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Union und SPD wollen Schulden machen - für Militär und Infrastruktur. Deutschland wird also neue Milliardenkredite aufnehmen müssen - durch die Ausgabe von Bundesanleihen. Was bedeutet das?
Dass die neue Bundesregierung wohl hohe Schulden für die Verteidigung und die Infrastruktur aufnehmen wird, sorgt am Markt für Bundesanleihen für Aufruhr: Die Renditen, also der Kapitalmarktzins für Bundesanleihen, sind im Höhenflug. Die Rendite für zehnjährige Bundesanleihen stieg gestern zeitweise bis auf 2,93 Prozent.
Vor der Ankündigung des riesigen Fiskalpakets in Deutschland hatte sie noch unter 2,50 Prozent gelegen. Am Mittwoch war die Rendite an einem Tag so stark gestiegen wie seit der Wiedervereinigung 1990 nicht mehr.
Wie genau funktioniert dieses Finanzierungssystem, mit dem sich Staaten frisches Geld besorgen? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Was sind Bundesanleihen?
Mit Bundesanleihen nimmt der Bund Geld am Kapitalmarkt auf. Das bedeutet, er nimmt sich einen Kredit. Auf diese Weise deckt der Staat seine Staatsausgaben, wenn sie die Steuereinnahmen übersteigen. Mit dem Kauf einer Staatsanleihe leiht der Anleger dem Staat für eine bestimmte Zeit Geld und bekommt dafür einen festgelegten Zinssatz, den sogenannten Kupon.
Staatsanleihen werden nicht zwingend bis zur Fälligkeit gehalten, sondern - ähnlich wie Aktien - an den Finanzmärkten gehandelt. Investoren können durch Verkäufe und Käufe Kursgewinne oder -verluste machen, je nach Angebot und Nachfrage.
Anleihekurse werden in Prozent des Nennwerts angegeben. Der Nennwert entspricht einem Kurs von 100 Prozent. Wenn beispielsweise der Kurs einer mit fünf Prozent verzinsten Anleihe um ein Prozent fällt, steigt die Rendite von fünf auf sechs Prozent. Die Rendite ist der Zins, den man bekommen würde, wenn man die Anleihe bis zum Ende der Laufzeit hält.
Bundesanleihen haben eine Laufzeit von zehn oder 30 Jahren. Zudem gibt es auch Bundesschatzanweisungen mit einer Laufzeit von zwei Jahren und Bundesobligationen mit einer Laufzeit von fünf Jahren. Als richtungsweisend gilt jedoch die zehnjährige Bundesanleihe.
Warum steigen die Renditen im Moment so stark?
Auslöser für den starken Anstieg ist das am vergangenen Dienstag von Union und SPD angekündigte riesige Finanzpaket. Um die Kosten durch entsprechende Kredite zu decken, muss die Regierung in den nächsten Jahren in großem Umfang neue Anleihen ausgeben, also neue Schulden aufnehmen.
Das höhere Angebot dürfte es schwieriger machen, bei der aktuellen Verzinsung Käufer zu finden. Der Bund als Schuldner muss deshalb eine höhere Risikoprämie bieten, damit Investoren dem Staat das Geld auch weiterhin leihen.
Dies wird bereits jetzt an den Märkten vorweggenommen. Da die Akteure an den Finanzmärkten allgemein erwarten, dass die künftigen Staatsanleihen, die der deutsche Staat emittiert, höher verzinst werden müssen, um für Gläubiger Investoren attraktiv zu sein, fallen die Kurse der bereits bestehenden und am Markt gehandelten Anleihen. Im Gegenzug steigen die Renditen.
Könnten irgendwann die Käufer für Staatsanleihen ausbleiben?
"Käufer für europäische, insbesondere deutsche Anleihen, gibt es immer", stellt Arthur Brunner, Anleihen-Experte der ICF Bank, im Gespräch mit tagesschau.de fest. Nach seiner Einschätzung sind das Staatsfonds wie beispielsweise Singapur, Versicherer oder Banken. Aber auch private Anleger können Staatsanleihen kaufen.
"Die deutsche Bundesanleihe ist das Fundament der Eurozone. Sie gilt als risikofreier Zinssatz und als sicherer Hafen in Zeiten angespannter Märkte", schreibt Tomasz Wieladek, Chefvolkswirt für Europa beim US-Finanzdienstleister T. Rowe Price. Commerzbank-Analyst Hauke Siemßen geht ebenfalls, davon aus, dass die Nachfrage ausreiche: Es gehe nicht darum, ob der Bund für die nötigen Staatsanleiheemissionen genug Investoren finden werde, sondern vielmehr, zu welchem Preis.
