Ein zu großen Teilen staatlich finanzierter Fonds hat Anteile an der Datarade GmbH – jenem Marktplatz für Datenhändler, der in diesem Jahr schon drei Mal eine Rolle bei Datenschutz-Skandalen spielte. Jetzt fordern Bundestagsabgeordnete von SPD, CDU, Grünen und Linke Konsequenzen.
Dieser Text ist Teil einer Reihe. Hier findest du alle Veröffentlichungen zu den Databroker Files von BR und netzpolitik.org.
Nach Recherchen von netzpolitik.org und dem Bayerischen Rundfunk (BR) zum unkontrollierten Handel mit Standortdaten gerät ein Datenmarktplatz aus Deutschland zunehmend in die Kritik: In der Datarade GmbH steckt nämlich öffentliches Geld durch einen etwa zur Hälfte vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) getragenen Fonds. Bundestagesabgeordnete von SPD, CDU, Grüne und Linke fordern jetzt Konsequenzen.
Datarade spielt eine wichtige Rolle im weltweiten Datenhandel: Über die von der deutschen Firma betriebene Plattform datarade.ai konnte netzpolitik.org etwa Kontakt zu einem US-Datenhändler erhalten, der 3,6 Milliarden Standortdaten als Probedatensatz verschenkte. Daraus ließen sich detaillierte Bewegungsprofile ableiten, auch von Personen aus sicherheitsrelevanten Bereichen wie Militär, Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten.
Im Januar gab es ähnliche Enthüllungen aus den Niederlanden; im Juni aus der Schweiz. Das heißt, bereits zum dritten Mal in diesem Jahr konnten Journalist*innen nachweisen: Über den deutschen Datenmarktplatz werden Daten angeboten, die nicht nur die Privatsphäre von Millionen Menschen verletzen, sondern auch die nationale Sicherheit in mehreren Ländern gefährden können.
Im Jahr 2019 investierte der High-Tech Gründerfonds eine Million Euro in Datarade. Bis heute hält der Fonds nach eigener Auskunft weniger als 20 Prozent an dem Unternehmen.
Insgesamt hat der HTGF ein Volumen von 1,4 Milliarden Euro, aufgeteilt auf vier unterschiedliche Fonds. Der an Datarade beteiligte HTGF III ist nach Auskunft des Wirtschaftsministeriums (BMWK) rund 320 Millionen Euro schwer. Davon stammen 170 Millionen Euro aus Mitteln des BMWK.
Datarade nahm Angebot offline
Auf Anfrage hatte das Haus von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) mitgeteilt, den Vorgang sehr ernst zu nehmen, auf Investitionsentscheidungen der Fonds jedoch keinen Einfluss zu nehmen.
Datarade selbst betonte, keine gesetzlichen Vorgaben verletzt zu haben. Die ausgelösten, öffentlichen Bedenken nehme man „sehr ernst“.
Mit Blick auf den US-Händler Datastream schrieb der Marktplatz: „Vorsorglich haben wir die betreffenden Inhalte des Datenanbieters in Bezug auf Standortdaten von unserer Plattform entfernt, bis weitere Erkenntnisse in der Angelegenheit vorliegen.“ Als er sich ein Verkäufer-Profil bei Datarade anlegte, habe der US-Anbieter explizit angegeben, mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) „konform zu sein“. Datarade unternehme „alle zumutbaren Anstrengungen, um rechtswidrige Inhalte auf der Plattform von Vornherein zu verhindern.“
Kassautzki (SPD): „Erwarte lückenlose Aufklärung“
„Ich erwarte von allen Beteiligten eine lückenlose Aufklärung und Transparenz“, fordert SPD-Abgeordnete Anna Kassautzki, stellvertretende Vorsitzende im Ausschuss für Digitales, auf Anfrage von netzpolitik.org und BR.
Wer öffentliche Gelder erhalte, trage eine Verantwortung, so Kassautzki. „Dieser Verantwortung wurde nicht nachgekommen.“ Es sei allgemein bekannt, dass der Handel mit personenbezogenen Daten illegal ist. „Wer sich nun darauf zurückzieht, dass man lediglich eine Plattform stelle, dem unterstelle ich, dass wissentlich und willentlich unter Ausnutzen einer gesetzgeberischen Lücke gehandelt wurde.“
Handlungsbedarf sieht die Abgeordnete zunächst beim Bundestag selbst. „Wir als Gesetzgeber müssen nachschärfen und auch die Vermittlung solcher Daten unter Strafe stellen.“ Mit Blick auf das Investment in Datarade unter anderem durch Geld eines Bundesministeriums schreibt die Abgeordnete: „Darüber hinaus erwarte ich auch von der Bundesregierung, dass Investments auch unter ethischen Gesichtspunkten betrachtet werden und diese in Kriterien mit aufgenommen werden, damit ein solcher Fall sich nicht wiederholen kann.“
Henrichmann (CDU): „Bundesregierung muss unverzüglich aktiv werden“
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Marc Henrichmann sieht die Bundesregierung in der Pflicht für mehr Datenschutz. „Wenn Millionen deutscher Bürgerinnen und Bürger betroffen sind, muss die Bundesregierung unverzüglich aktiv werden, um diese vor Datenabgriffen zu schützen. Der Schutz persönlicher Daten und die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger haben die höchste Priorität und stehen unter staatlichem Schutz“, schreibt der Abgeordnete. Er ist Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium, das die Geheimdienste des Bundes beaufsichtigt, sowie im Ausschuss für Inneres.
