Wegen einer Gesetzesänderung aus dem Jahr 2021 müssen Bürger bei der Beleidigung von Politikern mit der Polizei rechnen. Erste Abgeordnete wollen das jetzt rückgängig machen.
Spitzenvertreter von FDP und Linkspartei warnen anlässlich der Anzeigenflut von Politikern gegen Bürger vor einer Zweiklassenjustiz in Deutschland. Diese drohe aufgrund einer Gesetzesverschärfung aus dem Jahr 2021, die das Beleidigen von Politikern härter bestraft. Der entsprechende Paragraf müsse jetzt abgemildert werden, fordern sie.
"Die Verschärfung in dieser Form war ein Fehler und erschüttert das Vertrauen der Bevölkerung in das Recht auf freie Meinungsäußerung", sagte der Vizechef der FDP, Wolfgang Kubicki, dem stern. "Liberale haben sich stets gegen die gesonderte Strafverfolgung von sogenannten Majestätsbeleidigungsdelikten ausgesprochen."
Beleidigungsgesetz "absurd und maßlos"
Ähnlich äußert sich Janis Ehning, Bundesgeschäftsführer der Linken: "Die Verschärfung von Gesetzen ist oft nur ein hilfloses Agieren, das wenig Nachhaltigkeit beweist." Den Schutz von Lokalpolitikern zu verstärken, sei völlig richtig. "Doch jetzt erleben wir, wie ein einfacher "Schwachkopf"-Post gegen einen Minister zu Hausdurchsuchungen führt", kritisiert Ehning. "Das ist absurd und maßlos."
Kommentar Habeck Schwachkopf 13.13
Der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und Unionskanzlerkandidat Armin Laschet fordert Spitzenpolitiker zu mehr Zurückhaltung auf: "Wir als Politiker sollten die Einleitung von Strafverfahren gegen schimpfende Bürger behutsam und mit Maß und Mitte erwägen", sagte Laschet auf Anfrage des stern. "An jedem Stammtisch werden Regierende in allen Zeiten als Deppen, Idioten oder Schwachköpfe bezeichnet."
Grundlage ist ein Gesetz der Großen Koalition
Der Hintergrund der Debatte: Im Jahr 2021 hatte die damalige Große Koalition kurz vor ihrem Ende noch den Paragrafen 188 im Strafgesetzbuch eingeführt. Zuvor waren nur tätliche Angriffe oder Verleumdungen von Politikern gesondert strafbar. Es handelte sich dabei um ein Gesetz aus dem Jahr 1871.
Ab 2021 aber wurden erstmals auch Beleidigungen – wie etwa Schwachkopf – gegen "im politischen Leben des Volkes stehende Personen" härter verfolgt. Die Höchststrafe lag ab diesem Zeitpunkt bei bis zu drei Jahren Haft. Laut der Begründung des Gesetzes sollte so eine "Vergiftung des politischen Klimas" verhindert werden.
Zahl der Anzeigen hat sich stark erhöht
Seither hat sich die Zahl der Anzeigen von Politikern gegen Bürger massiv erhöht. Allein die beiden Grünen-Minister Robert Habeck und Annalena Baerbock stellten seit ihrem Amtsantritt zusammen mehr als 1000 Anzeigen gegen Bürger wegen Beleidigungen und teils auch Bedrohungen.
Auch Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz lässt Beleidigungen verfolgen. In mindestens zwei Fällen kam es dabei laut Recherchen des stern zu Hausdurchsuchungen. In einem Fall, weil jemand ihn auf der Plattform X als "Nazi" bezeichnet hatte.
Linke und FDP gegen Sonderbehandlung von Politikern
Linken-Geschäftsführer Ehning warnt nun vor einer Sonderbehandlung von Politikern. "Politiker wie Robert Habeck oder Friedrich Merz genießen offenbar eine nicht gerechtfertigte Sonderbehandlung." Bei Beleidigungen anderer Bürger würden höchstens Verwarnungen ausgesprochen. "Damit schaffen wir eine Zweiklassenjustiz", mahnt Ehning.
Ähnlich sieht es FDP-Vizechef Kubicki: "Die Lösung kann nicht darin bestehen, dass wir jetzt Politiker auf eine andere Hierarchieebene stellen, die sich mit Mitteln des Strafrechts verbitten, als 'Schwachkopf' oder 'Depp' bezeichnet zu werden." Den Schutz von Lokalpolitikern hält auch er für richtig, allerdings nur bei Verleumdung und übler Nachrede.
Laschet appelliert an die Vernunft seiner Kollegen
Armin Laschet hat in seinem Bundestagswahlkampf mitbekommen, was es bedeutet, Ziel von Hass und Hetze zu sein. Trotzdem sieht er die Schuld für die aktuelle Anzeigenflut nicht beim Paragrafen 188. "Hass und Hetze sowie Beleidigungen sollen mit dem neuen Paragrafen 188 geahndet werden", sagte Laschet. Das sei grundsätzlich richtig.
Laschet appelliert vielmehr an andere Spitzenpolitiker, die überbordende Nutzung des Paragrafen müsse zurückgefahren werden: "Automatisiert mit Abmahnfirmen jeden zu verfolgen, passt nicht zu meinem Verständnis einer liberalen Demokratie", sagte Laschet. Er selbst wäge deshalb genau ab und unterschreibe Anzeigen nur bei übelsten Ausfällen und Drohungen gegen das Leben.
Es droht Bürgern sogar eine weitere Verschärfung
Kubicki und Ehning halten das nicht für ausreichend. "Wir blockieren derzeit die Strafverfolgungsbehörden mit Bagatellen, während im Netz und auch im realen Leben die echten Bedrohungen zunehmen", ärgert sich Kubicki. "Ich halte das für inakzeptabel."
Auch Linke-Geschäftsführer Ehning fordert deshalb Konsequenzen: "Persönlichkeitsrechte müssen geschützt werden, jedoch wäre beim Paragraf 188 mein Vorschlag, diesen zu überarbeiten und dabei das Maß wiederzufinden."
Ein Teil der deutschen Politik scheint jedoch in eine gänzlich andere Richtung unterwegs zu sein. Die Justizminister der Länder wollen in diesen Tagen auf Vorschlag der niedersächsischen Ressortleiterin Kathrin Wahlmann (SPD) diskutieren, die Voraussetzungen der "Politikerbeleidigung" abzusenken.