3 months ago

Bilanz dreier desolater Wahlen: Der Osten ruft "Wir vertrauen euch nicht!"



Die Politik-Verächter von AfD und BSW sind die großen Gewinner der Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Weder SPD noch CDU können trotz jeweils eines Wahlsieges einfach weitermachen wie bisher. Die Fundamente der Republik bröckeln.

Einen Sommer lang stand mal wieder der Osten im Fokus. Journalisten aus Berlin und den Westländern bereisten die Region, Bundespolitiker sowieso. Es wurde reichlich erklärt - Stichwort: der Ossi, das exotische Wesen - und viel diskutiert. Ja, es kamen sogar Ostdeutsche zu Wort! Aber versteht nun deshalb wirklich jemand diese Wahlergebnisse? In Brandenburg, Sachsen und Thüringen haben gerundet jeweils 42 bis 49 Prozent der Wählenden für AfD und BSW gestimmt. In zwei Bundesländern kann die rechtsradikale AfD mit einem Drittel der Landtagsmandate wichtige Entscheidungen blockieren. In allen drei Ländern ist keine Regierungsbildung gegen das anti-amerikanistische BSW möglich - solange die AfD außen vor bleibt. In Brandenburg entfällt die Hälfte aller Mandate auf BSW und AfD.

Die Ergebnisse dieser drei Landtagswahlen sind vor allem eines: Ein tiefes Misstrauensvotum in Richtung der etablierten Parteien von SPD, Grünen, FDP und auch CDU. Wo es Woidke und Kretschmer dennoch gelungen ist, mit ihren Parteien stärkste Kraft zu bleiben, ging der Erfolg auf Kosten der übrigen Etablierten.

Insgesamt sind die Mitte-Parteien überall geschrumpft, wenn man die eher bürgerliche Ramelow-Linke in Thüringen dieser Mitte zurechnen mag. Das Misstrauen gilt aber auch den Medien: Warnungen vor der rechtsradikalen AfD, all die Recherchen zu ihren wahren Absichten, verhallen genauso wie die Fragezeichen vieler Journalisten zur Seriosität des BSW. Beide Parteien profitieren im Osten sogar davon, dass sie vom politischen Berlin abgelehnt werden.

Wie erklärt sich der Zeitpunkt der Ablehnung?

In den vielen Ostdeutschland-Debatten mangelte es nicht an Erklärungsversuchen für dieses Protest-Wahlverhalten. Als Faktoren gelten: eine niedrigere Parteienbindung, die sozialen Verwerfungen der Wendejahre und das daraus resultierende Misstrauen gegenüber den vielen Veränderungen im Land, die besonders ausgeprägte Landflucht und das Gefühl, vom Westen und seinen Eliten nicht für voll genommen zu werden.

Aber erklärt all das den Zeitpunkt und die Heftigkeit der Ablehnung? Viele der genannten Phänomene wirken seit mehr als drei Jahrzehnten auf die politische Stimmung im Osten. Zugleich ging es den Menschen dort noch nie so gut wie jetzt. Bei allem nicht zu leugnendem Rückstand auf den Westen, haben sich im Osten Boom-Regionen entwickelt, wird mancher Verlust der Wendezeit durch schnelleres Wachstum als im Westen gelindert. Das gilt gerade für Brandenburg mit seiner relativ erfolgreichen Landesregierung. Was also hat die Volksseele so hochkochen lassen?

Angst vor Russland, Zuwanderung und wirtschaftlichem Abstieg

Auf den ersten Blick zahlen auf AfD und BSW Sachthemen ein. Beide konnten im Osten mit den hochemotionalen Themen Ukraine-Krieg und Zuwanderung punkten. In der Sache haben beide Parteien da durchaus einen Punkt. Die Bundesregierung hat mit ihrem Kurs weder den Ukraine-Krieg beenden noch die Migration deutlich eindämmen können. Dass das der Union gelänge, glauben die Menschen offensichtlich auch nicht. Vielleicht trauen sie das nicht einmal AfD und BSW zu. Aber deren Wähler wissen: Wenn sie sich in Berlin für ihre enttäuschten Hoffnungen revanchieren wollen, hat kein Kreuzchen so viel Wumms wie das für AfD und BSW.

Hinzukommt, dass der Frust über die Inflationsfolgen, wirtschaftliche Unsicherheit und das Heizungsgesetz dort größer ist, wo die Menschen weniger Rücklagen, niedrigere Einkommen und noch immer sehr präsente Erinnerungen haben an den sozialen Abstieg in den Nachwendejahren.

Die Mitte-Parteien diskreditieren einander selbst

Zielsicher adressieren Extremisten und Populisten die Diskrepanz zwischen den Versprechen der etablierten Parteien und der Realität. Mehr innere Sicherheit, mehr Kontrolle über die Migration nach Deutschland, mehr Frieden in Europa und der Welt, ein Wirtschaftswachstum, das diesen Namen verdient: All das wurde den Menschen versprochen und doch nicht erreicht. Die Gründe hierfür sind mannigfaltig und liegen nicht allein bei der Bundesregierung. Dass aber diese Bundesregierung permanent - und nicht völlig unbegründet - sagt: "Ohne unser Handeln wäre alles noch schlechter gelaufen!" - verfängt nicht, solange die Koalitionspartner einander immer wieder Unfähigkeit attestieren.