„Es ist absolut inakzeptabel, dass solche sensiblen Datensätze von ausländischen Diensten im Rahmen hybrider Kriegsführung genutzt werden könnten“, schreibt Henrichmann weiter. Es sei die Pflicht der Bundesregierung, „den Sachverhalt lückenlos aufzuklären und dem Parlament notwendige gesetzgeberische Konsequenzen vorzuschlagen.“
Henrichmann hat auch Forderungen mit Blick auf die Datarade-Investition durch den High-Tech Gründerfonds. Er erwarte, „dass im Rahmen der vom BMWK angekündigten Gespräche mit dem betroffenen Unternehmen Lösungen gefunden werden, die die Sicherheitsbedürfnisse der Bundesrepublik garantieren“. Die Bundesregierung müsse sicherstellen, dass alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden, um die Integrität und Sicherheit der Menschen und ihrer Daten zu gewährleisten.
Renner (Linke): „Rückzug aus solchen Fördermodellen“
Konkrete Konsequenzen fordert Martina Renner (Die Linke): „Wenn einem Unternehmen die zumindest fahrlässige Beteiligung an massiven Datenschutzproblemen nachgewiesen werden kann, muss jede staatliche Beteiligung unterbleiben“, schreibt die Bundestagsabgeordnete auf Anfrage von netzpolitik.org und BR.
Die Innenpolitikerin mahnt angesichts des Skandals ein grundsätzliches Umdenken bei der Tech-Förderung des Bundes an. „Die ganze Rationalität einiger Investments des HTGF folgt dem Mantra des ‚Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts‘.“ Das gelte nicht nur für Datarade, sondern auch einige andere der geförderten Start-ups. „Gefördert wird nur, was zukünftige Rentabilität verspricht“, so Renner. „Das ist als Steuerungskriterium für die Verwendung öffentlicher Mittel zumindest zweifelhaft.“ Wenn davon Unternehmen wie Datarade profitieren würden, könne es nur eins geben: „den Rückzug aus solchen Fördermodellen“.
Datarade – geschickte Geschäfte im Graubereich
Renner kritisiert zudem eine Rechtslücke, die durch die Veröffentlichung von netzpolitik.org und BR deutlich wurde: „Databroker sind nicht verpflichtet, sowohl die rechtskonforme Erhebung der über sie gehandelten Daten als auch ihre anschließende Verwendung zu prüfen“, kritisiert Renner. „Die regulatorische Lücke an dieser Stelle muss geschlossen werden, datenschutzrechtliche Verantwortung muss an jeder Stelle der Verarbeitung sichergestellt sein.“
Auch müssten Bürger*innen die Möglichkeit erhalten, bei Datenhändlern selbst Auskunft zur Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten zu erhalten. „Wenn eine solche Transparenz solche Geschäftsmodelle unmöglich macht, müssen sie eben unterbleiben. Gewerbefreiheit ist kein Freifahrtschein für sozialschädliches Verhalten.“
Grützmacher (Grüne): Aufklärung im Digital-Ausschuss
Eher vorsichtig positioniert sich Digital-Politikerin Sabine Grützmacher von den Grünen. Es sei wichtig, dass die Bundesregierung nach Jahren des Stillstands in digitale Infrastruktur investiere, schreibt die Abgeordnete. „Gleichzeitig darf Bundesförderung nie ein Freibrief sein.“
Im Umgang mit Daten seien höchste Standards geboten; daran müssten sich alle Akteure halten. Sie selbst habe das Wirtschaftsministerium um Informationen gebeten, um den Fall beurteilen zu können. „Ich gehe davon aus, dass wir als Parlamentarier*innen hier bald informiert werden und wir gemeinsam mit allen Beteiligten für Transparenz sorgen können“, schreibt Grützmacher, die ebenfalls Mitglied im Digitalausschuss ist. „Bislang habe ich das Aufklärungsinteresse des Ausschusses als sehr hoch erlebt und gehe davon aus, dass wir im Fall der Fälle tätig werden.“
Gerne hätten wir auch die Meinung der FDP abgebildet. Ein von uns angefragter Digital-Politiker der Fraktion hat auf unsere Presseanfrage jedoch nicht reagiert.
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