
In Paris steht heute eine Volksabstimmung darüber an, ob 500 Straßen autofrei werden sollen. Doch die von Bürgermeisterin Hidalgo vorangetriebene Verkehrswende passt längst nicht allen. Ein Vorwurf: Der Umbau ist auf Touristen ausgerichtet.
"Sind Sie dafür oder dagegen, dass 500 neue Straßen in Paris begrünt und zu Fußgängerzonen umgewandelt werden?" Über diese Frage dürfen die Pariserinnen und Pariser am Sonntag abstimmen. Bürgermeisterin Anne Hidalgo macht in ihrem letzten Amtsjahr noch einmal kräftig Druck, um die schon begonnene Verkehrswende in Paris unumkehrbar zu machen.
Manche Anwohner gehen derweil auf die Barrikaden. In Montmartre, zwischen der Basilika Sacré-Cœur und dem bei Porträtkünstlern beliebten Place du Tertre, drängen sich jeden Tag Tausende von Touristen durch die kleinen Gassen. Wer aufmerksam nach oben schaut, sieht seit einigen Wochen Plakate und Banderolen an einigen Häusern hängen: Übersetzt steht dort etwa "Nein zu den überflüssigen Baustellen" oder "Montmartre in Wut" drauf.
Einige Treppen abwärts, nur wenige Hundert Meter raus aus dem Touristen-Hype von Montmartre, liegt das Café "Au Relais". Hier treffen sich die Anwohnerinnen und Anwohner, die die Plakate aufgehängt haben. Anne Renaudie ist Vorsitzende der Bürgervereinigung "Vivre à Montmartre" und organisiert den Widerstand im Viertel: "Unter uns sprechen wir von dem 'Vormarsch der Baustellen'. Jeden Tag entdecken wir etwas Neues in unseren Straßen: Fahrradständer, Einbahnstraßenschilder, Straßen, die für den Autoverkehr gesperrt sind."
Menschen picknicken in einem Park in Paris. Der Autoverkehr wird in der Stadt immer weiter eingeschränkt.
Unterschriftensammlung gegen Verkehrspläne
Die im Café Relais versammelten Bewohner von Montmartre werfen Bürgermeisterin Anne Hidalgo und den Rathausverantwortlichen in ihrem 18. Arrondissement vor, sich vor allem um die Bedürfnisse der immer zahlreicher werdenden Touristen zu kümmern, aber nicht um die Menschen, die dort wohnen wollen. "Auf dem Hügel von Montmartre gibt es Leute, die hier seit fünfzig, sechzig Jahren wohnen, alte Leute, Familien. Wenn man denen das Auto wegnimmt, dann nimmt man ihnen das Leben im Viertel weg", erklärt Renaudie.
Innerhalb von kurzer Zeit hat sie mit ihrer Bürgervereinigung fast 3.000 Unterschriften gesammelt und will jetzt auch vor Gericht gehen. Die Anwohner von Montmartre machen auch mobil gegen das Projekt der Stadt Paris, einen Teil des Hügels von Montmartre in eine große Fußgängerzone zu verwandeln. Hunderte von Parkplätzen sollen weichen. Wie schon im Zentrum von Paris soll der private Autoverkehr möglichst verdrängt werden.
Der Traum von einer Stadt mit möglichst wenig Autos
Das ist die Handschrift von Hidalgo. 2014 wurde mit der Sozialistin die erste Frau Chefin im Pariser Rathaus. 2020 wurde die aus Spanien stammende Politikerin wiedergewählt. Sie hat ihren Wählerinnen und Wählern versprochen, die Stadt grundsätzlich zu verändern. Die wesentlichen Gründe: der Klimawandel und das Ziel eines anderen Zusammenlebens in der Stadt. "Mein Traum ist - wie der aller Bürgermeister aller großen Metropolen der Welt - eine Stadt mit viel weniger Autos."
Hidalgos erstes Projekt waren die Ufer der Seine. Die Schnellstraßen am Wasser wurden zu Fahrradpisten, Joggingstrecken und Partymeilen. Überall im Stadtgebiet wurden Autospuren massiv reduziert. Hidalgo führte eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 Kilometer pro Stunde ein, die Parkgebühren wurden angehoben, vor allem die für die sperrigen SUV.
