4 months ago

Schule der Kriegskorrespondenten: So entsteht Putins Schattenarmee für den Propagandakrieg



Eine eigens geschaffene Schule bildet in Russland eine ganze Generation von "Kriegsreportern" aus, die in den besetzten Gebieten der Ukraine eingesetzt werden. Die angeblichen Journalisten sind Teil eines rasant wachsenden Desinformationsnetzwerks, das systematisch Russen und Ukrainer manipuliert.

Russland führt seinen Krieg an zwei Fronten - und eine davon verläuft durch den Informationsraum. Wenn die Besatzer ukrainische Gebiete einnehmen, verschwinden mit ihrer Ankunft auch die Presse- und Meinungsfreiheit. Während russische Soldaten die ukrainischen Städte samt Bewohnern in den sogenannten "Volksrepubliken" Luhansk und Donezk, sowie Teile Saporischschjas und Chersons kontrollieren, übernimmt eine andere Art von Armee die Besatzung des Informationsraums: Eine neue Generation an Propagandisten, die unter dem Deckmantel des Journalismus Kreml-treue Erzählungen streut.

In eigens dafür geschaffenen "Schulen" wird sie derzeit in Russland und den russisch besetzten Gebieten herangezogen. Eine davon ist die "Schule der Kriegskorrespondenten" ("Shkola Voenkora") mit Sitz in Moskau. In russischen Telegram-Kanälen, darunter im besetzten Saporischschja, wird aktuell die zweite Ausbildungsrunde beworben. Das Zielpublikum: junge Journalisten, Blogger, Regisseure, Medienschaffende und Studenten. Sie sollen in der kostenlosen Online-Ausbildung lernen, wie Propaganda in den besetzten Gebieten geht. Die Jahrgangsbesten erwartet danach ein "Intensivkurs mit aktiven Kriegsberichterstattern und einer Reise in die hinteren Teile der SVO-Zone", also der Zone der "militärischen Spezialoperation", wie Russland seinen Krieg noch immer nennt.

Viel Geld für die "Kriegskorrespondenten-Schule"

Auf einem Foto auf der Webseite der "Schule der Kriegskorrespondenten" posieren die aus dem ganzen Land stammenden Absolventen des ersten Jahrgangs vor einem teilweise zerstörten Gebäude in den besetzten Gebieten der Ukraine. Ein Video auf der russischen Video-Plattform Rutube zeigt sie bei einer zweiwöchigen "Pressetour" im April in Mariupol, in Luhansk und anderen besetzten Orten. "Viele denken, das ist weit weg. Nein, das ist hier bei uns, in unserem Land", erklärt darin Sergey Trofimow, nach eigenen Angaben Journalist. Dass die besetzten Gebiete angeblich zu Russland gehören, ist in den Staatsmedien eine oft wiederholte Selbstverständlichkeit.

Am 1. Oktober soll der zweite Jahrgang starten. Doch wer steckt hinter der Propaganda-Schmiede? Das Projekt wurde vom russischen "Präsidentenfonds für Kulturinitiativen" im Rahmen eines Wettbewerbs mitfinanziert. Dieser umfasst auch Projekte, "die darauf abzielen, den Donbass und die befreiten Gebiete in einen einzigen Kultur- Bildungs-, und Zivilisationsraum zu integrieren". Präsident Putin bezeichnete die "Förderung" der Kultur in den besetzten Gebieten als "besondere Aufgabe" der Stiftung, die 2021 durch ein Dekret des russischen Präsidenten gegründet wurde.

Einen Teil des Schulprojekts übernahm Putins Stiftung, doch die Hälfte der Kosten in Höhe von 9,2 Millionen Rubel (fast 95.000 Euro) soll von den Initiatoren der Schule selbst getragen worden sein. Ins Leben gerufen wurde die "Kriegskorrespondenten-Schule" von der 26-jährigen Vera Gennadeeva Kironenko aus dem Dorf Kuskowo im mittleren Teil Russlands. Auf ihrem Instagram-Profil zeigt sich eine junge, zierliche Frau.

In einem Beitrag für den Telegram-Kanal eines russischen Oppositionellen schrieb Anna K., die in Wirklichkeit anders heißt, dass Kironenko Absolventin der Journalismus-Fakultät der Technischen Staatlichen Universität (TSU) in Tomsk und "Fan von Sachar Prilepin" sei. Prilepin ist ein bekannter nationalistischer und sanktionierter Schriftsteller, Putin-Anhänger und Kriegsbefürworter, der 2017 eine militärische Funktion in der international nicht anerkannten "Volksrepublik Donezk" innehatte.

