Der Thüringer Linke-Ministerpräsident Bodo Ramelow begrüßt den Rückzug der Parteivorsitzenden Wissler und Schirdewan, kritisiert aber den Zeitpunkt. Und er attackiert das BSW.
Herr Ramelow, die Rücktrittsankündigung der beiden Linke-Vorsitzenden erwischt Sie mitten im heißen Wahlkampf. Wie sauer sind Sie?
Erst einmal will ich sagen: Die Ankündigung ist ein absolut notwendiger Schritt. Ich räume aber ein, dass solche Veränderungen zusätzliche Unruhe schaffen und den Wahlkampf belasten könnten. Nur: Jede Ankündigung zu einer personellen Veränderung wäre zur Unzeit gekommen. Der Zeitpunkt mag also schlecht erscheinen, aber er kann auch Hilfe sein. Und ich verstehe die beiden Vorsitzenden. Der Druck auf sie war seit der Europawahl massiv aufgebaut worden, erst durch die Äußerungen von Gregor Gysi und Dietmar Bartsch – und dann durch einige Landesverbände. Wir Thüringer gehörten übrigens ausdrücklich nicht zu diesen Verbänden. Was ich aber deutlich sage: Die neue Führung kann nur ein Teil eines grundlegenden Neuanfangs der Partei sein. Ein Austausch von Personen reicht nicht.
Das heißt?
Schon zur Gründung der Partei, an der ich mitgearbeitet habe, gab es Konstruktionsfehler. Die Linke benötigt eine klare Führungs- und Handlungsstruktur, in die alle Landesvorstände verbindlicher einbezogen sind. Bisher waren Parteivorstand, der Parteirat und die Landesverbände auf verschiedenen Planeten unterwegs, während die Bundestagsfraktion sich wie ein eigenes Sonnensystem aufgeführt hat, mit Sahra Wagenknecht im Zentrum des Streits.
Wagenknecht hat nun ihre eigene Konkurrenzpartei gegründet, die in den Thüringer Umfragen vor Ihrer Landespartei liegt. Was macht das mit Ihnen?
Es macht mich kämpferisch. Wagenknecht war immer diejenige, die gegen eine pragmatische, mittige, an den Menschen orientierte Politik agitierte, also genau das, was sie jetzt populistisch einfordert. Mir hingegen ging es immer um den Gebrauchswert der Linken, und der ist in Thüringen nach wie vor hoch.
Weil Sie – noch – Ministerpräsident sind? Doch Ihre rot-rot-grüne Koalition kommt bei freundlicher Betrachtung in Umfragen gerade mal auf 25 Prozent. War es das für Sie?
Die Linke legt gerade in den Umfragen wieder zu und in sind in Schlagweite von CDU und BSW. Ich spüre unheimlich viel Motivation unserer Wahlkämpfer und bekomme viel Unterstützung – und da spielen meine Sympathie-Punkte nach wie vor eine große Rolle. Ich habe noch lange nicht aufgegeben. Etwa 40 Prozent der Wähler entscheiden erst kurz vor der Wahl.
Aber Sie können doch nicht leugnen, dass die Linke gerade überall existenziell bedroht ist, im Bundestag, in den Landtagen, in den Kommunen und den verbliebenen Landesregierungen. Wo bleibt da Ihr so genannter Gebrauchswert?
Wir gehen durch eine extrem schwierige Phase, in der wir immer mehr reale Macht verlieren. Das darf uns aber nicht dazu verleiten, keine pragmatischen Politikangebote mehr zu machen und stattdessen zur bloßen Bewegungspartei für Sozialismus und Weltfrieden zu verkommen. Wir müssen ganz konkret dafür streiten, dass das Leben der Menschen besser wird, im sozialen Bereich aber auch praktischen Dingen wie einer guten Eisenbahnanbindung.
