Bei der Wahl zum Nationalrat liegt die FPÖ klar vorn. Die konservative ÖVP stellt mit dem amtierenden Regierungschef Nehammer künftig nur noch die zweitstärkste Kraft. Mit leichten Verlusten schneidet die SPÖ historisch schwach ab. Die Auszählung der Stimmen dauert an.
In Österreich zeichnet sich ein eindeutiger Wahlausgang ab: Bei der Nationalratswahl verliert die konservative "Österreichische Volkspartei" (ÖVP) ihre bisherige Mehrheit in der Volksvertretung. Die rechtspopulistische "Freiheitliche Partei Österreichs" (FPÖ) liegt am Wahlabend deutlich vorn.
Die FPÖ wird in den Hochrechnungen am späteren Abend bei 28,8 Prozent gesehen und wäre damit mit ihrem Spitzenkandidaten Herbert Kickl neue stärkste Kraft. Zum ersten Mal in der Geschichte der Alpenrepublik gewinnt eine rechte Partei eine Nationalratswahl. In den ersten Prognosen nach Schließung der Wahllokale lagen die Rechtspopulisten zeitweise sogar über 29 Prozent der abgegebenen Stimmen. Ein vorläufiges amtliches Auszählungsergebnis wird gegen 23.00 Uhr erwartet.
Hinweis: Die Infografiken zur Nationalratswahl 2024 werden am Wahlabend laufend aktualisiert.
Die ÖVP fällt mit voraussichtlich 26,3 Prozent der Stimmen auf Platz 2 zurück, wie der österreichische öffentlich-rechtliche Sender ORF berichtete. Die österreichischen Sozialdemokraten (SPÖ) rutschen mit leichten Verlusten auf Platz 3 ab und müssen mit 21,1 Prozent ihr bisher schwächsten Ergebnis bei einer Nationalratswahl verkraften. Die SPÖ liegt bisher allerdings lediglich 0,1 Prozentpunkte unter dem Niveau von 2019.
Die liberale Partei NEOS ziehen mit 9,2 Prozent noch vor den Grünen (8,3 Prozent) in den Nationalrat ein. Die österreichischen Grünen, die bisher in einer Koalition mit der ÖVP an der Regierung beteiligt waren, verlieren im Vergleich zur zurückliegenden Wahl 5,6 Prozentpunkte, die ÖVP sogar 11,2 Prozent. Damit müssen ÖVP und Grüne unter allen Parteien die im Vergleich zur vorausgegangenen Wahl größten Verluste hinnehmen.
Schon kurz nach Schließung der letzten Wahllokale um Punkt 17.00 Uhr (MESZ) war klar: Die politischen Machtverhältnisse in der Alpenrepublik haben sich durch diese Wahl massiv verschoben. Österreich rückt mit fast 30 Prozent für die FPÖ deutlich nach rechts. Das bisher amtierende türkis-grüne Regierungsbündnis aus Konservativen und Grünen unter Bundeskanzler Karl Nehammer kann die Wahl in bisheriger Form nicht überstehen. Die Wahlbeteiligung lag bisher vorliegenden Angaben zufolge bei etwa 78,0 Prozent.
Welche Partei künftig den Kanzler stellen kann, ist noch offen. Auf Basis der Hochrechnungen vom Wahlabend hätten rein rechnerisch nicht nur FPÖ und ÖVP gemeinsam eine Mehrheit im Nationalrat, sondern womöglich auch - äußerst knapp - ÖVP und SPÖ. Gemeinsam mit einem dritten Koalitionspartner kämen Konservative und Sozialdemokraten auf eine komfortable Grundlage zur Regierungsbildung. Denkbar wäre etwa eine Dreier-Koalition mit den Liberalen oder den Grünen.
Die ÖVP, die mit Karl Nehammer bisher den österreichischen Kanzler stellt, will nach ihrer Wahlschlappe in jedem Fall nicht mit dem Wahlsieger Herbert Kickl von der rechten FPÖ in einer Regierung zusammenarbeiten. "Das war gestern so und das ist heute so und morgen wird es noch immer so sein", sagte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker in einer ersten Reaktion.
Die FPÖ war schon mehrmals an der Regierung in Wien beteiligt, allerdings bisher nur als Juniorpartner. Sollten sich die Hochrechnungen bestätigen und die Rechtspopulisten tatsächlich stärkste Kraft im österreichischen Nationalrat werden, wäre es dennoch ungewiss, ob es dem stramm rechten Parteichef Kickl gelingt, eine tragfähige Mehrheit zu schmieden. Kanzler und ÖVP-Chef Nehammer etwa hatte eine Zusammenarbeit mit Kickl als Regierungschef wiederholt ausgeschlossen.
Der frühere Innenminister Kickl hatte die FPÖ-Führung nach dem "Ibizagate"-Korruptionsskandal seiner Partei 2021 übernommen. Mit Verschwörungserzählungen über die Corona-Schutzmaßnahmen, feindlichen Parolen gegen Migranten und scharfer Kritik an der Unterstützung der Ukraine angesichts des russischen Angriffskriegs brachte er der FPÖ Zulauf.
Kickl machte im Wahlkampf zudem mit gezielten Tabubrüchen von sich reden. So nennt er eine "Remigration" als eines seiner politischen Ziele, bei der Österreicher mit nicht-europäischen Wurzeln, deren Integration als unzureichend eingestuft wird, ausgewiesen werden sollen.
FPÖ-Chef Herbert Kickl bekräftige den Regierungsanspruch seiner Partei. "Wir sind bereit, auch eine Regierung zu führen", sagte Kickl am Abend bei der Runde der Spitzenkandidaten der größten Parteien im österreichischen Fernsehen. Dabei schließe die FPÖ kein Bündnis von Vornherein aus: "Unsere Hand ist ausgestreckt in alle Richtungen", betonte Kickl.
