
Friedrich Merz suchte kürzlich nach einem Namen für seine Koalition, denn "GroKo" gefällt ihm nicht. So, wie seine Arbeitsgruppen mit der Meinungsfreiheit umgehen, hätte ich einen Vorschlag. Wie klingt "Halt-die-Schnauze-Ko"?
Die Union kann ihr Glück kaum fassen, denn jetzt kann sie endlich das Internet aufräumen: Meinungsfreiheit, Vertraulichkeit, Transparenz: auf den Müllhaufen der Geschichte damit! Was in den Arbeitsgruppen von Union und SPD diskutiert wurde, ist die Preisgabe der Freiheit, nicht in Scheibchen, sondern in faustdicken Stücken.
Beispiel: Informationsfreiheitsgesetz, IFG. Die Union schlägt vor, dieses Regelwerk abzuschaffen. Dabei ist dieses IFG eine zivilgesellschaftliche Errungenschaft. Bürgerinnen und Bürger, aber auch Journalisten können bei Ministerien und anderen Behörden Informationen beantragen.
Zwar hat der Staat umfangreiche Möglichkeiten, die Herausgabe zu verweigern. Aber selbst dann führt das IFG immerhin zu Kopfschmerzen und Rechtfertigungsdruck - das ist eine gute Grundvoraussetzung in einer freien Gesellschaft. Randnotiz: Die Tatsache, dass die Trump-Administration gern "Signal" benutzt, führen manche Beobachter darauf zurück, dass die Nachrichten so dem amerikanischen IFG entzogen wären.
Vertrauensbeziehung zu den Bürgern
Soll also die Flucht vor kritischen Fragen der Öffentlichkeit ein Vorbild sein für eine Regierung Merz? "Wir brauchen eine neue Vertrauensbeziehung zwischen Bürgerinnen und Bürgern und ihren Volksvertreterinnen und Volksvertretern", hatte die frisch gewählte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner kürzlich gefordert. Wie soll das funktionieren, wenn die Regierungsmehrheit den Bürgern ihr stärkstes Fragerecht aus der Hand schlägt?
Beispiel: Die Arbeitsgruppe Kultur und Medien schreibt einen ominösen Satz, wohlgemerkt zwischen den Parteien geeint. "Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt." Das zielt auf Regeln gegen "Desinformation", die der Gesetzgeber bis heute nicht definiert hat. Natürlich zitiert das Papier wieder das Gummiwort von "Hass und Hetze", Begriffe, die weniger zur Rechtsfortbildung beitragen als eine halbe Folge "Better Call Saul".
Man möchte also den Bürger warnen, weiß aber nicht wovor - oder was dann passieren soll. Dabei könnte der ominöse Satz selbst sogar Desinformation sein. Denn er erweckt beim ungeschulten Leser den Eindruck, Lügen sei nicht von den Grundrechten geschützt. Darf der Staat etwa das Lügen verbieten?
Lügen ist erlaubt
Das Gegenteil ist richtig: Man darf zum Beispiel jederzeit die falsche Uhrzeit ansagen. Man darf versprechen, man würde die Schuldenbremse verteidigen und sie danach reformieren. Der Rechtsstaat dürfte so etwas niemals verbieten.
Denn neben der Meinungsfreiheit gibt es andere Grundrechte. Ich darf lügen, dass sich die Balken biegen - solange es nicht strafbar ist oder zum Schutze anderer verboten ist, etwa bei falschen Angaben über Produkte oder Heilversprechen in der Medizin.
Beispiel: Volksverhetzung. Die Koalition möchte bei mehrfacher Verurteilung wegen Volksverhetzung das passive Wahlrecht entziehen. Niemand möchte Volksverhetzer auf Abgeordnetenstühlen sitzen sehen - aber wer den Tatbestand kennt, weiß, dass er geradezu dazu einlädt, von Staatsanwaltschaften politisch missbraucht zu werden. Das Strafrecht sollte das letzte Mittel sein und nicht ein beliebiges Werkzeug, um den rechten Rand zu disziplinieren.
Es fehlen die freiheitlichen Stimmen
Dass außerdem eine Vorratsdatenspeicherung eingeführt wird, also die Speicherung sämtlicher Kommunikationsverbindungen im Netz durch den Internetanbieter, gilt im Übrigen als ausgemacht. Hier hatten sich vor allem die Liberalen gesperrt, der Streit geht bald ins zwanzigste (!) Jahr.
Dass eine Koalition aus zwei Mitte-Parteien die Gelegenheit nutzt, um die Freiheit zu schleifen, ist politische Tradition. Aber diesmal könnte es schlimmer kommen: Die Union ist mit einem Versprechen von Ordnung und Sicherheit in den Wahlkampf gegangen, sie muss also liefern. Auch in der SPD gibt es Stimmen, die meinen, Kommunikationsregulierung sei ein gutes Mittel gegen den Rechtsextremismus.
Zudem fehlen heute viele freiheitliche Gegenstimmen, die zum Beginn des Internetzeitalters noch zu hören waren. Die meisten Fürsprecher der digitalen Bürgerrechte sitzen in der Opposition wie die Grünen oder sogar vor den Türen des Bundestags: Die komplette FDP ist aus dem Bundestag geflogen. Aber auch die in netzpolitischen Fragen freiheitlich denkende linke Digitalpolitikerin Anke Domscheit-Berg ist nicht mehr dabei.
Schlachtrosse der Netzpolitik
Zwei Schlachtrosse der Netzpolitik sind allerdings nicht ins Abseits geraten, sondern ganz nah am Zentrum der Macht - und vielleicht besinnen sie sich auf ihre digitalpolitischen Wurzeln und Tugenden. Die Rede ist von den SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken. Klingbeil war in einem früheren Leben engagierter Netzpolitiker und hält nach wie vor engste Verbindungen in die netzpolitische Zivilgesellschaft. Seine Co-Vorsitzende Saskia Esken ist staatlich geprüfte Informatikerin und seit Jahren Gegnerin der Vorratsdatenspeicherung.
Beide verstehen die digitale Gesellschaft, eigentlich. Vielleicht können sie einen Großangriff auf die Kommunikationsfreiheit verhindern. Darauf deutet ein schüchterner, rot geschriebener, also von der SPD eingebrachter Satz in den Sondierungspapieren: "Vertraulichkeit der privaten Kommunikation und Anonymität im Netz werden wir wahren."
Dabei muss es bleiben. Sonst hätte ich einen Vorschlag, was man über den Koalitionsvertrag schreiben könnte: Weniger Freiheit wagen!