
Überblick
Union und SPD wollen auf die veränderte Weltlage mit einem riesigen Finanzpaket reagieren, noch bevor eine schwarz-rote Koalition steht. Die dafür notwendigen Mehrheiten sind aber keineswegs sicher - und es drohen Klagen.
Jetzt soll alles ganz schnell gehen: Für ihr schuldenfinanziertes Milliardenpaket für Verteidigung und Infrastruktur wollen Union und SPD den alten Bundestag zusammenkommen lassen, um über ihre Pläne zu entscheiden - auch, weil die Sitzverteilung im nächsten Parlament eine Zwei-Drittel-Mehrheit schwierig macht und eine Blockade von Linkspartei oder AfD droht.
Die Grundgesetzänderungen sollen am 13. März ins Plenum eingebracht und am 18. März vom Bundestag beschlossen werden. Doch auch in der alten Konstellation wird das Vorhaben kein Selbstläufer. Ein Überblick über die noch ausstehenden Hürden und mögliche Fallstricke:
Die Mehrheit, die wackelt
Sowohl das geplante Sondervermögen für Infrastruktur in Höhe von 500 Milliarden Euro als auch die Ausnahmen für Verteidigungspolitik in der Schuldenbremse müssen mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen werden, weil es dafür einer Änderung des Grundgesetzes bedarf. Union und SPD kommen im alten Bundestag zusammen auf 403 Sitze, die notwendige Mehrheit liegt aber bei 489 Stimmen. Es kommt also auf die Grünen (117 Sitze) oder die FDP (90 Sitze) an.
Die FDP zeigt sich beim Punkt Verteidigung gesprächsbereit, nicht aber bei den Sonderschulden. Vor der Wahl hatten die Liberalen eine Aufweichung der Schuldenregeln abgelehnt. Die Grünen lassen bisher offen, wie sie sich verhalten. Beide Parteien kritisieren die Union für gebrochene Wahlversprechen und die Kehrtwende der eigenen Positionen.
Die Grünen betonten zwar vor der Wahl, dass sie auch in schwierigen Zeiten Verantwortung übernehmen wollten. Und inhaltlich ist das Milliardenpaket auf Linie der Grünen. Doch der Unmut in der Fraktion ist trotzdem groß: Denn zum einen war es der als Wirtschaftsminister scharf kritisierte Robert Habeck, der vor mehr als einem Jahr ein schuldenfinanziertes Sondervermögen vorgeschlagen hatte - und mit seinem Vorstoß scheiterte. Zum anderen haben CDU und CSU einen harten Wahlkampf gegen die Grünen geführt und setzen ihre Angriffe auch nach der Wahl fort.
Sogar Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) warnt nun insbesondere CSU-Chef Markus Söder: "Ich erwarte jetzt auch Respekt aus der Union gegenüber den Vertreterinnen und Vertretern der Grünen, wenn sie diesen Weg aus staatspolitischer Verantwortung mitgehen", sagte Günther der Zeitung Welt. Söder hatte es beim politischen Aschermittwoch in Passau als zentralen Erfolg der CSU gewertet, dass die Grünen nicht an einer neuen Bundesregierung beteiligt werden. Dem scheidenden Wirtschaftsminister Habeck rief er zu: "Goodbye, gute Reise, auf Nimmerwiedersehen!"
Doch auch intern muss Schwarz-Rot die Stimmen zusammenhalten. Berichten zufolge gibt es innerhalb der Unionsfraktion nicht nur Zustimmung, weil noch vor wenigen Wochen neue Schulden - insbesondere in diesem Ausmaß - ausgeschlossen wurden. Und: In den Sondierungsgesprächen sei man der SPD sehr weit entgegen gekommen, etwa bei der Schuldenbremse. Ob und welche Zugeständnisse die Sozialdemokraten im Gegenzug gemacht haben, ist unbekannt. Dass die eigene Fraktion das Vorhaben von Friedrich Merz scheitern lässt, scheint allerdings unwahrscheinlich: Es käme einer Demontage noch vor dem Amtsantritt als Kanzler gleich.
Der Bundesrat, der zustimmen muss
Sollte der Bundestag den anvisierten Änderungen im Grundgesetz zustimmen, muss das auch noch der Bundesrat am 21. März tun. Auch dort sind die Mehrheitsverhältnisse keineswegs einfach, auch dort braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Für eine Zustimmung der Länder spricht, dass sie 100 Milliarden Euro aus dem sogenannten Sondervermögen bekommen sollen und künftig - wie bislang nur der Bund - jährlich bis zu 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung an neuen Schulden aufnehmen dürfen.
