Bei den Nationalratswahlen in Österreich hat die rechtsextreme FPÖ klar gewonnen. Die Freiheitlichen liegen mit fast drei Prozentpunkten Vorsprung vor der konservativen ÖVP. Zur Regierungsbeteiligung könnte es dennoch nicht reichen - wegen des Spitzenkandidaten.
"Es ist ein Weckruf", fasst die österreichische Verteidigungsministerin Claudia Tanner von der ÖVP die Nationalratswahlen zusammen. Zuvor passt sie nicht auf, läuft an einer Reporterin des öffentlich-rechtlichen ORF vorbei. Die bittet aber um eine Stellungnahme. Die Ministerin sagt dann eben diese vier Worte. Dann sucht sie das Weite. Um kurz nach 19 Uhr bildet sich eine erste kleine Demonstration in Wien. "Nieder, nieder, nieder mit der FPÖ", skandieren die Demonstranten.
Die rechtsextreme Freiheitliche Partei Österreich (FPÖ) hat die Nationalratswahlen mit rund 29 Prozent der Stimmen klar gewonnen. Es ist das beste Ergebnis in der Geschichte der Partei, die rund 13 Prozentpunkte im Vergleich zur letzten Wahl 2019 zugelegt hat. Die aktuelle Regierung aus der konservativen ÖVP und Grünen hat mit einem Minus von etwa 16 Prozentpunkte klar verloren. Allein die ÖVP kommt auf ein Minus von gut 11 Punkten und liegt mit gut 26 Prozent auf dem zweiten Platz, gefolgt von der SPÖ mit 21 Prozent. Zwei weitere kleine Parteien werden bei späteren Koalitionsverhandlungen möglicherweise noch das Zünglein an der Waage sein. Die wirtschaftsliberalen NEOs erreichen etwa neun Prozent, die Grünen landen mit einem Prozentpunkt weniger auf dem fünften Platz.
Zweierbündnis könnte erstmals nicht reichen
Auf Österreich werden damit schwierige Koalitionsverhandlungen zukommen. Die Sitzverteilung im Nationalrat zeigt: Eine "große Koalition" aus Österreichischer Volkspartei und den Sozialdemokraten hätte eine hauchdünne Mehrheit. Doch die beiden Parteien liegen mit ihren Zielen deutlich auseinander. So wollen die Sozialdemokraten zum Beispiel eine Vermögenssteuer einführen, um die Lücke im Bundeshaushalt zu stopfen. Die ÖVP ist eindeutig dagegen. Hinzu kommt, dass der Spitzenkandidat der SPÖ, Andreas Babler, in seiner eigenen Partei umstritten ist. Viele Politikbeobachter fürchten, dass eine mögliche Koalition von ÖVP und SPÖ wegen der knappen Mehrheit auf tönernen Füßen stehen könnte.
Anders wäre das mit einem dritten Koalitionspartner. Dafür kommen derzeit die NEOs in Frage, denn die Grünen sind bei den anderen Parteien nicht wirklich beliebt und haben außerdem fünf Prozentpunkte verloren. Die NEOs haben dagegen, wenn auch nur etwa einen Prozentpunkt, zugelegt. Wären solche Koalitionsverhandlungen erfolgreich, wäre das die erste Dreierkoalition in Österreich seit 1945.
FPÖ-Regierung möglich: ÖVP will nur Kickl nicht
Eine Koalition zwischen FPÖ und ÖVP hätte dagegen eine stabile Mehrheit im Nationalrat. Bundeskanzler Nehammer hat jedoch ein Bündnis mit FPÖ-Spitzenkandidat Herbert Kickl abgelehnt, Kickl will auch nicht mit Nehammer zusammenarbeiten. Auch andere ÖVP-Sprecher lehnen eine Koalition mit Kickl ab. Hier wird es allerdings interessant: Eine Koalition mit der FPÖ ohne Kickl schließt niemand von der ÖVP aus.
Doch selbst, wenn Kickl auf das Kanzleramt verzichten sollte, ist eine Regierungsbeteiligung der FPÖ schwierig. Denn die müsste von Bundespräsident Alexander Van der Bellen ernannt werden. Am Sonntagabend erklärte er in einem kurzen Statement: "Ich werde nach bestem Wissen und Gewissen darauf achten, dass bei der Regierungsbildung die Grundpfeiler unserer liberalen Demokratie respektiert werden: etwa Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Menschen- und Minderheitenrechte, unabhängige Medien und die EU-Mitgliedschaft." Damit schließt er eine Regierung unter einem FPÖ-Kanzler quasi aus.
Und trotzdem: FPÖ-Chef Kickl kämpft bis zuletzt. Er wolle eine Regierung führen, die Veränderungen herbeiführt, sagt Kickl im österreichischen Fernsehsender ORF. Nun müssten die anderen Parteien umdenken. "Unsere Hand ist ausgestreckt in alle Richtungen", sagt Kickl.
Von einem bitteren Wahlergebnis spricht dagegen Bundeskanzler Karl Nehammer von der ÖVP. "Wir stehen für eine Politik der Mitte und der Stabilität", sagt er.
In Österreich werden nun langwierige Koalitionsverhandlungen erwartet. Nach den letzten Nationalratswahlen dauerten die Verhandlungen rund drei Monate. Beobachter vermuten: In diesem Jahr werden drei Monate möglicherweise nicht reichen.