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Bleiben Verbraucher bei den Koalitionsgesprächen auf der Strecke?



Stand: 22.03.2025 15:36 Uhr

Lebensmittelpreise, Mieten, Energiekosten: Den Verbrauchern drückt im Alltag der Schuh. Zwar haben Union und SPD bereits ein paar Entlastungen besprochen, doch reicht das?

Von Reinhard Weber, BR

"Es braucht klare Antworten. Wir haben Verteilungsprobleme einerseits, und auf der anderen Seite haben die Menschen ökonomische Sorgen oder zumindest Angst vor einem Wohlstandsverlust", sagt die Politikwissenschaftlerin Jasmin Riedl von der Universität der Bundeswehr. Und wenn die Regierenden nicht auf die Sorgen und Nöte der Verbraucherinnen und Verbraucher eingingen, dann bestehe die Gefahr, dass diese sich stärker abwenden und sich stattdessen zu Alternativen hinbewegen.

Doch wo drückt eigentlich der Schuh? Plusminus hat Anabel und Julian Elb aus Erding bei München mit ihren zwei kleinen Töchtern begleitet. Am Monatsende ist das Konto regelmäßig leer, klagt Anabel. Dabei haben beide verdient, Anabel ist aktuell allerdings in Elternzeit. Nach Abzug der Fixkosten bleiben gerade mal gut 900 Euro für Essen und andere Ausgaben.

Starker Anstieg der Lebensmittelpreise

Beim Einkaufen achtet die Familie immer auf Angebote, anders geht es nicht. Die Lebensmittelpreise sind extrem gestiegen. Plusminus hat den Zeitraum von Januar 2020 bis Januar 2025 untersucht. Milch zum Beispiel wurde um gut 35 Prozent teurer, Klopapier um fast 41 Prozent und Käse um gut 49 Prozent. Die Butterpreise zogen sogar um mehr als 65 Prozent an.

Gibt es auch entsprechend mehr Gehalt im Job? Julian meint: nein. Seine Lohnsteigerung werde völlig von der Inflation aufgefressen. Aus Daten des Statistischen Bundesamtes und der Internetjobplattform Stepstone ergibt sich folgende Rechnung: Nahrungsmittel verteuerten sich von Anfang 2020 bis 2025 um 35,1 Prozent. Das mittlere Gehalt, der sogenannte Medianlohn, stieg gerade mal um elf Prozent.

Da muss eine neue Regierung etwas unternehmen, mahnt Jutta Gurkmann, Leiterin Verbraucherpolitik vom Verbraucherzentrale Bundesverband: "Für viele Haushalte gilt es bereits, sich einzuschränken. Das kann nicht sein. Bei Lebensmitteln darf nicht gespart werden." Deswegen fordert die Verbraucherzentrale eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf gesunde Lebensmittel und die Einrichtung einer Preistransparenzstelle. Die sei nötig, um feststellen zu können, wo und warum Lebensmittel so teuer werden.

Energiepreise sind große Belastung

Manchmal dreht Julian Elb die Heizung ab - zu teuer sind die Energiekosten. Von Januar 2020 bis Januar 2025 stieg der Gaspreis um 89,6 Prozent. Etwas geringer fällt der Anstieg beim Strompreis aus. Die Kilowattstunde verteuerte sich im gleichen Zeitraum um fast 25 Prozent. Im europäischen Vergleich war sie im Jahr 2024 mit rund 40 Cent in Deutschland am teuersten.

Daran wollen Union und SPD etwas ändern. Nach den ersten Sondierungsgesprächen haben sie verkündet, Stromsteuer und Netzentgelte zu senken. Doch der Verbraucherzentrale Bundesverband sagt, das reiche nicht aus, um wirklich für eine größere Entlastung der Privathaushalte zu sorgen.

Wohnen in der Stadt fast unbezahlbar

Der größte Brocken bei Familie Elb ist die Miete. Für 105 Quadratmeter zahlen sie 1.540 Euro warm - 35 Kilometer außerhalb von München. In der Stadt wäre eine vergleichbare Wohnung für sie nicht bezahlbar. Da sind die Nettokaltmieten in den vergangenen fünf Jahren um etwa 25 Prozent gestiegen, im Bundesdurchschnitt um rund acht Prozent.

Auch wenn Union und SPD bereits eine Verlängerung der Mietpreisbremse vereinbart haben, sollten sie regieren, schlägt Lukas Siebenkotten, der Präsident des Deutschen Mieterbundes, Alarm beim Thema Mietkosten: "Es gibt viele Menschen, die sogar mehr als 40 oder 50 Prozent des verfügbaren Nettohaushaltseinkommens dafür aufwenden müssen." Die Mietpreisbremse werde zwar erfreulicherweise um zwei Jahre verlängert, aber sie betreffe nur die Neuvertragsmieten und nicht die laufenden Mieten. Wenn da nicht richtig was getan werde, dann wären das vier verlorene Jahre für die Mieterinnen und Mieter, so Siebenkotten.

Vergessen Union und SPD die Verbraucher?

Der private Konsum macht die Hälfte der Wirtschaftsleistung in Deutschland aus, rechnet der Verbraucherzentrale Bundesverband vor. Schon allein aus wirtschaftlicher Sicht ein Grund, die Sorgen und Nöte der Verbraucherinnen und Verbraucher ernst zu nehmen. Plusminus hat bei Union und SPD angefragt, ob sie sich in den Koalitionsgesprächen für mehr Verbraucherschutz stark machen oder gar einen Rechts- oder Linksruck riskieren, wenn die Belange in den Koalitionsverhandlungen untergehen. Die SPD verspricht, sich für mehr Verbraucherschutz einzusetzen. Die Belange der Verbraucherinnen und Verbraucher seien ihnen bewusst. Von den Unionsparteien gab es keine Rückmeldung.

Politikwissenschaftlerin Jasmin Riedl analysiert die Verhandlungen in Berlin so: "Mein Eindruck ist, dass aktuell in den Koalitionsgesprächen die Sorgen und Nöte der Verbraucherinnen und Verbraucher nicht genügend Gewicht haben, weil gerade ganz aktuell vor allem verteidigungs- und europapolitische Fragen und die großen Infrastrukturprobleme auf der Tagesordnung stehen." Das Kleine, das sei schon irgendwie im Kopf drin, aber nicht fertig durchdacht.

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