Mehr Spuren für Fahrräder als für Autos
Im historischen Zentrum, rund um den Louvre, entstand eine "Zone à trafic limité", eine verkehrsberuhigte Zone, die den kompletten privaten Durchgangsverkehr verbannte, nach dem gleichen Prinzip wie jetzt in Montmartre. Ausgenommen vom Verbot sind die rund 100.000 Bewohner der vier betroffenen Arrondissements, außerdem Lieferwagen, Taxis, Busse.
Und natürlich alle Fahrräder. Die langgezogene Rue de Rivoli entlang von Louvre und Jardin des Tuileries liegt mitten in dieser neuen Zone. "Hier gab es bis 2019 noch zwei Spuren für die Autos und eine für die Busse", sagt Corentin Roudot. Er ist Sprecher der Pariser Fahrradorganisation "Paris en selle" - "Paris auf dem Sattel. "Heute sind zwei der drei Spuren nur für den Fahrradverkehr zugelassen und es gibt nur noch eine für Busse, Taxis und die Autos der Anwohner." Für den Fahrrad-Lobbyisten Roudot ist diese Umwandlung beispielhaft.
Spannungen zwischen Fahrrad- und Autofahrern
Einige Autofahrer, aber auch Fußgänger reagieren zunehmend aggressiv auf die wachsende Zahl an Radfahrern. Im vergangenen Jahr endete das sogar tödlich. Ein 27-jähriger Mitstreiter aus Corentins Lobbyorganisation für Fahrräder geriet mit einem SUV-Fahrer in Streit. Dieser gab schließlich Gas und überrollte den jungen Mann.
Die neue Konkurrenz von Autos, Fahrrädern, Bussen, Taxis und Fußgängern führt auch im Pariser Berufsverkehr immer wieder zu brenzligen Situationen und Beinahe-Unfällen. Aber die Pariser Stadtregierung sieht sich durch die Entwicklung bei den Zahlen der Verkehrsteilnehmer bestätigt. Nach einer aktuellen Studie werden nur noch vier Prozent der Strecken innerhalb des Pariser Kernstadtgebiets mit dem Auto zurückgelegt. Fast dreimal so viele Fahrten werden mittlerweile mit dem Fahrrad unternommen.
Der bisherige Erfolg hat das Rathausteam um Anne Hidalgo ermuntert, sich jetzt die ehemalige Pariser Ringautobahn, den Boulevard Périphérique, vorzunehmen. Nach jahrelangen Diskussionen hat die Stadtregierung im vergangenen Herbst das Limit auf 50 Kilometer pro Stunde herabgesetzt. Seit März ist auch eine Spur nur für Fahrgemeinschaften reserviert.
Mehr Straßen mit Bäumen, Büschen und Blumen
Im kommenden Jahr wird in Pariser wieder gewählt. Die Hidalgo hat schon erklärt, dass sie nicht wieder antreten wird. Trotzdem arbeitet sie gerade an einem ihrer letzten großen Projekte: 500 Straßen von Paris sollen mit breiten Streifen von Bäumen, Büschen und Blumen begrünt und zu Fußgängerzonen werden. Einige von diesen Straßen gibt es schon. Besonders vor den Schulen in den Stadtteilen wurden Straßen zu kleinen Fußgängerzonen umgestaltet und begrünt. Wo früher gerade zum Schulbeginn Autos dominierten, bleiben nun Eltern mit Fahrrädern stehen, sprechen miteinander oder treffen sich gleich noch im Café nebenan.
Bei ähnlichen Abstimmungen in Paris lag die Beteiligung zuvor deutlich unter zehn Prozent. Aber davon lässt sich Hidalgo nicht aufhalten. Sie hat schon viele Widerstände in ihrer Stadt überwinden müssen, die französische Hauptstadt aber schließlich grundlegend umgestaltet. Egal, wer die Bürgermeisterwahl im kommenden Jahr gewinnt: Die Pariser Verkehrswende wird sich kaum zurückdrehen lassen.