Rechts, laut, radikal – Jean-Marie Le Pen, Gründer des französischen Front National, ist verstorben. Über einen Mann, der Frankreich verändert hat.
Zu den vielen schillernden Geschichten, die das Leben des Jean-Marie Le Pen umranken, gehört die Sache mit dem Geld. Mitte der 1970er Jahre stand der umtriebige Rechtsextreme bereits an der Spitze des Front National, den er gemeinsam mit einer Clique Alt-Nazis gegründet hatte. Le Pen war dreifacher Vater, Ehemann, karrierebewusst und mittellos, als 1976 plötzlich seine Pariser Wohnung explodierte. Die Polizei fand kiloweise Sprengstoff. Woher der stammte, wurde nie geklärt. Fest steht nur: So richtig ungelegen kam das Drama nicht. Nahezu zeitgleich verstarb nämlich, Zufall oder nicht, ein überaus wohlhabender Freund Le Pens. Flugs bezog der Politiker mitsamt seiner Frau und den drei Töchtern dessen schlossähnliches Anwesen im noblen Pariser Vorort Saint-Cloud. Dort lebte er bis zu seinem Tod.
Den verdutzten Angehörigen präsentierte Le Pen sich damals als Erbe des Verstorbenen. Umgerechnet rund acht Millionen Euro soll er auf diese Art ergattert haben. Ein Schatz, den er zwar teilen musste – man einigte sich irgendwie – aber der den Grundstock für alles weitere legte: Le Pen konnte sich und seine Partei nun notfalls auch selbst finanzieren.Marine Le Pen Justiz 09.27
Man nannte Jean-Marie Le Pen "Wildschwein"
Der selbstbewusste Bretone, 1928 als Sohn eines Fischers und einer Näherin im Küstenstädtchen La Trinité-sur-Mer geboren, hatte zu der Zeit schon einiges hinter sich. Fallschirmjäger in Indochina, 1957 dann im Algerien-Krieg. Eine Zeit, die ihn prägte, auch mental. National war er immer gewesen, sein Hass auf Algeriens Unabhängigkeit von Frankreich versiegte nie und verschaffte ihm die Loyalität vieler Gleichgesinnter. In Algerien soll er gefoltert haben. Bewiesen wurde es ihm nicht, sorgte in gewissen Kreisen aber dennoch für Anerkennung. Seit Anfang der 1980 Jahre fehlte ihm das linke Auge. Eine Verletzung, die angeblich auf ebenfalls auf seine Zeit als Kombattant zurückgehen soll, hieß es – aber Jean-Marie Le Pen trennte nie so genau zwischen Anekdoten und Tatsachen.
Politische Programme fand er sinnlos. Das "Wildschwein", wie er auch genannt wurde, verließ sich von Beginn an auf seinen Instinkt. Le Pen sagte Dinge, von denen er genau wusste, dass zumindest ein Teil der Leute sie hören wollten: Frankreich müsse Frankreich bleiben. Weniger Araber, weniger Asiaten. Ein Land mit stolzer Vergangenheit, die auf keinen Fall durch irgendwelche Juden-Geschichten vergiftet werden dürfe. "Ich bin der einzige, der den Franzosen noch Träume bieten kann", sagte er 1983. Sein Erfolgsrezept. STERN PAID 27_24 Le Pen 1305
Ein Schock für das demokratische Frankreich
Wer denkt, Fake News oder "post-faktische" Politik seien neue Phänomene, sollte sich Fernsehauftritte Jean-Marie Le Pens ansehen. 1984 saß er in der Sendung "Stunde der Wahrheit"; bis heute könnte das als Lehrfilm für alle Populisten durchgehen: Polternd und wuchtig ließ Le Pen die Journalisten auflaufen. Er beantwortete keine einzige Frage. Stattdessen feuerte er falsche Behauptungen und Zahlen ab, die vor laufenden Kameras niemand richtigstellen konnte. Resultat: Die Sendung wurde ein Quoten-Hit. Mehr als 40 Prozent der Zuschauer waren danach von seinen ausländerfeindlichen Sprüchen überzeugt. "Eine Million Arbeitslose sind eine Million Ausländer zuviel", war einer seiner populärsten Slogans. Erstmals liefen dem Front National Mitglieder in Scharen zu.
Im Juni 1984 wurde Jean-Marie Le Pen ins Europaparlament gewählt. Wenig später saß seine Partei in der französischen Nationalversammlung. Stück für Stück eroberte der FN Rathäuser und Wahlkreise. Im Jahr 2002 folgte der erste große Schock für das demokratisch gesinnte Frankreich: Jean-Marie Le Pen rutschte in die Endabstimmung der Präsidentschaftswahlen. Er verlor damals haushoch gegen Jacques Chirac. Dennoch war es sein größter Triumph. Der rechtsextreme FN wurde erstmals als eine Partei sichtbar, die ins Establishment aufrücken könnte.
Bruch mit Marine Le Pen
Jean-Marie Le Pen war besessen davon, dass der Front National einzig als rüpelnde Bande erfolgreich sein könne. "Niemand will einen moderaten FN“, donnerte er, wenn andere ihm zu Mäßigung rieten. Laut sagen, was die Franzosen nur leise denken – lange war das sein bewährter Leitsatz. Der einäugige FN-Führer schwadronierte über ungleiche Rassen und betonte wiederholt, die Gaskammern seien lediglich ein unwichtiges Detail des Zweiten Weltkriegs. Letzteres führte schließlich zum Bruch mit seiner jüngsten Tochter Marine Le Pen. 1998 war sie in den politischen Betrieb ihres Vaters eingestiegen, 2011 hatte sie von ihm die Führung des FN übernommen. Früh hatte sie erkannt, dass die Leitsätze des Alten nicht mehr funktionierten. Sie wandte sich dem Konzept seines parteiinternen Widersachers zu: "Dédiabolisation" – der Front National sollte rhetorisch weichgespült und neu positioniert werden. Eine Linie, der sie bis heute folgt.
Am 1. Mai 2015 kam es bei einem parteiinternen Fest zu einem letzten denkwürdigen Auftritt Jean-Marie Le Pens: Seine Tochter, Präsidentin des FN, stand schon auf der Bühne, sie wollte reden – da kletterte der Alte in einem roten Mäntelchen aufs Podest, riss die Arme in die Luft und ließ sich feiern wie in alten Zeiten. Kurz darauf warf sie ihn endgültig aus der Partei. Ein Generationenwechsel mit symbolischem Vatermord. Oder eine Inszenierung? Hinter den Kulissen sollen Vater und Tochter sich jedenfalls stets bestens verstanden haben.
Der alte Le Pen hat in seiner Tochter die bestmögliche Nachfolgerin gefunden – dem FN, heute Rassemblement National, geht es unter ihrer Führung prächtig. Jean-Marie Le Pen verstarb am 7. Januar 2025 nach einem mehrwöchigen Aufenthalt im Krankenhaus von Garches bei Paris. Er wurde 96 Jahre alt.