Zu der extrem schwierigen Phase Ihrer Partei gehört neuerdings auch, dass gegen einen Thüringer Linke-Landtagsabgeordneten wegen Kinderpornografie ermittelt wird. Eine andere Abgeordnete ist deshalb aus der Partei ausgetreten ist. Wie schwer trifft Sie das?
Das hat mich tief in die Magengrube getroffen. Wir als Linke haben gleich eine klare Linie gezogen und gesagt, dass der beschuldigte Abgeordnete nicht Mitglied der künftigen Fraktion sein wird. Und während wir die klare Linie ziehen, kommt die andere Abgeordnete und tritt aus mit der Begründung, wir hätten keine klare Linie. Ich sage noch einmal klar: Die Täter, die Kinderpornografie produzieren, zerstören Menschenleben, zerstören Seelen, machen Leben kaputt und verwerten sie in widerlichster Form. Und die Täter, die dieses widerliche Produkt konsumieren, unterstützen diese Zerstörung von Leben, leisten Beihilfe. Und deswegen ist der Konsum von Kinderpornografie genauso hart zu bestrafen. Wenn sich der Beschuldigte sich jetzt nicht äußert, ist das sein juristisches Recht. Aber unser politisches Recht ist, zu sagen, dass er in diesem Fall für die Linke nie mehr Politik machen wird. Punkt.
Nochmal zurück zum BSW: Die Thüringer Landeschefin Katja Wolf hatte zuletzt Aussagen von Wagenknecht geechot, dass ihre Partei im Parlament auch AfD-Gesetzen zustimmen könnte…
…was ein dickes Ding ist. Als ihr Co-Landesvorsitzender genau dasselbe im Frühjahr sagte, hat Wolf ihn noch zurückgepfiffen. Und mir hat sie gesagt, dass sie allein wegen der Gefahr der AfD für die Demokratie zum BSW gegangen sei: Sie könne nicht für die Linke in Eisenach Oberbürgermeisterin bleiben, weil sie die Angst umtreibe, dass sie dann unter dem Ministerpräsidenten Höcke wach werde. Und jetzt erzählt sie, dass es auch bei der AfD keine Scheuklappen geben dürfe und alle Anträge im Parlament rein inhaltlich und argumentativ zu bewerten seien…
Wolf schließt eine aktive Zusammenarbeit oder gar eine Koalition mit der AfD aus. Glauben Sie ihr das nicht?
Was ich glaube, ist unerheblich. Was ich weiß: Katja Wolf war schon immer sehr geschmeidig. Aber die entscheidende Frage bleibt: Was hat Frau Wolf letztendlich überhaupt zu entscheiden oder zu sagen? Alles ist nur auf Frau Wagenknecht zugeschnitten, die in Thüringen gar nicht zur Wahl steht.
Und trotzdem würden Sie mit dem BSW koalieren, um Ministerpräsident zu bleiben?
Um mich geht es nicht. Es geht darum, dass wir jenseits der 30 Prozent, die womöglich für die AfD stimmen, in Thüringen wieder gestaltungsfähig werden. Ich habe viereinhalb Jahren eine Minderheitsregierung geführt und wir haben trotz Pandemie und Kriegsfolgen mehr erreicht, als viele wahrhaben wollen. Trotzdem war das wirklich kein Spaß. Das ist kein Modell, mit dem ein Land langfristig vorankommen kann. Wir brauchen deshalb eine Regierung mit einer handlungsfähigen Mehrheit im Parlament. Das wird schwer genug, weshalb wir alle, denen diese Demokratie am Herzen liegt, jenseits der rechtsextremistischen AfD keine Ausschlussdebatten führen sollten. Vor allem müssen alle demokratischen Parteien entscheidungsfähig sein. Thüringer Politik muss auch in Thüringen entschieden werden. Da habe ich bei CDU und BSW einfach Zweifel. Da wird Thüringen als Machtoption für die Bundestagswahl benutzt, so wie es Björn Höcke für seine Machtergreifungsträume in ganz Deutschland benutzt.