In Ungarn tritt ein neues Dekret in Kraft: Ukrainer aus Regionen, die Budapest als sicher ansieht, erhalten keine Hilfe mehr. Tausende Flüchtlinge könnten ihre Unterkünfte verlieren. Die Regierung verteidigt die Regelung mit dem Argument, die Ukrainer hätten genug Zeit gehabt, sich zu integrieren.
Nach dem Inkrafttreten eines Dekrets in Ungarn, das ukrainischen Flüchtlingen eine generelle Schutzbedürftigkeit abspricht, drohen dort zahlreiche Ukrainer ihre Unterkunft zu verlieren. Privat betriebene Flüchtlingsunterkünfte hätten bereits damit begonnen, Ukrainer auszuquartieren, teilte die Organisation Migration Aid mit.
In Kocs nördlich von Budapest mussten etwa 120 Flüchtlinge unter Aufsicht der Polizei ein Gästehaus verlassen. Bei den meisten handelte es sich um Roma-Frauen und -Kinder aus der westukrainischen Region Transkarpatien, wo es eine große ungarische Minderheit gibt. "Wir sind in einer hoffnungslosen Lage, weil wir nirgendwohin können", sagte die fünffache Mutter Marina Amit, die vergangenes Jahr nach Ungarn geflohen war. Sie fürchtet nach eigenen Angaben, dass bei einer Rückkehr ihr 17-jähriger Sohn in die ukrainische Armee eingezogen werden könnte.
Dem Vorgehen liegt ein am heutigen Mittwoch in Kraft getretenes Dekret zu Grunde, das Regierungschef Viktor Orban im Juni unterzeichnet hatte. Es schränkt die Unterstützung für Flüchtlinge aus der Ukraine ein, die aus Teilen des Landes kommen, die als nicht vom russischen Angriffskrieg betroffen gelten. Nach Einschätzung der ungarischen Regierung sind 13 und damit nur rund die Hälfte der ukrainischen Regionen von den Kampfhandlungen betroffen.
Regierung: Ausreichend Zeit, um auf die Füße zu kommen
Der Regierungsbeauftragte Norbert Pal verteidigte die neue Regelung als "vernünftig und angemessen". Zweieinhalb Jahre nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs hätten diejenigen, "die in Ungarn wieder auf die Füße kommen wollten", dafür ausreichend Gelegenheit gehabt, sagte er der regierungsnahen Zeitung "Magyar Nemzet".
Nach Schätzungen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR könnten durch das Dekret 2000 bis 3000 Ukrainer in Ungarn ihre staatlich geförderte Unterkunft verlieren. Die neue Regelung werde zum Verlust von Arbeitsverträgen führen und Auswirkungen auf die Schulbildung ukrainischer Flüchtlingskinder haben und damit "die bisher erreichten positiven Integrationsfortschritte gefährden", erklärte das UNHCR diese Woche und rief die Regierung in Budapest auf, ihre Politik zu überdenken.
Orban ist der einzige Regierungschef in der EU, der trotz des russischen Einmarschs in die Ukraine weiter enge Beziehungen zu Moskau unterhält. Waffenlieferungen an das Nachbarland lehnt der ungarische Regierungschef ab. Ungarn hat deutlich weniger ukrainische Kriegsflüchtlinge aufgenommen als andere Länder in der Region. Laut UNHCR haben etwa 46.000 Ukrainer einen Schutzstatus in dem Land beantragt.