Wer soll dieses Land nur regieren, fragen sich viele Deutsche. stern-Kolumnist Florian Schroeder fragt sich vielmehr: Wer will diese verwöhnten Deutschen regieren?
Der Kanzler beleidigt Berlins Kultursenator als Hofnarr – eine Bezeichnung, die mich beleidigt, denn das sind doch eigentlich wir Satiriker. Mindestens in der Wahrnehmung derer, die glauben, dass Olaf Scholz meine Texte schreibt. Das tut er nicht, denn eine solch schlechte und unzutreffende Pointe hätte ich ihm unverzüglich aus dem Text gestrichen.
Robert Habeck hat vor 25 Jahren das eine Doktorarbeit geschrieben und nach den damaligen Regeln zitiert. Diese Petitesse ist noch nicht einmal die Zeile wert, die hier gerade entsteht. Aber die allgemeine Aufregung macht daraus eine Schlagzeile, als stünde eine Nixon-Affäre ins Haus.
Ein Volk aus 84 Millionen Nörglern
Der Wahlkampf ist kurz, die Aufregung groß. So weit, so vorhersehbar. In Berlin ist es kalt, es schneit, einen Winterwahlkampf ist man in Deutschland nicht gewohnt. Vielleicht liegen die Nerven darum blank. In jedem Fall stellt sich nach dieser und den vorangegangenen Wahlkampfwochen dringlicher denn je die Frage: Wer soll dieses Land regieren? Aber in umgekehrter Richtung. Wer soll ein Land regieren, das lechzt nach der Erregung, über die es sich in den Atempausen der Erregung lautstark erneut erregt? Wer soll ein Land regieren, das aus gefühlten 84 Millionen Nörglern, Meckerern und Polterern besteht?
In einer Paartherapie würde man von den Deutschen als einem toxischen Partner sprechen. Einer, dem man es einfach nie recht machen kann. Psychologen nennen dieses Dilemma das „Richtig Wichtig“-Paradox. Der eine Partner – hier die demokratischen Parteien – tut alles, um es den Wählern recht zu machen, sie nicht zu belasten, ihnen nicht weh zu tun, manchmal bis an die Schmerzgrenze und über die Grenze der Selbstverleugnung hinaus. Und was sagt der Partner dazu, die Wähler? „Ich bin Dir einfach nicht wichtig, Du siehst mich nicht! Du siehst meine Bedürfnisse nicht!“
Eigentlich müsste man sich trennen
In Paartherapien führt dieses Dilemma oft zur Trennung der Partner, weil es schlicht nicht lösbar ist, oder besser, weil es nur dann lösbar ist, wenn beide Seiten erst einmal ihre eigenen Probleme lösen. Aber das scheint bei der hier beschriebenen Konfliktlinie zwischen Politikern und Wählern nicht erreichbar zu sein. Und das liegt nicht an den Regierenden und denen, die es gern wären. Es liegt am Souverän, den Wählern, denen man es schlicht nicht recht machen kann. Wahrscheinlich, weil er selbst nicht weiß, was er von seinem Partner, dem Staat, eigentlich will.
Vielleicht weiß er das auch sehr genau, aber es ist schlicht nicht leistbar: Es ist die berüchtigte eierlegende Wollmilchsau. Man wird das kommenden Sonntag beim TV-Quadrell wieder schon beobachten können. Es soll eine epische Schlacht werden, die den Namen verdient! So wie in Amerika! Da sollen die Fetzen fliegen! Aber nein, es darf zugleich auch auf gar keinen Fall sein wie in Amerika. Wir wollen schließlich, dass sich alle liebhaben.
Hier zeigt sich auf politischer Bühne die Verlogenheit der Bürger, die sich in denen da oben nur spiegelt: So wie man in Deutschland auf der einen Seite den Vollkasko-All-inclusive-Staat will, der bitte alle Probleme lösen soll, der einen aber auch gleichzeitig bitte in Ruhe lässt. Ein Staat, der seinen Bürgern die größtmögliche Freiheit lässt, der aber bitte keine Eigenverantwortung abverlangt. Ein Staat, der alles funktionstüchtig macht: Schulen Straßen, Schienen, alles muss laufen wie geschmiert, aber dafür soll dieser Staat bitte keine Steuern erheben. Ja, wo leben wir denn?! Kleptokratie!
Klare Kante, aber weich muss sie sein
Dieses Land, diese Wähler kann niemand regieren wollen. Wer wollte ein solcher Masochist sein, dieses zutiefst verwöhnte, arrogante Volk auch nur einen Tag lang anzuführen? Schließlich fordert dieses Volk, der Politiker, den es herbeisehnt, solle doch mal endlich sagen, was ist, so wie früher, wie der Wehner und der Strauß und die ganzen alten Haudegen, die dieses unregierbare Land nur aus alten Dokus auf YouTube kennt. Aber wenn das dann passiert, dann ist derjenige, der es wagt, alles einfach mal zu sagen, natürlich nicht mehr kanzlerlike. Wie kann der sowas sagen? Will man so einen? Um Himmels willen, wo leben wir denn? Man will Kante, aber eine, an der man sich stoßen kann, aber die bitte so weich ist, dass sie nicht wehtut.
Das Leben in Deutschland soll sein wie ein Bungee-Sprung: im freien Fall, aber stets gut gesichert, um anschließend unten im Netz sanft aufzukommen.
Florian Schroeder, geboren 1979, ist Satiriker, Autor und Publizist. Er studierte Germanistik und Philosophie in Freiburg. In der ARD hostete er bis 2023 die Sendungen "Spätschicht", "Die Florian Schroeder Satireshow" und "Schroeder darf alles". Er hat mehrere Bücher veröffentlicht, zum Beispiel "Unter Wahnsinnigen. Warum wir das Böse brauchen." Derzeit ist er mit seinem Bühnenprogramm "Neustart" auf Tour. Seit Juni 2024 hat Schroeder die Videokolumne "Kurz und schmerzhaft" auf stern.de. Hier finden Sie alle bisherigen Beiträge.