Knapp fünf Jahre nach der Wahl eines Ministerpräsidenten mithilfe der AfD steuert Thüringen wieder auf ein mögliches Desaster zu. Nur die Rollen haben sich verkehrt.
Als am 5. Februar 2020 der Thüringer Landtag den FDP-Landesvorsitzenden Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt hatte, war für die Linke kein historischer Vergleich zu groß.
Die damalige Landesparteichefin warf dem eben Gewählten den Blumenstrauß vor die Füße und sprach von einem "Pakt mit dem Faschismus", während der abgewählte Regierungschef Bodo Ramelow klagte, dass die CDU gemeinsam mit der FDP "den Steigbügel von Höcke" gehalten habe.
Tatsächlich hatte der Landtag ein historisches Tabu gebrochen. Erstmals in der Bundesrepublik war ein Regierungschef auch mit Stimmen von Rechtsextremisten ins Amt gelangt.
Zur Erinnerung: Am 5. Februar 2020 weigerte sich die CDU, Ramelow durch Ja-Stimmen oder Enthaltungen an der Spitze einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung zu bestätigen. Stattdessen wählte sie den FDP-Kandidaten Kemmerich. Die AfD nutzte die ihr dargebotene Chance: Anstatt für ihren eigenen Kandidaten zu stimmen, votierte sie für den Liberalen – und verhalf ihm zur Mehrheit.
Nun, knapp fünf Jahre später, könnte es in Thüringen erneut einen Ministerpräsidenten von Gnaden der AfD geben. Nur wäre es diesmal, um Ramelows Worte zu bemühen, seine eigene Linkspartei, die Björn Höckes AfD den Steigbügel hielte.
Wie die AfD einen Ministerpräsidenten wählte
So wie einst die CDU nicht bereit war, dem linken Regierungschef eine sichere Wiederwahl zu ermöglichen, weigert sich heute die Linke, vor der geplanten Wahl des CDU-Mannes Mario Voigt Klarheit zu schaffen. Oder, um erneut im Ramelow-Duktus zu bleiben: Jetzt könnte sie das Geschäft der sogenannten Faschisten erledigen.
Natürlich sind die Situationen von 2020 und 2024 nicht gleichzusetzen. Neben der Rollenverteilung haben sich es auch Umstände geändert. Dennoch könnte das Ergebnis ähnlich wie damals ausfallen, wenn sich am Donnerstag nun der CDU-Landeschef Mario Voigt zur Wahl stellt.
Das gefährliche Patt im Thüringer Landtag
Mit der Hälfte aller Stimmen im Landtag könnte Voigt rechnen. Seine Koalition mit BSW und SPD vereint 44 der 88 Abgeordneten. Es fehlt nur eine einzige Stimme zur Mehrheit – diese Stimme könnte entweder von der AfD (32 Abgeordnete) oder der Linken (12 Abgeordnete) kommen.
Stimmt also die Linke-Fraktion geschlossen mit Nein, enthält sich oder stellt gar einen eigenen Kandidaten auf, gibt sie der AfD die Möglichkeit zur Destruktion: Die Höcke-Fraktion könnte Voigt mit einer einzigen Stimme aus ihren Reihen zum Ministerpräsidenten zu machen.
Der CDU-Landeschef stünde dann vor derselben Entscheidung wie damals Kemmerich: Nimmt er die Wahl mithilfe von Rechtsextremisten an? Oder lehnt er ab und sorgt dafür, dass Ramelow weiter als geschäftsführender Ministerpräsident im Amt bleibt? Egal, wie er sich verhielt: Es wäre ein Fest für die AfD.
Die Linke argumentiert, dass die CDU sehr einfach diese Falle vermeiden könnte. Sie müsste nur das tun, was Voigt und Ramelow nach der Kemmerich-Wahl taten: Einen sogenannten Stabilitätspakt schließen.
Ein Papier wäre reine Symbolpolitik
An dieser Stelle hat die Linke einen Punkt. Ja, die CDU müsste sich bewegen. Doch Voigt befindet sich in einer unmöglichen Lage. Er mutet seiner CDU bereits eine Koalition mit der populistischen Linke-Abspaltung von Sahra Wagenknecht zu. Darüber hinaus eine De-facto-Tolerierung durch die Linke zu akzeptieren: Das wäre der eigenen Partei unter Friedrich Merz im Bundestagswahlkampf kaum zu vermitteln.
Zudem ist das Papier, das die Linke verlangt, reine Symbolpolitik. Eine Vereinbarung lässt sich aufkündigen, ohne dass die Regierung neu gebildet werden muss.
Auf der anderen Seite bleibt die Koalition, will sie sich nicht auf die AfD stützen, auf die Hilfe der Linke angewiesen. Sie könnte also im parlamentarischen Betrieb auf Zugeständnisse drängen.
CDU-Chef Voigt hat sich dafür sogar ein Verfahren ausgedacht: den Konsultationsmechanismus. Mit ihm sollen die Oppositionsfraktionen – also konkret die Linke – schon während der Kabinettsberatungen in die Gesetzgebung eingebunden werden. Doch das reicht Ramelows Landespartei nicht.
Dass die Linke eine Weile pokerte, um noch mehr herauszuholen, ist nachvollziehbar. Jede Partei würde so handeln. Doch nun ist ein Punkt erreicht, an dem die Linke das tut, was sie der CDU vor knapp fünf Jahren mit größtmöglichem Furor vorwarf: die AfD in die Offensive bringen und das Ansehen des Thüringer Parlaments zu beschädigen.
Ja, Voigt und die Union wären dann erneut an dem Desaster beteiligt. Aber die Linke hätte es diesmal in ihrer Doppelmoral hauptsächlich verschuldet.