Bundeswirtschaftsminister Habeck räumt eine erneute Rezession ein, sieht aber viel Licht am Ende des Tunnels. Dabei könnte es sich allerdings um einen entgegenkommenden Zug handeln: Das sinkende Wirtschaftswachstum stellt auch den wackeligen Ampel-Haushalt infrage.
Robert Habeck hat wieder eine Schautafel mit in die Bundespressekonferenz gebracht. Irgendetwas muss er dem allgegenwärtigen Abgesang auf die deutsche Wirtschaft ja entgegenhalten. Erst recht, wenn er das zweite Jahr in Folge der Öffentlichkeit ein schrumpfendes Bruttoinlandsprodukt erklären muss. Die Schautafel der Hoffnung, die der Minister nun in die Kameras hält, beschreibt in Diagrammen die Entwicklung von Inflation und Löhnen. Die Botschaft: Im Schnitt deutlich wachsende Löhne und eine sich dem EZB-Zielwert von zwei Prozent annähernde Inflationsrate bewirkten, dass die Menschen in Deutschland "in den letzten drei, vier Quartalen" wieder "wohlhabender geworden" sind. Habeck schöpft aus diesen Zahlen nicht nur Hoffnung für die deutsche Wirtschaft, sondern sieht sich auch in seiner bisherigen Arbeit bestätigt.
Im laufenden Jahr wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach Einschätzung der Bundesregierung um 0,2 Prozent schrumpfen. Im Frühjahr hatte sie noch ein Wachstum um 0,3 Prozent erwartet, nachdem das BIP bereits 2023 um 0,3 Prozent gesunken war. Bald aber soll es spürbar besser werden: Für 2025 und 2026 prognostiziert Habecks Haus Wachstumsraten von 1,1 und 1,6 Prozent. "Wir werden uns da rausarbeiten, beziehungsweise sind dabei, uns da rauszuarbeiten", sagt Habeck über die vergleichsweise rosigen Aussichten. Was der Grünen-Politiker aber einräumen muss: Die führenden Wirtschaftsinstitute gehen in ihrer gemeinsamen Herbstprognose für die beiden kommenden Jahre von einem jeweils 0,3 Prozentpunkte niedrigeren Wachstum aus als die Bundesregierung.
Die bereits gestiegenen Reallöhne machten sich erst verzögert in der Konsumlaune der Verbraucher sowie in der Investitionsbereitschaft der Unternehmen bemerkbar, erläutert Habeck die Wachstumserwartungen für 2025 und 2026. Derzeit sei bei den Menschen eine "ungewöhnlich starke" Sparquote zu beobachten, sagt Elga Bartsch. Die Abteilungsleiterin für den Bereich Wirtschaftspolitik im Bundeswirtschaftsministerium hat Habeck zur Pressekonferenz begleitet. "Wir glauben nicht, dass sich das hält", sagt Bartsch über die hartnäckige Kaufzurückhaltung.
Effekt der Wachstumsinitiative schrumpft
Bartsch kann auch erklären, wo die optimistischere Einschätzung der Bundesregierung für die kommenden zwei Jahre herrührt: Der Unterschied von 0,3 Prozentpunkten sei eine "Indikation darüber, was so ungefähr in unseren Zahlen eingebacken ist für unsere Wachstumsinitiative". Im Juli hatten Habeck, Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesfinanzminister Christian Lindner parallel zur vorläufigen Einigung des Bundeshaushalts 2025 ein Konjunkturprogramm aus rund 120 Einzelmaßnahmen beschlossen. Zum damaligen Erstaunen vieler Beobachter taxierte Habeck den erwarteten Effekt auf ambitionierte 0,5 Prozentpunkte zusätzliches Wachstum. So sollte das BIP-Wachstum 2025 bei 1,5 Prozent landen.
Nun aber kommt sein Ministerium auf einen Anschubeffekt von 0,3 Prozentpunkten und ein Gesamtwachstum von 1,1 Prozent im nächsten Jahr. Auch der Schubeffekt von 0,3 Prozentpunkten hat zur Voraussetzung, dass die von der Bundesregierung vereinbarten Maßnahmen so durch Bundestag und teils auch Bundesrat gehen. Wie unsicher das ist, zeigt der aktuelle Streit um die 1000-Euro-Prämie für Langzeitarbeitslose, die ein Jahr in Arbeit bleiben. Die Fraktionen von SPD und FDP laufen Sturm, Grünen-Arbeitsmarktsprecher Frank Bsirske sieht diesen Teil der Wachstumsinitiative ebenfalls skeptisch.
"Das ist eine Idee, die aus dem Hause Habeck kam", geht SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Katja Mast am Mittwochvormittag auf größtmögliche Distanz. Wenige Stunden später sagt Habeck dazu: "Ich halte viel davon, dass man zu den Beschlüssen, die man gefasst hat, auch steht." Die implizite Drohung: Wird eine Maßnahme des Wachstumspakets infrage gestellt, wackeln schnell auch alle anderen. Denn wie immer in dieser Koalition ist auch die Wachstumsinitiative ein Potpourri aus Wünschen aller drei Regierungsparteien, die entweder gemeinsam oder gar nicht über die Bühne gehen.
Ein nicht gedeckter Haushalt
Das offensichtliche Problem: Wann immer die Ampel-Koalition etwas Grundlegendes zu entscheiden hat, geht das nur über große Paketlösungen, die Scholz, Habeck und Lindner in mühsamen Nachtsitzungen erarbeiten. Landet anschließend dieses Paket im Parlament, machen die Fraktionen zuverlässig Konstruktionsfehler und vermeintliche Unwuchten aus. So war es beim Heizungsgesetz, beim Haushalt 2024 (Stichwort: Agrardiesel), bei der Kindergrundsicherung, beim Haushalt 2025 ... Die Liste ließe sich fortsetzen. Die Wachstumsinitiative und der erwartete, jetzt schon nach unten korrigierte Anschubeffekt für die deutsche Wirtschaft stehen auf brüchigem Fundament. Zumal mit jeder neuen Umfrage in allen drei Fraktionen die Bereitschaft sinkt, auf Kosten der eigenen Überzeugungen dieser Regierung zu Erfolgen zu verhelfen.
