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Comeback-Story "Die Linke": Kommt ein Hype zur richtigen Zeit



Die Linke hat sich wieder einmal selbst gerettet. Auf der Wahlparty herrscht ausgelassene Stimmung. Doch wie erklärt sich das plötzliche Comeback?

Biergeruch, wummernde Bässe und Konfetti auf dem Boden: Zwei Stunden nach der ersten Prognose gleicht die Stimmung im Berliner Glashaus eher einem Festival als einer Wahlparty. Die Linke feiert hemmungslos. Eben noch war sie totgesagt. Nun wird sie wohl nicht nur im Bundestag bleiben, sondern mit mehr als acht Prozent deutlich stärker sein.

Mehr noch: Laut einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen ist die Linke mit 24 Prozent bei den unter 30-Jährigen die stärkste Partei. Danach folgen AfD und Grüne.

Auch bei den Direktmandaten kann die Linke Erfolge verbuchen. Nach Auszählung fast aller Stimmen liegt sie in vier Berliner Wahlkreisen vorn. Gregor Gysi führt in Treptow-Köpenick, die Bundesvorsitzende Ines Schwerdtner in Lichtenberg, Ferat Koçak in Neukölln und Pascal Meiser in Friedrichshain-Kreuzberg. Im Wahlkreis Leipzig-Süd kann Sören Pellmann sein Direktmandat verteidigen und auch in Thüringen gewinnt der frühere Ministerpräsident Bodo Ramelow sein Direktmandat.

Die Linke feiert "Comeback des Jahres"

Und all dies, obwohl die Partei noch vor wenigen Wochen in den Umfragen in der politischen Todeszone bei drei bis vier Prozent lag. Doch wie gelang den Linken das "Comeback des Jahres", wie Ines Schwerdtner den Erfolg ihrer Partei nennt?

Die Partei beschränkte sich im Wahlkampf auf wenige Themen. Bezahlbarer Wohnraum und niedrigere Lebenshaltungskosten standen im Mittelpunkt. Das zeigt sich auch am Wahlabend, wo es bei kleinen Gewinnspielen linke Fanschals mit der Aufschrift "Mietendeckel-Ultra" zu gewinnen gibt.

Ramelow ist an diesem Abend live aus seinem Wahlkreis Erfurt in Berlin zugeschaltet. "Alle redeten nur noch über Ausländer, wir haben über Miete geredet oder Bildung …", sagt er, und fügt mit Blick auf den Austritt von Sahra Wagenknecht hinzu: "200 sind gegangen, damit 20.000 kommen". Inzwischen seien es sogar 40.000 neue Mitglieder.

Dass das Interesse an der Linkspartei groß ist, zeigt sich auch kurz vor der ersten Prognose um 18 Uhr. Vor dem Eingang zur Wahlparty warten rund 200 Menschen auf Einlass, drinnen wimmelt es bereits von Anhängern.

Erfolg für die "Mission Silberlocke"

Ramelow äußert sich auch mit Blick auf die anstehende Arbeit im Parlament: "Alle andern wollen regieren, wir wollen verändern", sagt der Ex-Ministerpräsident, der nun im Bundestag sitzt. Man werde die Hand heben, wenn es um Bildung, beitragsfreie Betreuung und einen Mietendeckel gehe. Außerdem wolle man sich gegen "internationale Oligarchen und Techmilliardäre" wehren. Abschließend zitiert er den ehemaligen Gewerkschafter Willi Bleicher: "Millionen sind stärker als Millionäre."

Ursprünglich sollte die "Mission Silberlocke" mit den prominenten Namen Gysi, Ramelow und Dietmar Bartsch den Einzug in den Bundestag sichern. Im Mittelpunkt standen dabei die drei Direktmandate, die bei weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen ein Ausscheiden aus dem Parlament verhindert hätten.

Doch je länger der Wahlkampf dauerte, desto deutlicher wurde, dass der Gewinn von drei Direktmandaten nicht nötig sein würde. Und das lag nicht nur an den drei Silberlocken, sondern vor allem an einem intensiven Haustürwahlkampf und einer erfolgreichen Social-Media-Kampagne.

Es ist der 29. Januar 2025, als die Gruppenchefin und Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek im Bundestag ans Rednerpult tritt. Ihre Rede dauert rund zwei Minuten, doch sie könnte der entscheidende Funke im Wahlkampf der Linken gewesen sein. Mit emotionalen Worten reagiert sie auf das, was gerade im Bundestag passiert ist: Ein Antrag der Union zur Verschärfung der Migrationspolitik wurde mit Unterstützung der AfD angenommen. Eine Zäsur.

Heidi Reichinnek wird gefeiert 

Ohne politische Floskeln bringt Reichinnek auf den Punkt, was viele Linke in Deutschland in diesem Moment ähnlich empfunden haben dürften. Und es wirkt. In der ersten Woche nach der Rede verzeichnet die Partei laut der Analyseplattform "Social Blade" mehr als 60.000 neue Follower auf Instagram. Auf Tiktok hat die "spontane Rede nach dem Dammbruch" inzwischen fast sieben Millionen Aufrufe.

Als um 18 Uhr die ersten Zahlen bekannt werden, gibt es für die Menschen auf der Wahlparty kein Halten mehr. Unter tosendem Applaus ruft Jan van Aken: "Die Linke lebt". Heidi Reichinnek laufen derweil Tränen über die Wangen. Die Menge skandiert: "Heidi, Heidi ..." Es ist der Höhepunkt eines Comebacks, mit dem lange niemand gerechnet hatte.

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