6 hours ago

Aus dem Schatten ins Rampenlicht: Das ist Österreichs neuer Kanzler



Er selbst spricht von "einer Zeit geopolitischer Umwälzungen": Christian Stocker schickt sich an, die erste Dreier-Koalition Österreichs zu führen. Vor gar nicht allzu langer Zeit dürfte niemand in der Alpenrepublik den Rechtsanwalt für diese Aufgabe auf dem Schirm gehabt haben.

Dass Christian Stocker einmal Bundeskanzler in Österreich wird, hätte er lange vermutlich selbst nicht gedacht. Noch bis vor wenigen Jahren war der 64-jährige ÖVP-Politiker weitgehend unbekannt. Nach einer monatelangen politischen Hängepartie und mehreren Anläufen für eine Regierungsbildung wurde der Parteichef der Konservativen aber tatsächlich zum neuen Bundeskanzler ernannt - und tritt damit nun aus dem Schatten ins politische Scheinwerferlicht.

Vor Stocker liegt eine große Aufgabe, schließlich führt er die erste Dreier-Koalition in der Geschichte Österreichs. Bei der Vorstellung des Regierungsprogramms des Bündnisses aus konservativer ÖVP, sozialdemokratischer SPÖ und den liberalen Neos sprach der studierte Rechtsanwalt von den bislang "schwierigsten Regierungsverhandlungen". Und das in "einer Zeit geopolitischer Umwälzungen".

Nach Jahrzehnten in der Lokalpolitik, unter anderem als stellvertretender Bürgermeister in seiner Heimatstadt Wiener Neustadt, wurde Stocker 2019 als Abgeordneter in den Nationalrat gewählt. Damit trat der gebürtige Niederösterreicher in die Fußstapfen seines Vaters, der ebenfalls im österreichischen Parlament saß. Drei Jahre später machte der damalige ÖVP-Chef Karl Nehammer Stocker zum Generalsekretär der Konservativen.

So wirklich ins Bewusstsein der Österreicher rückte der 64-Jährige jedoch erst zu Beginn dieses Jahres, als Parteichef Nehammer nach ersten gescheiterten Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ und den liberalen Neos das Handtuch warf. Stocker übernahm und überraschte seine Landsleute mit der Ankündigung, Gespräche für eine Regierung unter der Führung der rechtspopulistischen FPÖ annehmen zu wollen - ein Schritt, den er selbst und seine Partei im Wahlkampf noch ausgeschlossen hatten.

Vom Fliegenfischen zum Kanzleramt

Die FPÖ war bei der Wahl im vergangenen September mit mehr als 28 Prozent der Stimmen erstmals stärkste Kraft im Parlament geworden. Mit den ersten Verhandlungen mit SPÖ und Neos versuchte die ÖVP, eine Kanzlerschaft von FPÖ-Chef Herbert Kickl zu verhindern. Doch diese Verhandlungen platzten, Stocker sprach von einer neuen Situation und betonte, es gehe "darum, dass dieses Land gerade jetzt eine stabile Regierung benötigt und wir nicht fortlaufend Zeit in Wahlkämpfen oder Wahlen verlieren können, die wir nicht haben".

Mit dieser Begründung ging Stocker in Koalitionsverhandlungen mit der FPÖ, doch auch diese scheiterten. Daraufhin ergriff Stocker die Chance für einen zweiten Anlauf von Gesprächen mit Sozialdemokraten und Liberalen, die innerhalb weniger Tage zum Erfolg führten. Die drei Parteien seien bereit, "das Wohl unseres Landes über Partei und Einzelinteressen zu stellen", sagte Stocker bei der Vorstellung des Regierungsprogramms in der vergangenen Woche. Vorstellungen und Prioritäten aller drei Koalitionspartner seien in einem "gemeinsamen Programm für die Zukunft Österreichs vereint".

Stocker gewinne "langsam an Glaubwürdigkeit und schärft sein politisches Profil", lautet die Einschätzung des österreichischen Politikexperten Peter Hajek. Seine kurzzeitige politische Kehrtwende hin zur FPÖ würden ihm die Wähler vermutlich schnell verzeihen.

Angesichts mehrerer Kurzzeit-Kanzler in Österreichs jüngerer Geschichte ist Stocker, der in seiner Freizeit Saxophon und Golf spielt und passionierter Fliegenfischer ist, bereits der neunte Regierungschef innerhalb von zehn Jahren. Der 64-Jährige ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Adblock test (Why?)

Gesamten Artikel lesen





© Varient 2025. All rights are reserved