Was wird aus den Grünen nach dem Rücktritt des Vorstandes? Und wie wird sich eine mögliche Veränderung der Politik der Partei auf die Ampelregierung auswirken? Diese Fragen diskutieren die Gäste in der ZDF-Talkshow "Maybrit Illner".
Es war eine Überraschung. Selbst bei den Grünen wussten nur wenige davon. Am Mittwochvormittag kündigten die Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour ihren Rücktritt an. Auch der gesamte Grünen-Vorstand trat zurück und muss nun beim kommenden Grünen-Parteitag neu gewählt werden. Alles soll sich zuspitzen auf den Bundestagswahlkampf des vermutlichen Spitzenkandidaten Robert Habeck. Nun dürfte sich auch die Politik der Ampelregierung verändern. Aber wie?
Dass sich bei ihrer Partei etwas ändern muss, weiß Katharina Dröge. Die Grünen seien bei den letzten Landtagswahlen und bei der Europawahl deutlich hinter ihren Zielen zurückgeblieben, sagt die Grünen-Fraktions-Vorsitzende im Bundestag. In so einem Fall müsse sich eine Partei fragen, was sie anders und besser machen könne. "Und genau diese Frage haben sich diejenigen gestellt, die für Wahlkampf verantwortlich sind, und das ist der Bundesvorstand. Und die haben gesagt, wir haben nur einen Prozess, und zwar nach vorne. Aber wir glauben nicht, dass dieser Prozess mit uns erfolgreich gelingen wird. Und davor habe ich persönlich wahnsinnigen Respekt, dass sie das gemacht haben und gesagt haben, andere werden das in Zukunft besser machen."
Auch SPD und vor allem FDP haben bei den letzten Wahlen Federn lassen müssen. Einen Gast von den Liberalen hat Maybrit Illner nicht in ihrer Sendung. Aber Manuela Schwesig ist da, die SPD-Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Einen ähnlichen Schritt wie ihre Kollegen von den Grünen müssten die SPD-Parteivorsitzenden nicht gehen, sagt Schwesig. Immerhin sei ja ihre Partei in Brandenburg nicht aus dem Parlament gewählt worden. Im Gegenteil: Ministerpräsident Dietmar Woidke habe einen guten Wahlkampf gemacht und die Wahlen am Sonntag gewonnen.
Schwesig: Dauerstreit in der Ampel nervt
Für die kommende Bundestagswahl setzt Schwesig voll auf Bundeskanzler Scholz. Die Kritik an der politischen Schwäche des Kanzlers nimmt sie zur Kenntnis. "Aber ich will auch mal zu bedenken geben, dass es vielleicht gut ist, dass Olaf Scholz besonnen ist und die Dinge durchdenkt, wenn es um internationale Fragen geht, wenn es um Fragen von Krieg und Frieden geht. Und eins ist klar: Die SPD und auch der Kanzler sind in dieser Ampel unter die Räder gekommen. Denn dieses immer warten, bis man sich einig ist, und sich dann auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen, ich glaube, das reicht nicht."
Ihr Wunsch: Die SPD müsse stärker vorangehen bei Wirtschaftsfragen und auch bei Fragen der sozialen Sicherheit. Ein wichtiges Ziel sei zum Beispiel das Rentenpaket. "Ich sage als Ostdeutsche: Das ist existenziell für die Rentnerinnen und Rentner, denn 97 Prozent der Rentnerinnen und Rentner leben nur von der gesetzlichen Rente. Es gibt hier keine Betriebsrenten. Da unterscheidet sich die SPD von CDU und AfD, da haben wir eine klare Linie." Die SPD und Kanzler Scholz müssten den Bundesbürgern klar zeigen, wo sie in sozialen Fragen und bei der Wirtschaft stehen. Und noch etwas müsse sich ändern: "Dieser Dauerstreit in der Ampel, der nervt die Menschen. Wir leben in Zeiten von Krisen und von Kriegen, und da erwarten die Leute Lösungen statt Streit", so Schwesig.
Damit spricht sie Katharina Dröge aus dem Herzen. Auch sie stört "die Art und Weise, wie wir als Koalitionäre miteinander streiten." Dabei sei es vor allem Robert Habeck gelungen, nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, als die Energiepreise hochgingen und Russland die Energieversorgung für Deutschland gekappt habe, die Wirtschaft zu stabilisieren.
"Grünen stehen vor einer ganz schwierigen Wahl"
Wie sich die Grünen in der nächsten Zeit verändern werden, will Moderatorin Maybrit Illner von der stellvertretenden "Spiegel"-Chefredakteurin Melanie Amann wissen. Die Journalistin ist sich nicht sicher, ob die Grünen zu einer "Liste Robert Habeck" werden. Diese Entscheidung werde erst später fallen. "Die Grünen stehen da wirklich vor einer ganz schwierigen Wahl", analysiert die Journalistin, "denn ihnen laufen ja nicht nur die Leute weg, denen die Grünen zu ideologisch sind oder zu links oder zu dirigistisch, was auch immer man ihnen vorwirft. Ihnen laufen ja auch die Leute weg, denen zu wenig grüne Ideologie da ist in der Ampel, die sich mehr Klimaschutz wünschen, die sich eine Politik der offenen Grenzen wünschen oder die zumindest bei den aktuellen Migrationsplänen sehr skeptisch sind." Robert Habeck könne versuchen, die Partei in die politische Mitte zu führen, sagt Amann, "Und da zahlt man schnell einen hohen Preis."
Die Ampel wird in den nächsten Monaten noch viel Arbeit vor sich haben: Bundeshaushalt, Rentenpaket, Tariftreuegesetz, Wohnungsbau. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst von der CDU ist skeptisch, ob sie das alles schafft: "Wir haben noch zwölf Monate eine gewählte Bundesregierung. Alle schielen schon darauf, dass sie möglichst schnell auseinanderkommen, vielleicht auch vorzeitig, wer weiß. Aber entscheidend ist, dass wir eine Bundesregierung haben, die handelt." Schon bei dem Bundeshaushalt, den das Parlament gerade berät, würden immer neue Milliardenlücken auftauchen, klagt Wüst.
Eine Bundesregierung, die arbeitet. Das erwartet auch Manuela Schwesig. Und sie müsse weniger streiten, aber dafür besser kommunizieren. "Dinge, die auch gemacht worden sind, wie die Gas- und Strompreisbremse, die Unterstützung für die Familien, sind überhaupt nicht wahrgenommen worden." Schwesig fordert für die Zukunft eine bessere Zusammenarbeit aller demokratischen Parteien bei den brennenden Fragen wie Wirtschaft, Migration oder Klimaschutz. "Wenn wir diese gesellschaftlichen Themen als Demokraten nicht gemeinsam lösen, dann brauchen wir uns nicht wundern, wenn die Leute extreme Parteien wählen."