In den meisten Ländern gilt die Regel, dass sich Landesregierungen im Bundesrat enthalten müssen, wenn Koalitionen sich nicht auf eine Position einigen können. Stimmenthaltungen wirken sich dann wie ein Nein aus. Wird uneinheitlich abgestimmt, so ist die Abstimmung dieses Landes ungültig.
Rechnerisch könnte eine komplizierte Gemengelage entstehen. Die Anzahl der Stimmen eines Bundeslandes richtet sich nach der Einwohnerzahl - höchstens sechs, mindestens aber drei pro Bundesland. Im Bundesrat ist bei insgesamt 69 Stimmen eine Zweidrittel-Mehrheit mit 46 Stimmen erreicht. Sind sich SPD, Union und Grüne in allen Ländern einig, kommen sie aber nur auf 41 Stimmen.
Das entscheidende Problem könnte deswegen ausgerechnet in Bayern (sechs Stimmen) entstehen, wo Söder zusammen mit den Freien Wählern (FW) regiert. Nur Bayern hat von den übrigen Ländern alleine genug Stimmen, um die Mehrheit zu beschaffen. Sollten sich die Freien Wähler querstellen, könnte das schwarz-rote Milliardenvorhaben an der Landesregierung von Söder scheitern - oder die bayrische Koalition in Schwierigkeiten geraten. Bisherige Äußerungen von FW-Chef Hubert Aiwanger zu den Plänen von Union und SPD klangen bislang eher kritisch: "Anstatt Strukturprobleme der Wirtschaft lösen und Sozialmissbrauch korrigieren, mit Schulden alles zukleistern. #Wählertäuschung", schrieb er auf X.
Sollte es mit Grünen oder Freien Wählern in den Ländern zu Problemen kommen, spielen auch die Linke, das BSW und die FDP eine Rolle - sie alle sind an Landesregierungen beteiligt und machen die Mehrheitsfindung sicher nicht einfacher. Die Linke könnte dafür sorgen, dass Bremen und Mecklenburg-Vorpommern (je drei Stimmen) nicht zustimmen. Die FDP regiert in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt mit (je vier Stimmen). Das BSW ist an den Regierungen in Thüringen und Brandenburg beteiligt (je vier Stimmen). Das BSW hat auch einen Einfluss auf die Minderheitsregierung in Sachsen (vier Stimmen).
Die Stimmenverhältnisse im Bundesrat.
Die Parteien, die klagen könnten
Sowohl die Linke als auch die AfD haben mögliche Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht in Erwägung gezogen. Die Fraktion der AfD teilte mit, sie habe Bundestagspräsidentin Bärbel Bas bereits mit anwaltlichem Schreiben aufgefordert, die geplanten Sondersitzungen abzusagen. Deren Einberufung sei nichtig.
Die Fraktion bezweifle grundsätzlich, dass Bas den Bundestag in seiner alten Zusammensetzung zu weiteren außerordentlichen Sitzungen einberufen dürfe, zumal es sich bei den geplanten Finanzbeschlüssen nicht um eine Notlage handele. Sollte Bas der Aufforderung der AfD-Fraktion nicht nachkommen, würden Fraktion und einzelne Abgeordnete das Bundesverfassungsgericht anrufen.
Grundsätzlich ist der Bundestag auch nach einer Wahl entscheidungsfähig, solange sich der neue Bundestag noch nicht konstituiert hat, was erst am 25. März geschehen soll. Eine Abstimmung im alten Bundestag ist zwar durchaus ungewöhnlich und wird aus demokratischen Gründen kritisiert - verfassungskonform ist sie aber wohl trotzdem.
Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, sagte den Zeitungen der Funke-Gruppe, er habe juristisch "überhaupt keine Bedenken". Papier verwies auf Artikel 39 des Grundgesetzes, wonach die Wahlperiode mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages endet. "Der jetzt amtierende Bundestag ist also noch in vollem Umfang demokratisch legitimiert."
Allerdings könnte das Vorgehen im Detail juristische Angriffspunkte bieten. So pocht das Bundesverfassungsgericht in Urteilen immer wieder darauf, dass das Parlament ausreichend Beratungszeit haben müsse - und die geplante Neuverschuldung in historischem Ausmaß ist eine Entscheidung von erheblicher Tragweite.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Heilmann hatte etwa im Juli 2023 eine einstweilige Anordnung beantragt, um dem Bundestag die abschließende Beratung und Abstimmung über das Gebäudeenergiegesetz - besser bekannt als Heizungsgesetz - zu untersagen, wenn der Gesetzentwurf den Abgeordneten nicht mindestens 14 Tage vorher schriftlich vorliegt. Diese Frist wurde damals nicht eingehalten - und tatsächlich stoppte das Bundesverfassungsgericht das Verfahren vorerst.
(Quellen: Reuters, dpa)