Ampel und Union befördern das Misstrauen in die Fähigkeiten der etablierten Parteien permanent selbst: indem sie sich gegenseitig Kompetenz und guten Willen absprechen, indem sie mit unrealistischen Versprechen Enttäuschungen provozieren, indem sie Probleme im Land schönreden. Das zeigt sich exemplarisch bei den im Osten besonders heiß diskutierten Themen Corona, Zuwanderung und Ukraine-Krieg.

Der Politik fehlt bis heute ein selbstbewusster Umgang mit den Pandemie-Maßnahmen, als es natürlich auch zu Fehleinschätzungen und teils erratischer Kommunikation kam. Nein, niemand muss sich entschuldigen, alles falsch gemacht zu haben. Aber die eigene Überforderung, die Selbstzweifel und Ratlosigkeit in einer historisch beispiellosen Situation einzuräumen, würde den Verantwortlichen gut zu Gesicht stehen. Unfehlbarkeit zu beanspruchen, bleibt dem Papst vorbehalten und auch der fährt nicht gut damit.

Die Integration läuft holprig, der Ukraine-Krieg tobt

Zugleich haben die Befürworter einer großherzigen, ökonomisch durchaus sinnvollen Einwanderungspolitik nicht den Beweis erbracht, dass Deutschland in der Lage ist, die vielen Neuankömmlinge gut zu integrieren. Wer Akzeptanz für Zuwanderung will, muss die Neuen schnell in Arbeit bringen, finanzierbaren Wohnraum für alle Menschen im Land sicherstellen und braucht Schulen, an denen es nicht auch schon ohne Migranten an allem mangelt - an ausgebildeten Lehrern, Sozialarbeitern und sauberen Toiletten. Und natürlich darf Migration nicht die gefühlte und tatsächliche Sicherheit im Land substanziell beeinträchtigen.

Diese Probleme wurden aber lange Zeit nicht adressiert und nun fällt SPD, FDP und Union nichts anderes ein als Grenzkontrollen und Abschiebungen. Nach dieser Lesart aber hätte die AfD von Anfang an recht gehabt - und wird nicht nur im Osten mit entsprechenden Wahlergebnissen belohnt.

Gleiches gilt für den Ukraine-Krieg. Der Kanzler spricht nur noch über seine diplomatischen Anstrengungen, nicht über Deutschlands Waffenlieferungen für das angegriffene Land. Die Union und ihr Kanzlerkandidat Friedrich Merz umschifften das Thema während der Ostwahlen lieber ganz und versuchten stattdessen mit einer Überbetonung der Migrationsprobleme -"Notlage!" - zu punkten. Keine der beiden Parteien bringt derzeit den Mut auf, das ganze Drama offen auszusprechen: Deutschland muss sich auf viele Jahre einer offenen Konfrontation mit Russland einstellen. Im Land laufen von Russland gesteuerte Sabotage-Aktionen gegen deutsche Rüstungsunternehmen und die kritische Infrastruktur, während die Bundeswehr weiterhin darbt. Doch Olaf Scholz behauptet: "Alles im Griff!" Wer soll ihm das glauben?

Herausforderungen einzuräumen, wäre ein Schritt

Nein, AfD und BSW würden all diese Probleme auch nicht lösen - zumindest nicht mit lauteren Mitteln. Aber vielen Ostdeutschen erscheinen sie eben auch nicht schlimmer als Parteien, deren Auftreten und Versprechungen nicht zur beobachteten Realität passen. Zumal all die Hetze in den privaten Whatsapp-Gruppen, die Lügen auf X und TikTok diese Wahrnehmung permanent verschärfen. Deutschland hat ein tiefsitzendes Vertrauensproblem. Dabei spricht vieles dafür, dass der Osten nur Trendsetter darin ist, dass sich dieses Misstrauen in Wahlerfolgen von Populisten und Extremisten materialisiert. Die laut RTL/ntv-Trendbarometer festgemeißelten, bundesweit 17 Prozent Zuspruch für die AfD gehen auch auf den Erfolg der Partei im zahlenmäßig überlegenen Westen des Landes zurück.

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Der Bedeutungsverlust der Mitte-Parteien im Osten war womöglich nur der Anfang. Die schwierigen Mehrheitsverhältnisse in den Landesparlamenten von Brandenburg, Sachsen und Thüringen drohen nach der Bundestagswahl dem ganzen Land. Nicht geholfen hat SPD und Union offensichtlich, die apokalyptischen Problemanalysen und teils auch die Versprechen von AfD und BSW zu übernehmen. Dann wählen die Menschen gleich das Original. Aber die Bundespolitik könnte einen Schritt auf die Wähler dieser Parteien zugehen und deutlich klarer einräumen als bisher, dass die Lage schwierig ist und absehbar schwierig bleiben wird. So viel Ehrlichkeit müsste sich insbesondere die Union zutrauen im kommenden Bundestagswahlkampf - sonst wird es Merz im Amt nicht anders ergehen als Scholz.

So viel Ehrlichkeit ist auch Voraussetzung dafür, die Menschen im Osten in die Pflicht nehmen zu können und sie zu fragen, was sie denn glauben? Ob Deutschland die vielen Herausforderungen nur im Geiste von Gemeinsamkeit und Zusammenhalt bewältigen kann? Oder ob sie den Marktschreiern, den Verächtlichmachern und Hassunternehmern ernsthaft zutrauen, irgendetwas zum Besseren zu wenden? Vielleicht ist auch Letzteres der Fall. Dann war dieser Ostwahl-Sommer nur ein Zwischenschritt auf dem Weg hin zum Ende des Modells Bundesrepublik Deutschland, wie es 75 Jahre lang erfolgreich war. Was darauf folgen könnte, mag sich jede und jeder selbst ausmalen.

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