1 day ago

"Zynisch und inhuman": BAMF-Chef hält Brandrede gegen Asylrecht



Mitten in die Koalitionsverhandlungen platzt eine Rede von BAMF-Chef Sommer. Darin fordert der Top-Beamte, Flüchtlinge aus dem Ausland nur noch einzufliegen. 

Mit einem Knall platzt eine Rede des Präsidenten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Hans-Eckhard Sommer, in die Koalitionsgespräche zwischen CDU/CSU und SPD. Darin forderte Sommer am Montagnachmittag in Berlin ein "gänzlich neues Schutzsystem" und damit eine faktische Abschaffung des bisherigen individuellen Anspruchs auf Asyl. 

Laut Sommer sollten künftig Schutzsuchende aus dem Ausland nur noch eingeflogen werden. "Wir würden damit das Geschäft der Schlepper weitgehend austrocknen." Sein Vortrag auf einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung, den er laut eigener Aussage als Privatperson hielt, geriet zu einer Abrechnung mit der deutschen und europäischen Asylpolitik.

BAMF-Chef sieht Rechtsstaat in seiner Existenz gefährdet

Während der Rede in Berlin sagte der derzeitige Chef des Flüchtlingsamtes: "Unser zynisches Asylsystem erlaubt keine Begrenzung der Migration. Es lädt regelrecht zu Missbrauch ein." Das derzeitige System sei gegenüber den Schutzsuchenden und der eigenen Bevölkerung verantwortungslos, mahnte der BAMF-Chef. "Die innere Sicherheit und der gesellschaftliche Zusammenhalt werden aufs Spiel gesetzt."

Mit Blick auf die laufenden Koalitionsverhandlungen warnte Sommer die Parteien vor nationalen Alleingängen. Deutschland habe im Asylrecht "nahezu keine Gesetzgebungszuständigkeit" mehr. Das scheine noch nicht angekommen zu sein. Doch eine Demokratie, die keinen Einfluss auf solche Fragen habe, verliere den Rückhalt der Bürger. Sommer mahnte: „Wir dürfen den demokratischen Rechtsstaat nicht in seiner Existenz gefährden."

Kipppunkt in der Asylfrage erreicht

Er wolle sich zwar nicht auf eine Obergrenze bei der Zahl von Flüchtlingen festlegen, aber es gebe gesellschaftliche Kipppunkte. "Verantwortliche Politik spürt, wann der Kipppunkt erreicht ist", sagte Sommer. "Er ist erreicht.“ Viele Kommunen seien über ihr Limit hinaus gegangen, die Zahl der Flüchtlinge vor allem wegen der Schließung der Balkanroute durch Serbien gesunken. "Ich bin nicht allzu hoffnungsfroh, dass das so bleibt."

Das gesamte System bezeichnete Sommer als zynisch. Deutschland und die EU finanzierten weltweit Schlepper mit. Dazu würde man sich mit rechtsstaatlich bedenklichen Regierungen wie Libyen einlassen, damit diese Flüchtlinge von Europa fernhielten. Dazu kämen nicht die Schwächsten, sondern alle jene, die eine Reise überleben und bezahlen könnten: junge Männer, vor allem aus der Mittelschicht der Herkunftsländer. 

Scharfe Kritik an Drittstaatenlösung

Sommer kritisierte auch die derzeitig diskutierten Lösungen: Keine sei geeignet, des Problems Herr zu werden. Die von der Union geplante Drittstaatenregel kritisierte der BAMF-Chef scharf: "Wer meint, zwei Abschiebeflüge bringen die Flüchtlingsströme zum Erliegen, der glaubt an Zauberei!" Die Idee zur Auslagerung der Verfahren außerhalb der EU habe schon Otto Schily gehabt. "Nie hat sich ein Staat dafür gefunden." Zudem mache man sich erpressbar. 

Die Konsequenz ist: Jeglicher andere Anspruch auf Asyl und sonstige Schutzrechte entfällt.

Auch gegenüber weiteren Lösungsansätzen zeigte sich Sommer skeptisch. Bei der EU-weiten Reform des Asylsystems, GEAS, blieben "zentrale Fragen" offen. Sommer stellte die Frage in den Raum, warum sich Staaten mit Außengrenzen an die neuen Regeln halten sollten, da sie sich ja auch an die alten schon nicht hielten. "Warum soll das in Zukunft anders sein?", fragte Sommer.

Schon diese öffentliche Abrechnung ist ungewöhnlich für einen deutschen Spitzen-Beamten. Doch Sommer geht noch einen Schritt weiter und macht in seiner Rede einen eigenen Vorschlag: Er will eine komplette Umstellung des Asylsystems auf die "humanitäre Aufnahme von Schutzbedürftigen aus dem Ausland". So mache es etwa Kanada vor. "Die Konsequenz ist: Jeglicher andere Anspruch auf Asyl und sonstige Schutzrechte entfällt."

Sommer war von Horst Seehofer ernannt worden

Dafür brauche es jedoch eine EU-weite Lösung, keine nationalen Alleingänge. Die Europäische Union würde Flüchtlinge ausschließlich über diese "humanitäre Aufnahme", wie Sommer es nennt, aufnehmen. Dafür fordert der Amtschef Quoten in „beachtlicher Höhe“. Er betonte, dass ihm die Drastik des Vorschlags bewusst sei. Auch müsste man dafür laut Sommer wohl die europäischen Verträge und die Genfer Flüchtlingskonventionen ändern. Das Grundgesetz müsste wohl ebenfalls geändert werden. 

Sommers Wort hat insbesondere in der Union Gewicht. Der Jurist leitet das Flüchtlingsamt seit 2018. Er ist Mitglied der CSU und wurde von Bundesinnenminister Horst Seehofer zum Behördenleiter ernannt. In den vergangenen Jahren hatte sich Sommer unter Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mit politischen Äußerungen zurückgehalten, kaum Interviews gegeben. Diese Zurückhaltung hat er nun aufgegeben.

Aus dem Publikum wurde Sommer am Montag gefragt, ob er mit seinem Vorstoß nicht eine Grundsäule der Menschenrechte und der Europäischen Union infrage stelle. Sommer antwortete: „Wir sonnen uns darin, dass wir allen helfen, und nehmen die Inhumanität für diesen Weg einfach in Kauf." Er halte seinen eigenen Vorschlag, sagte er, für "äußerst human". 

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