Stimmgewinne hatten sich in den Umfragen abgesehen vom rechten Lager auch für die österreichischen Liberalen angedeutet. Die Partei "Das Neue Österreich" (NEOS) - die in Österreich in Pink für "Freiheit, Fortschritt und Gerechtigkeit" antritt - steigt vor den Grünen zur neuen viertstärksten politischen Kraft im Land auf.
Zuwächse verzeichneten daneben auch die BIER-Partei und die KPÖ. Die BIER-Partei, die KPÖ und weitere Kleinparteien verpassen allerdings den Einzug ins Parlament. Chancen auf einen Einzug ins Parlament sahen Meinungsforscher im Vorfeld der Wahl vor allem bei der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) sowie der vergleichsweise junge "Bierpartei" (BPÖ). Insbesondere der als Spaß- und Satirepartei gestartete BPÖ wurden im Vorfeld der Wahl gute Aussichten eingeräumt, es über die in Österreich geltende Vier-Prozent-Hürde schaffen.
Wenig Aussichten, die im österreichischen Wahlrecht vorgesehenen Sperrklauseln zu überwinden, hatten dagegen die übrigen österreichischen Kleinparteien, darunter auch die "Liste Madeleine Petrovic" (LMP). Bei der LMP handelt es sich um eine impfskeptische Tier- und Umweltschutzpartei, die aus der Ablehnung staatlich angeordneter Maßnahmen während der Coronavirus-Pandemie hervorgegangen ist.
Die namensgebende Spitzenkandidatin Madeleine Petrovic saß von 1990 bis 2003 als Abgeordnete der Grünen im Nationalrat. Wie die BPÖ trat die erst 2022 gegründete LMP am 29. September erstmals bei einer Nationalratswahl an. Mit ihrer namensgebenden Spitzenkandidatin erreichte die "Liste" laut Hochrechnung immerhin 0,6 Prozent der Stimmen.
Vollkommen unklar war bis zum Wahltermin noch, wie aktuelle Ereignisse wie die Hochwasser-Katastrophe das Stimmverhalten und den Wahlausgang beeinflussen. Deutlich wurde dagegen jedoch schon früh, dass vor allem das Regierungslager in der Öffentlichkeit an Rückhalt verlieren dürfte.
Der österreichische Nationalrat ist in seiner Funktion im politischen Gefüge der Alpenrepublik grob mit dem deutschen Bundestag vergleichbar. Als zweite Parlamentskammer neben dem österreichischen Bundesrat ist der Nationalrat zentrales Organ der Gesetzgebung und Ort der parlamentarischen Debatte.
Sperrklauseln kommen in in Österreich bei der Auszählung der Stimmen in einem mehrstufigen Verfahren zur Anwendung. "Für die Nationalratswahl ist das österreichische Bundesgebiet in neun Landeswahlkreise eingeteilt, die wiederum in insgesamt 39 Regionalwahlkreise untergliedert sind", erläuterte das Innenministerium in Wien das Vorgehen.
Um bei der Sitzverteilung berücksichtigt zu werden, müssen Parteien entweder in der ersten Stufe der Auszählung in mindestens in einem der 39 Regionalwahlkreise eine gewisse Prozenthürde überschreiten oder in einer zweiten Stufe landesweit mehr als vier Prozent aller abgegebenen Stimmen erreichen. Die lokale Hürde für das Grundmandat liegt in der Regel bei 20 bis 25 Prozent der vor Ort abgegebenen Stimmen
Bei der regulär alle fünf Jahre anstehenden Nationalratswahl werden alle 183 Sitze der Parlamentskammer neu vergeben. Zur Stimmabgabe aufgerufen sind grundsätzlich alle Österreicherinnen oder Österreicher ab 16 Jahren. Die zuständige Wahlbehörde im Innenministerium gab die Zahl der Wahlberechtigten mit exakt 6.346.059 an. Die Zahl liegt um fast 51.000 unter dem Niveau bei der zurückliegenden Wahl 2019.
Rückblick: Österreich vor fünf Jahren
Insgesamt leben in der Republik Österreich rund 9,2 Millionen Menschen. Die mit Abstand bevölkerungsreichsten Regionen liegen im Norden und Osten der Alpenrepublik. Allein die Hauptstadt Wien zählt rund zwei Millionen Einwohner.
Das die Hauptstadtregion umgebende Bundesland Niederösterreich kommt auf eine Bevölkerung von etwa 1,7 Millionen, das weiter westlich gelegene Oberösterreich auf 1,5 Millionen, die Steiermark im Südosten auf insgesamt knapp 1,3 Millionen. Die übrigen fünf österreichischen Bundesländer Tirol, Salzburg, Kärnten, Vorarlberg und das Burgenland beheimaten gemeinsam 2,6 Millionen Einwohner. Das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 28,7 Prozent.
Bei der Nationalratswahl 2019 hatte die ÖVP noch einen Stimmanteil von 37,5 Prozent erzielt. Zweitstärkste Kraft war die SPÖ mit 21,2 Prozent, gefolgt von der FPÖ, die 16,2 Prozent erreicht hatte. Die Grünen hatte vor fünf Jahren vergleichsweise starke 13,9 Prozent eingefahren. Die Liberalen (NEOS) lagen bei 8,1 Prozent. Die Wahlbeteiligung 2019 lag laut damaligen amtlichem Endergebnis bei 75,6 Prozent und damit unter der Quote der vorausgegangenen Nationalratswahl 2017, die in jenem Jahr noch glatte 80,0 Prozent erreicht hatte.