Aktuell sind etwa 30 Prozent der Bundeswertpapiere im Besitz von Zentralbanken und öffentlichen Institutionen im Euroraum, wie die Finanzagentur der Bundesrepublik Deutschland mitteilt. Sie verantwortet das Schuldenmanagement, die Kreditaufnahme und das Cash-Management des Bundes. Jeweils sechs Prozent werden von Banken in Deutschland, Banken im Euroraum und sonstigen Investoren in Deutschland gehalten.
Was bedeutet die Schuldenaufnahme für die Inflation?
Durch die zusätzliche Schuldenaufnahme wird der Spielraum der Europäischen Zentralbank (EZB) für weitere Leitzinssenkung verringert. Denn im Ergebnis dürfte die aus dem Ausgabenpaket resultierende höhere Binnennachfrage auch die Inflation anfachen.
So hat die EZB gestern die Zinsen zwar erneut gesenkt. Für die nächste Sitzung im April wurde allerdings keine weitere Zinssenkung eindeutig in Aussicht gestellt. Viele Ökonomen gehen von einer Zinspause aus. Dies stützt die Renditen von Anleihen zusätzlich. "Die Wahrscheinlichkeiten haben sich verschoben, im April spricht vieles für eine Zinspause", erklärt Anleihehändler Tim Oechsner von der Steubing AG.
Wie hoch ist das Risiko, dass sich die Rendite bald wieder ändert?
Die Renditen von Anleihen werden durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Zunächst ist es nicht sicher, ob das Grundgesetz tatsächlich geändert werden kann. Es braucht hier die Zustimmung der Grünen. Möglicherweise kommt es also gar nicht zu dem Fiskalpaket. Zudem könnte die Regierung an anderer Stelle Einsparungen vornehmen.
Außerdem soll ein Sondervermögen für die Instandsetzung der Infrastruktur mit 500 Milliarden Euro geschaffen werden. Es soll eine Laufzeit von zehn Jahren haben. Auch auf EU-Ebene werden zusätzliche Ausgaben erwartet.
Entscheidend dürfte auch sein, wie sich das Wirtschaftswachstum entwickelt. Ein höheres Wirtschaftswachstum könnte zu höheren Steuereinnahmen führen. Dies würde den Bedarf an neuen Schulden verringern.
Die Inflationsentwicklung und die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank beeinflussen zudem die Anleihekurse. Auch geopolitische Entwicklung könnten sich auf die Renditen auswirken. Bei einer erhöhten Unsicherheit sind Anleihen gefragt, da sie als vergleichsweise sicher gelten.
Deutsche Anleihen gelten immer noch als besonders sicher. Die Ratingagenturen geben der deutschen Bonität weiterhin Bestnoten. Deutschland muss daher im Vergleich zu anderen Ländern bei der Schuldenaufnahme weniger Zinsen zahlen.
Sind Auswirkungen auf Deutschland Bonität möglich?
Deutschland verfüge nicht nur in Europa über die mit Abstand besten finanzpolitischen Fundamentaldaten, sie seien unter den großen Märkten der Welt unübertroffen, meint Volkswirt Wieladek. Die Fundamentaldaten entscheiden über die Einordnung der Kreditwürdigkeit. Nach Einschätzung der Ratingagentur Scope wird Deutschland seine erstklassige Bonitätseinschätzung behalten können.
Auch wenn durch das neue Finanzpaket der Schuldenstand bis 2029 auf rund 3,6 Billionen Euro oder rund 72 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steige, bleibe die Schuldenquote noch unter ihrem bisherigen Höchststand von 80 Prozent, der 2010 nach der globalen Finanzkrise erreicht worden sei, sagte Eiko Sievert, Scope-Lead-Analyst für Deutschland.
Hannah Thielcke, Ökonomin bei der Weberbank, sieht ebenfalls keine Gefahr für die Bonität: "Die von der wahrscheinlichen zukünftigen Koalition geplanten fiskalpolitischen Maßnahmen sind für sich genommen nicht groß genug, um das Kreditrating Deutschlands zu gefährden."
Allerdings weist Wiedalek auf andere mögliche Folgen des Renditeanstiegs hin: "Wenn das neue Niveau der langfristigen Anleiherenditen für andere große Länder des Euroraums nun bei vier bis fünf Prozent liegt, wird dies erhebliche Auswirkungen auf die Tragfähigkeit der Schulden dieser Länder haben." Da mehr Bundesanleihen zu kaufen seien, würden die Märkte wahrscheinlich mehr Druck auf diese Länder ausüben, ihre hohen Schulden abzubauen, entweder durch Steuererhöhungen oder durch Kürzungen der Staatsausgaben, erwartet Wieladek.