Die Rezession im laufenden Jahr sowie das schwächere Wachstum im kommenden Jahr erschweren die Lage der Ampel zusätzlich: Der Haushalt 2025 ist auf Kante genäht. Mehr noch: Zwölf Milliarden Euro geplanter Ausgaben sind nicht gedeckt. Diese sogenannte Globale Minderausgabe soll noch auf eine einstellige Milliarden-Größe heruntergehandelt werden. Der Rest fließe erfahrungsgemäß nicht ab, etwa in Form nicht voll ausgeschöpfter Förderprogramme, so das Kalkül. Die Rezession aber bewirkt auch sinkende Steuereinnahmen für das laufende Jahr, die Finanzierungslücke wird eher noch deutlich größer. Die Auswirkungen der Rezession auf den Bundeshaushalt will Habeck aber auch auf Nachfrage nicht beziffern. Bundesfinanzminister Lindner wird die Steuereinnahmeprognose Ende Oktober vorstellen.
Damit nicht genug: Die Ausgaben beim Bürgergeld werden ebenfalls nicht wie angenommen sinken, sondern eher zunehmen. Auch, weil eine schrumpfende Wirtschaft den Arbeitsmarkt belastet. Mit rund 165.000 zusätzlichen Arbeitslosen rechnet Habeck nun. Sollten im Winter zusätzlich Menschen aus der Ukraine wegen der zerbombten Energieinfrastruktur ins beheizte Deutschland kommen, geht die Rechnung erst recht nicht auf. Im November könnte zudem das Bundesverfassungsgericht den Solidarbeitrag für die obersten zehn Prozent der Einkommen kassieren. Ein Sieg Donald Trumps bei der US-Präsidentschaftswahl dürfte auch Deutschlands Kostenanteil an der Ukraine-Unterstützung in die Höhe treiben und den Handelskrieg zwischen China und den USA verschärfen. Das würde wiederum zulasten der deutschen Exportwirtschaft gehen.
Wer singt wessen Lied?
Die Hälfte des deutschen Wirtschaftswachstums gehe stets auf den Export zurück, erklärt Habeck einen maßgeblichen Grund der Rezession. Und auf die Nachfrage aus dem Ausland habe die Bundesregierung nun einmal keinen Einfluss. Als zweiten wichtigen Grund für Deutschlands schrumpfende und bald auch nur schwach wachsende Wirtschaft nennt Habeck - wie immer - das Ende der für Deutschland besonders billigen Energieimporte aus Russland. Er unterstütze Vorschläge von Bundeskanzler Scholz zur Entlastung der Unternehmen beim Energiepreis. Ob da aber auch die FDP mitmacht, ist unklar. Und: Woher soll das Geld für indirekte Strompreissubventionen in Milliardenhöhe kommen?
Habeck ist sehr daran gelegen, die Lage der deutschen Wirtschaft nicht schlechtzureden. Schon in seinen Eröffnungsworten verwendet der Vize-Kanzler viele Sätze darauf, die Stärken des Wirtschaftsstandorts zu betonen. Die Regierung habe es zudem geschafft, die Inflation und die Energiepreise nach heftigen Ausschlägen nach oben wieder deutlich zu senken. So habe die Ampel die Voraussetzungen für das nun erwartete Wirtschaftswachstum geschaffen. Zudem halte er manche Lagebeschreibung für verzerrt. "Wir sollten nicht blind die Narrative derjenigen übernehmen, die ein Interesse daran haben, dass das Land seine eigene Kraft und sein Selbstbewusstsein verliert", sagt Habeck mit Blick auf populistische Parteien und ausländische Desinformation. Man müsse sich "immer fragen, wessen Lied man an der Stelle singt".
Wie weit die Einschätzungen zur Ursache der Rezession auseinandergehen, zeigt sich in einer aktuellen Stunde, die auf Antrag von CDU und CSU am Nachmittag im Bundestag stattfindet. Die neuen Wachstumsprognosen hätten "eine historische Dimension für unser Land", sagt Julia Klöckner, wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion. Der von der Bundespressekonferenz ins Plenum herübergeeilte Habeck muss sich von Klöckner einiges anhören. "300.000 Industriearbeitsplätze sind in jüngster Zeit in Deutschland verloren gegangen", sagt Klöckner. Die Ampel-Politik sei ein "Wohlstandsvernichter". Die Befunde der Abgeordneten von AfD, BSW und Linken fallen genauso oder noch drastischer aus.
Weder Habecks Erklärungen zu den strukturellen Problemen Deutschlands, die sich schon vor der Ampel-Regierungszeit angehäuft hätten, noch externe Faktoren wie den Krieg in der Ukraine und die schwache Nachfrage aus China lassen die Oppositionsabgeordneten gelten. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bescheinigt Habeck "Mikromanagement", wo die Wirtschaft doch vor allem Freiheit von Überregulierung und hohen Steuerlasten brauche. Linnemann fordert eine "Agenda 2030", Habeck würde am liebsten mit einer reformierten Schuldenbremse massive Investitionen auslösen. Mit seiner Einschätzung, insgesamt gute Arbeit zu machen, steht Habeck jenseits seiner eigenen Fraktion an diesem Tag sehr allein da.