territorialen Ambitionen darüber hinaus ausdehnen. Als möglicher Zeitraum dafür wird das Jahr 2030 genannt.
Nach Kallas' Darstellung ist die russische Wirtschaft inzwischen komplett "im Kriegsmodus". Im russischen Staatshaushalt flössen 40 Prozent des Geldes in das Militär, sagte sie. "Unabhängig von den laufenden Friedensverhandlungen für die Ukraine ist das eine langfristige Investition in einen langfristigen aggressiven Plan."
Der für Verteidigungsfragen zuständige EU-Kommissar Andrius Kubilius sagte, die EU müsse Verantwortung übernehmen. "450 Millionen EU-Bürger sollten nicht von 340 Millionen Amerikanern abhängig sein, um uns selbst gegen 140 Millionen Russen zu verteidigen, die 38 Millionen Ukrainer nicht besiegen können", sagte er. "Das können wir besser." Dies hatte vor Wochen bereits der polnische Regierungschef Donald Tusk so formuliert.
Hintergrund des Vorstoßes sind neben der Furcht vor russischen Ambitionen auch Zweifel an den Sicherheitszusagen der USA seit der Wahl von Präsident Donald Trump. "Die Sicherheitsarchitektur, auf die wir uns verlassen haben, kann nicht länger als selbstverständlich angesehen werden", erklärte von der Leyen
Zwar haben die EU-Staaten seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine ihre Verteidigungsausgaben bereits erhöht - zwischen 2021 und 2024 um mehr als 30 Prozent. Jedoch will die Kommission neben der Erhöhung der Wehretats auch strukturelle Änderungen bewirken, wie einen EU-weiten Markt für Rüstungsgüter mit vereinfachten und harmonisierten Regeln, hieß es im Weißbuch. Der zersplitterte Markt zeigt sich einer Analyse von McKinsey zufolge etwa daran, dass die EU 19 verschiedene Hauptkampfpanzer im Dienst hat, verglichen mit nur einem in den USA.
Trump hat die europäischen Nato-Mitglieder mit Nachdruck zu einer massiven Erhöhung ihrer Verteidigungsausgaben aufgerufen und dabei eine Quote von fünf Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP) ins Spiel gebracht. Die Regierung in Moskau hat dagegen den europäischen Rüstungsschub als Anstiftung zu einem Krieg verurteilt, der auf einer "erfundenen Geschichte" über eine Bedrohung durch Russland beruhe. Dies hat die europäischen Staats- und Regierungschefs nicht beruhigt: Russland hatte vor dem Einmarsch in die Ukraine ähnliche Erklärungen abgegeben.
Um Aufrüstung zu finanzieren, sind nach bereits vor zwei Wochen veröffentlichten Vorschlägen der Kommission unter anderem EU-Kredite in Höhe von 150 Milliarden Euro sowie Ausnahmen von den strengen EU-Schuldenregeln vorgesehen. So sollen in den kommenden vier Jahren insgesamt 800 Milliarden Euro mobilisiert werden. Die EU-Kommission will zudem Auflagen und Vorschriften für die Rüstungsindustrie lockern.