Laut Anna K. nahm Kironenko 2022 an einem Workshop Prilepins teil. Das "Bildungsprojekt Kriegskorrespondenten-Schule" hatte zunächst eine Laufzeit von November 2023 bis April 2024. Das Ziel laut der Beschreibung auf der Seite des "Präsidentenfonds": Angehende und bereits tätige Journalisten, aber auch interessierte Studenten im Kriegsjournalismus auszubilden, mit einem Praxisteil in den besetzten "Volksrepubliken DNR und LNR". Für journalistische Objektivität solle dabei der "Erfahrungsaustausch zwischen Journalisten aus verschiedenen Regionen Russlands und des Donbass" sorgen.

"Das Ziel dieser Art von Schulen ist es, unter dem Deckmantel journalistischer Regeln Botschaften im Dienste der Kreml-Ideologie zu verbreiten", erklärt Jeanne Cavelier, Leiterin des Osteuropa- und Zentralasien-Referats Reporter Ohne Grenzen (RSF). "Und deshalb ist das aus unserer Sicht so gefährlich. Denn so wird alles immer undurchschaubarer." Während Russland eine "Armee von Propagandisten" für die Arbeit in den besetzten ukrainischen Gebieten ausbilde, unterdrücken die russischen Streitkräfte weiterhin ungestraft abweichende Stimmen und spüren diejenigen in den besetzten Gebieten auf, die nicht kollaborieren. "RSF verurteilt diese Methoden, die darauf abzielen, die offizielle Erzählung des Kremls durchzusetzen", so Cavelier.

"Wir waren auf diesen großen Informationskrieg nicht vorbereitet, den Russland mit der Invasion angezettelt hat", erklärt Nataliya Wyhowska, die das russische Propaganda-System im besetzten Saporischschja für das ukrainische Institut für Masseninformationen beobachtet. "Im ersten halben Jahr stand ich unter Schock, als ich das alles analysiert habe." Laut Wyhowska wurden sämtliche ukrainischen Medien unter der Besatzung "russifiziert". Betroffen davon waren mindestens 300 Redaktionen in den Oblasten Saporischschja, Cherson und Luhansk.

Doch was treibt eine junge Journalismus-Absolventin dazu an, eine Propaganda-Schule zu gründen? Anna K., die an derselben Fakultät wie Kironenko studierte, erklärte im Gespräch mit ntv, dass Kironenko wohl aus Überzeugung handelt. "Sie glaubt voll und ganz an das, was sie tut." Im Telegram-Beitrag schrieb Anna K. dazu: "Als Journalismusabsolventin an der TSU Tomsk hat man zwei Möglichkeiten: Man wird Journalistin beim (Oppositionsmedium) Mediazona. Oder man wird Propagandistin. Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht."

Weitere "patriotische" Wettbewerbe sind geplant

Nataliya Wyhowska vermutet, dass viele einfach ein lukratives Geschäft lockt. "Diese Propaganda erzielt eine riesige Menge Geld." Ein ganzes Netzwerk propagandistischer Medien werde derzeit aufgebaut. Die Gelder dafür stammten aus Moskau, "aus diesen prorussischen Geldern für die Entwicklung neuer Gebiete. Je länger ich diese Themen studiere, verstehe ich immer besser, dass der erste Grund Geld ist, und erst an zweiter Stelle Propaganda steht". 63,6 Millionen Rubel (mehr als 600.000 Euro) plane Russland für 110 ähnliche militaristische und "patriotische" Wettbewerbe auszugeben, sagt Wyhowska.

Laut der ukrainischen Organisation OPORA finanzierte der Präsidentenfonds seit Beginn der Großinvasion der Ukraine im Februar 2022 bis zum Ende des ersten Quartals dieses Jahres 181 Projekte in den besetzten Gebieten der Ukraine. Kosten: umgerechnet mehr als 11 Millionen Euro. Das Schulprojekt von Kironenko erhielt mittlerweile eine erneute Förderung der Stiftung in Höhe von fast 55.000 Euro für den Zeitraum bis 2025.

