Der Gesetzesvorstoß zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in den ersten 12 Wochen empört die Union. Kanzlerkandidat Merz warnt vor einem "gesellschaftlichen Großkonflikt". Das RTL/ntv-Trendbarometer zeigt aber eine breite Unterstützung für das Gesetz - selbst unter Katholiken und CDU/CSU-Wählern.
Der von SPD und Grünen eingebrachte und von der Union entschieden abgelehnte Vorschlag zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen findet in der Bevölkerung eine breite Mehrheit. Dem neuen RTL/ntv-Trendbarometer zufolge fänden 74 Prozent der Befragten richtig, "wenn ein Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen ohne Einschränkungen erlaubt wäre". In der von Forsa erhobenen Umfrage stimmten 20 Prozent mit "nein". Auffällig: Die Legalisierung findet unabhängig von Geschlecht, Alter, Religion und Parteizugehörigkeit eine große Mehrheit.
Schwangerschaftsabbrüche sind derzeit laut Paragraf 218 des Strafgesetzbuches rechtswidrig. Tatsächlich bleiben sie in den ersten zwölf Wochen aber straffrei, wenn die Frau sich zuvor beraten lässt. Ohne Strafe bleibt ein Abbruch zudem, wenn medizinische Gründe vorliegen oder wenn er wegen einer Vergewaltigung vorgenommen wird. Über die Abschaffung des Paragrafen 218 wird seit Jahren gestritten.
Zwei Kanzlerkandidaten dafür, einer dagegen
Nach dem Vorschlag der Abgeordneten sollen Abtreibungen bis zur 12. Woche rechtmäßig werden. Die Pflicht zur Beratung bliebe bestehen, allerdings ohne die derzeit geltende Wartepflicht von drei Tagen zwischen Beratung und Abtreibung. Wenn eine Abtreibung ohne Beratungsbescheinigung vorgenommen wird, soll sich künftig nur der Arzt oder die Ärztin strafbar machen. Die Frau bliebe straffrei. Unter den 240 Unterstützer-Unterschriften zur Einbringung des Gesetzesvorschlags finden sich auch die Namen von Bundeskanzler Olaf Scholz und Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck.
Der von SPD und Grünen eingebrachte Gesetzesvorschlag geht auf die Ergebnisse einer vom Bundesfamilienministerium eingesetzten Expertenkommission zurück, die im April vorgeschlagen worden waren. Die beiden verbliebenen Regierungsparteien hoffen, die Legalisierung noch vor der Bundestagswahl am 23. Februar mit den Stimmen von Abgeordneten der Linken, des BSW und der FDP verabschiedet zu bekommen. Kanzlerkandidat und Unionsfraktionschef Friedrich Merz sprach von einem "Schnellverfahren", dessen Unterstützung durch Bundeskanzler Scholz "skandalös" sei. Das Gesetz sei geeignet, "einen völlig unnötigen weiteren gesellschaftspolitischen Großkonflikt in Deutschland auszulösen".
Wie das Trendbarometer zeigt, unterstützen 82 Prozent der Ostdeutschen und 73 Prozent der Westdeutschen eine Legalisierung sowie 72 Prozent der Männer und 75 Prozent der Frauen. Gestaffelt nach Altersgruppen ist die Unterstützung bei den 30- bis 44-Jährigen mit 79 Prozent am höchsten, bei den 45- bis 59-Jährigen ist sie mit 72 Prozent am niedrigsten. Die Erwachsenen unter 30 Jahren sowie die 60 Jahre und älteren Befragten liegen mit ihren Zustimmungswerten dazwischen.
Selbst Katholiken befürworten mit einer Mehrheit von 62 Prozent eine Legalisierung. Bei Menschen evangelischen Glaubens sind es 75 Prozent und unter den Menschen ohne Konfessionsbekenntnis ist eine Mehrheit von 82 Prozent dafür, Abtreibungen in den ersten drei Monaten aus dem Strafrecht herauszunehmen.
Anhänger der Grünen befürworten die Freigabe zu 91 Prozent, gefolgt von denen der SPD mit 85 Prozent. Ebenso hoch ist die Zustimmung unter BSW-Anhängern. Bei denen der FDP sind es noch immer 78 Prozent. Niedriger ist die Zustimmung bei Anhängern von CDU/CSU mit 62 Prozent und bei denen der AfD mit 59 Prozent. 31 Prozent der AfD-Anhänger lehnen die Freigabe ab sowie 35 Prozent der Unionsanhänger.
Dass der Gesetzestext vorsieht, eine Beratung vor einem Schwangerschaftsabbruch verpflichtend beizubehalten, finden 76 Prozent der Befragten richtig. Die Unterstützung liegt über alle Partei-Anhänger hinweg zwischen 75 und 89 Prozent. Einzige Ausnahme: Nur 52 Prozent der Grünen-Anhänger wollen die Beratungspflicht beibehalten.
Nur knappe Mehrheit für schnelle Entscheidung
Deutlich umstrittener ist der Zeitpunkt der Abstimmung des Gesetzes. 54 Prozent der Befragten stimmen einer Abstimmung noch in der vorzeitig zu Ende gehenden Legislaturperiode zu. 41 Prozent sind dagegen. Aufgeschlüsselt nach politischer Selbsteinschätzung sind 69 Prozent der politisch links stehenden Befragten für eine Abstimmung noch vor den Neuwahlen. Unter den politisch mittig stehenden Befragten sind es nur 47 Prozent. Wer sich politisch rechts einstuft, ist eher gegen eine Abstimmung vor dem 23. Februar: 63 Prozent sind dagegen, 34 Prozent dafür.
So gesehen bekommt Merz im RTL/ntv-Trendbarometer auch Unterstützung, wenn er vor einer aus seiner Sicht übereilten Abstimmung warnt. Das Schwangerschaftsrecht war über Jahrzehnte hochumstritten in Deutschland. Die gültige Regelung ist Ergebnis eines aufwändig ausgehandelten Kompromisses, nachdem das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil 1993 den Staat verpflichtet hatte, auch ungeborenes Leben zu schützen.
Kritiker bemängeln vor allem, dass die individuelle Entscheidung von Frauen weiter mit dem Strafrecht verknüpft wird. Schwangere, die sich aus einer empfundenen Notlage heraus für eine ungesetzliche Abtreibung entscheiden, würden dadurch Kriminellen gleichgesetzt. "Es ist wichtig, dass Schwangerschaftsabbrüche von ungewollt schwangeren Frauen entkriminalisiert werden. Darauf warten die Frauen und die breite Mitte der Gesellschaft", erklärte hierzu die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast, Mitte November.