Nach der Tötung von Hamas-Chef Sinwar hofft man im Westen auf ein baldiges Ende des Krieges zwischen der Terrororganisation und Israel. US-Experten zufolge ist Sinwar nur schwer zu ersetzen. Seine beiden aussichtsreichsten Nachfolger sollen sehr unterschiedliche Positionen vertreten.
Nach der Tötung von Hamas-Chef Jahja Sinwar haben führende Politiker des Westens die Hoffnung auf ein baldiges Schweigen der Waffen im Gaza-Krieg bekundet. US-Präsident Joe Biden sagte bei seinem Besuch in Berlin, der Tod Sinwars sei "eine Möglichkeit, um den Weg zum Frieden zu beschreiten". Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von einer "konkreten Aussicht" auf einen Waffenstillstand. Ein Hamas-Vertreter warnte jedoch, seine Organisation könne "nicht eliminiert" werden.
Die israelische Armee hatte am Donnerstag mitgeteilt, sie habe den Chef der radikalislamischen Palästinenserorganisation bei einem Einsatz im südlichen Gazastreifen getötet. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte am späten Donnerstagabend in einer Videoansprache zu Sinwars Tod: "Das ist zwar nicht das Ende des Krieges in Gaza, aber der Anfang vom Ende." Zugleich bot er den verbliebenen Hamas-Terroristen Straffreiheit an, wenn sie die Waffen niederlegen und die noch etwa 100 Geiseln freilassen.
Die Hamas bestätigte Sinwars Tod dann am heutigen Nachmittag in einer Videobotschaft. "Wir trauern um den großen Anführer, den als Märtyrer gestorbenen Bruder", sagte darin der in Katar ansässige Hamas-Vertreter Chalil al-Hayya. Die verbliebenen Geiseln "werden nicht zurückkehren, bevor die Aggression gegen unser Volk im Gazastreifen aufhört". Einige Stunden zuvor hatte Bassem Naim, ein hochrangiges Mitglied des Hamas-Politbüros, erklärt: "Offenbar glaubt Israel, dass das Töten unserer Anführer das Ende unserer Bewegung und des Kampfes des palästinensischen Volkes bedeutet." Die Hamas sei aber mit jedem Tod eines ihrer Anführer "stärker und beliebter" geworden.
Nächster Hamas-Chef sitzt wahrscheinlich in Katar
Der 61-jährige Sinwar galt als Drahtzieher des Hamas-Großangriffs auf Israel am 7. Oktober 2023, der den Gaza-Krieg ausgelöst hatte. Das israelische Militär teilte mit, Sinwar sei am Mittwoch bei einem Feuergefecht in Rafah nahe der ägyptischen Grenze getötet worden. Die Nachricht von seinem Tod wurde aber erst am Donnerstag nach DNA-Tests verbreitet. Seine Leiche wurde nach Polizei-Angaben für weitere Untersuchungen nach Tel Aviv gebracht.
Wer die Hamas in Zukunft anführen wird, ist noch unklar. "Auf politischer Ebene gibt es in der verbliebenen Führung der Hamas in Gaza niemanden, der in der Lage wäre, die Nachfolge Sinwars anzutreten", schrieb die US-Denkfabrik Washington Institute in einer aktuellen Analyse. Der nächste Chef der Organisation werde daher wahrscheinlich aus den Reihen der Auslandsfunktionäre in Katar kommen. Die beiden wahrscheinlichsten Kandidaten für die Nachfolge haben demnach unterschiedliche Ansichten zu einem möglichen Waffenstillstand mit Israel und zu den regionalen Allianzen der Hamas, insbesondere zum Iran. So würde Chalil al-Hayya den Weg Sinwars wahrscheinlich fortsetzen, während der andere aussichtsreiche Kandidat, Chalid Maschal, über keine tiefen Beziehungen zum Iran verfüge und möglicherweise eher an einer Feuerpause Interesse habe.
"Auch die Auswirkungen von Sinwars Tötung auf die öffentliche Meinung in Gaza müssen beobachtet werden", schrieb das Institut. "Die hohen Opferzahlen des Krieges haben offenbar zu wachsender Wut auf die Hamas und Israel geführt, und die Angst vor der Terrorgruppe ist ebenfalls ungebrochen. Die Tötung wird einige Gaza-Bewohner wahrscheinlich ermutigen, ihre Unzufriedenheit offener zu äußern."