Ein Blick auf die Liste der Dozenten verrät, wie tief das Projekt im Kreml-gelenkten Propaganda-Apparat verankert ist: Neben dem bekannten Militärblogger und Gründer des großen Telegram-Kanals WarGonzo, Semjon Pegow, und "Kriegskorrespondenten" bei den Staatsmedien RT, "Komsomolskaya Pravda" und "Iswestija", findet sich auch Alexander Malkewitsch. Er wurde bekannt als Präsident des Propaganda-Netzwerks von Wagner-Chef Jewgenij Prigoschin. Wegen seiner Verbindungen zum Wagner-Netzwerk kam Malkewitsch auf die Sanktionsliste der USA.

RSF hat Malkewitschs Aktivitäten und sein weitreichendes Propaganda-Netzwerk aufgedeckt, das er im Südosten der Ukraine aufgebaut hat. So ist im "Neuen Russland" ("Noworossija") -wie Russland die Süd- und Ostukraine auf Basis eines zaristischen Konzepts nennt - innerhalb kurzer Zeit die Mediengruppe "ZaMedia" entstanden. Dazukommen pro-russische Telegram-Kanäle und Zeitungen, die das Informationsvakuum mit Kreml-Narrativen fluteten. Eine "Journalistenschule" für 100 ukrainische Jugendliche wurde im besetzten Saporischschja ins Leben gerufen, um "die Qualität und Quantität der Medieninhalte zu verbessern". Allein die Tatsache, dass Malkewitsch nun als Lehrer die sogenannten "Kriegskorrespondenten" ausbilde, mache deutlich, worum es geht, erklärt Cavelier von RSF. "Keine Journalistenschule würde jemanden wie ihn einladen."

"All diese Dozenten stehen einfach im Dienst einer Ideologie und können zum Beispiel Hassreden gegen Ukrainer schüren, indem sie sagen, sie seien Nazis. Sie vermitteln also keine Informationen, aber sie versuchen, die Regeln des Journalismus nachzuahmen." In einer Antwort an die Vorwürfe von RSF heißt es auf der Webseite: "Die Kriegskorrespondenten-Schule bedankt sich bei RSF für die Aufmerksamkeit. Wir möchten jedoch klarstellen, dass in diesem Zeitraum nicht nur eintausend, sondern fünftausend Menschen Schüler waren." Cavelier glaubt, dass die Korrespondenz zwischen RSF und Propagandisten zeige, dass sie internationale Menschenrechtsorganisationen dazu nutzen, sich zu profilieren: "Sie wollen an diesem Informationskrieg teilnehmen, den Putin führt. Dass sie von einer internationalen NGO erwähnt werden, stärkt ihr Image gegenüber dem Regime nur noch mehr."

Die ersten "Kriegsberichte" der Absolventen sind mittlerweile erschienen, darunter die Reportage "In Mariupol geht das Leben weiter" in einem regionalen Online-Portal der zentralrussischen Region Saratow. Eine Absolventin hat ukrainische Kriegsgefangene für das kleine Nachrichtenportal "Ihre Nachrichten" interviewt. Es hat 96.000 Abonnenten auf Youtube. Dabei fällt auf: Drei der vier Gefangenen blicken eingeschüchtert auf den Boden, trauen sich nicht, die "Korrespondentin" an- oder in die Kamera zu schauen.

Man will zeigen: "Wir sind großartig"

In ihren Fragen vermischt die Absolventin Wahrheit und Fiktion: So wird in einem Atemzuug nach dem Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa im Mai 2014 gefragt, bei dem 48 größtenteils pro-russische Aktivisten starben, und nach "russischen Gefangenen, denen die Ukrainer oft bestialische Grausamkeiten entgegenbringen". Ein UN-Bericht zur Menschenrechtslage im Ukraine-Krieg widerlegt die Unterstellungen der Absolventin, russische Kriegsgefangene würden gefoltert. Ein Achselzucken notiert sie auf ihre Frage: "Sie sagen unterschiedliche Dinge über die ukrainische Armee. Zum Beispiel über europäische Werte, die Förderung homosexueller Beziehungen unter Soldaten. Sind das Gerüchte oder passiert es wirklich?"

Wyhowska vom Institut für Massenmedien, die die Propaganda-Inhalte untersucht, erklärt, dass diese sich vornehmlich an das russische Publikum richteten. "In unseren besetzten Gebieten wissen die Leute ja, wie es wirklich ist. Aber mir scheint, all diese Themen, all diese Nachrichten über das perfekte Leben in unseren besetzten Territorien sind an Russland und an die internationale Gesellschaft gerichtet. Sie sollen zeigen: Wir sind großartig."

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