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Meinung: Warum der Kanzler Friedrich Merz sofort auf den Beifahrersitz holen muss



Wenn Olaf Scholz als Bundeskanzler einen guten Abgang hinlegen will, sollte er jetzt eine Sache tun: Er muss gegenüber seinem Nachfolger Friedrich Merz Größe beweisen. 

 

Olaf Scholz war allein in London. Das mag wenig überraschend klingen. Schließlich ist es normal, dass er als Bundeskanzler zum Ukraine-Gipfel reist, den der britische Premier Keir Starmer nach dem Eklat beim Besuch von Wolodymyr Selenskyj in den USA kurzfristig einberufen hatte. 

Aber im Vorfeld war der Ruf laut geworden, Scholz solle seinen designierten Nachfolger Friedrich Merz mitnehmen. Warum dies nicht geschah, darüber schweigen sich beide Seiten aus. Hat Scholz nicht gefragt? Oder Merz nicht gewollt? Und wäre es nicht überhaupt ein seltsames Bild, wenn dort ein amtierender Kanzler mit seinem mutmaßlichen Nachfolger aufkreuzte?

In der Union wird nun darauf verwiesen, dass Scholz‘ Vorgängerin Angela Merkel genau dies getan hat. Im Oktober 2021, einen Monat nach der Bundestagswahl, lud sie Scholz ein, sie zum G20-Gipfel zu begleiten. Quasi um ihn auf internationaler Bühne als künftigen Kanzler einzuführen.

Olaf Scholz sollte sich verhalten wie Merkel

Natürlich hinkt der Vergleich. Denn Scholz hatte nicht Merkel besiegt, sondern den Unionskanzlerkandidaten Armin Laschet. Außerdem hatte er als Finanzminister und Vizekanzler einen Kabinettsposten, war also aus internationaler Perspektive formell satisfaktionsfähiger als ein Mann, der zwar Wahlgewinner, Unionsfraktionschef und CDU-Vorsitzender ist, aber eben kein Regierungsamt innehat.

Trotzdem wäre die Mitnahme nicht nur eine große Geste, sondern eine wichtige und richtige gewesen.

Vor Merz liegt eine Mammutaufgabe

Denn spätestens seit Freitag dürfte auch dem Letzten klargeworden sein, dass wir uns in einem Moment des Umbruchs befinden, der für Europa und für Deutschland dramatische Folgen haben wird. Donald Trump und seine Regierung haben die transatlantische Wertegemeinschaft aufgekündigt, der wichtigste Verbündete fällt damit weg. Nun muss so schnell wie möglich eine starke Führung in Europa und in Deutschland entstehen.

Vor Friedrich Merz liegt eine Mammutaufgabe. Er, der keinerlei Regierungserfahrung hat, (wie von seinen Gegnern auch immer wieder betont wurde), muss sich jetzt in Windeseile in das wichtigste Amt im Staat einarbeiten und schwerwiegende Entscheidungen treffen. Anders als seine Vorgänger hat er dafür keine Schonfrist.  

Wenn Scholz das Land so sehr am Herzen liegt, wie er selbst stets betont hat, dann sollte er jetzt sein Ego und in Teilen vielleicht sogar berechtigten Zorn auf den bisherigen Rivalen zurückstellen und alles dafür tun, dass ein optimaler Übergang gelingt. Dass Merz eine echte Chance bekommt, dieses Land aus der Krise zu führen. 

Für Arroganz ist jetzt nicht der Moment

"Es gibt kein Regierungspraktikum und es gibt auch kein An-die-Hand-Nehmen", hat Regierungssprecher Steffen Hebestreit kurz nach der Wahl gesagt. Das ist eine Haltung, die man sich in Friedenszeiten erlauben kann. Doch in Zeiten wie diesen gibt es Dinge, die über die eigene Befindlichkeit hinausgehen sollten. 

Auch das Argument, dies gehöre sich diplomatisch nicht, ist hinfällig. Trump hat bereits in seiner ersten Amtszeit bei seinem Besuch des G20-Gipfels 2017 in Hamburg mal eben seine Tochter Ivanka auf seinem Platz am Tisch mit den anderen Staats- und Regierungschefs sitzenlassen. Auch in seiner zweiten Amtszeit demonstriert er jeden Tag aufs Neue, dass die bisherigen Regeln des Regierens und der Diplomatie für ihn keine Bedeutung haben. 

Angesichts des Regelbrechers im Weißen Haus sollten auch die Deutschen über Disruption in ihrem Verhalten nachdenken. Alles, was sich auf dem Boden der Verfassung bewegt, ist legitim. Dass ein Kanzler seinen Nachfolger zu internationalen Treffen mitnimmt, gehört dazu.

Merz wird sich verändern müssen

Olaf Scholz wird nicht als großer Kanzler in die Geschichte eingehen. Aber er kann als einer in die Geschichte eingehen, der im Abgang seine wahre Größe bewiesen hat.

Und Friedrich Merz wird zeigen müssen, dass er sich von einem immer wieder von Impulsen gesteuerten und zu populistischen Parolen neigenden Oppositionspolitiker zu einem Staatsmann entwickeln kann. Der Sondergipfel in Brüssel am Donnerstag wäre eine erste kleine Gelegenheit dafür.

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