Der Soli sollte die Lasten der Wiedervereinigung abfedern. Aber kostet die Einheit heute noch Geld? Ein Urteil aus Karlsruhe bewahrt die Koalitionsverhandlungen in Berlin vor Problemen.
Kurzzeitig richteten sich bei den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD in Berlin alle Augen nach Karlsruhe: Darf der Soli bleiben - oder müssen die Unterhändler ein neues Finanzloch von jährlich 12 bis 13 Milliarden Euro stopfen? Oder gar mehr als 65 Milliarden Euro an die Steuerzahler zurücküberweisen? Das Ergebnis: Aufatmen.
Die Gespräche der Unterhändler, die gerade an einer neuen Bundesregierung schrauben, dürfte die Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts aber trotzdem bewegen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Urteil:
Worum genau ging es?
Um die Zukunft des Solidaritätszuschlags, eine mit der Finanzierung der Wiedervereinigung begründete Abgabe, die in den Bundeshaushalt fließt. Er wird als Zuschlag auf die Einkommens- und Körperschaftsteuer sowie Kapitalerträge erhoben und beträgt 5,5 Prozent der jeweiligen Steuer.
Bis Ende 2020 mussten fast alle Bürgerinnen, Bürger und Betriebe in Ost und West den Solidaritätszuschlag zahlen. Seit 2021 zahlen ihn nur noch Besserverdienende, Unternehmen und Kapitalanleger. Für 90 Prozent der Steuerpflichtigen wurde er abgeschafft, für weitere 6,5 Prozent zumindest zum Teil. Fällig wird die Abgabe nach Angaben des Finanzministeriums für alle Ledigen mit einem zu versteuernden Einkommen ab etwa 73.500 Euro. Der volle Soli ist ab einem zu versteuernden Einkommen von rund 114.300 Euro zu zahlen.
Wer hat dagegen geklagt und warum?
Sechs FDP-Politiker hatten Verfassungsbeschwerde eingereicht, darunter der ehemalige Fraktionsvorsitzende Christian Dürr und die ehemaligen Finanzstaatssekretäre Florian Toncar und Katja Hessel. Sie argumentierten, der Zuschlag sei mit Auslaufen des sogenannten Solidarpakts II Ende 2019 verfassungswidrig.
Mit diesem Pakt flossen finanzielle Sonderleistungen des Bundes zur Bewältigung der Folgen der deutschen Teilung an die ostdeutschen Bundesländer. So sollte nicht nur die Infrastruktur ausgebaut, sondern auch die Finanzkraft der Kommunen gestärkt und die Wirtschaft gefördert werden. Die Kläger argumentierten zudem, dass Bezieher verschiedener Einkommen ungleich behandelt würden, weil die Abgabe 2021 nur für einen Teil der Bürger abgeschafft wurde.
Was hat das Gericht entschieden?
Das Bundesverfassungsgericht wies die Beschwerde zurück. Der Bund habe durch die Wiedervereinigung weiterhin zusätzlichen Finanzbedarf, erklärte das Gericht. (Az. 2 BvR 1505/20) So hatte auch die inzwischen nur noch geschäftsführende Bundesregierung argumentiert und als Beispiele Kosten bei der Rentenversicherung und am Arbeitsmarkt genannt.
Allerdings betonten die Karlsruher Richterinnen und Richter auch, eine Ergänzungsabgabe wie der Soli dürfe nicht zeitlich unbegrenzt erhoben werden. Sobald der Mehrbedarf wegfalle, könne die Abgabe verfassungswidrig werden.
Welche Folgen hat das für die Steuerzahler?
Für die dürfte sich erst einmal nichts verändern. Die Abgabe darf in diesem Jahr weiter erhoben werden. Bis einschließlich Februar sind laut Finanzministerium bereits 1,5 Milliarden Euro geflossen. Für das ganze Jahr kann der Bund nach Prognose der Steuerschätzer rund 13,1 Milliarden Euro einplanen. Wie es weitergeht mit dem Soli ist dann eine politische Entscheidung der künftigen Bundesregierung, also wahrscheinlich von Union und SPD.
Was heißt das für die Koalitionsverhandlungen?
Vor allem die Union ist nach der Entscheidung in einer politisch interessanten Position. Denn sie hat einerseits vor der Bundestagswahl damit geworben, den Soli vollständig abschaffen zu wollen. Andererseits tun sich die Unterhändler von Union und SPD ohnehin schon schwer mit Sparen - da weitere Milliarden zusammenkratzen zu müssen, würde die Koalitionsverhandlungen deutlich erschweren. Die SPD würde eine freiwillige Abschaffung des Soli auch nicht mitmachen.
Die FDP-Politiker fordern die Union nun auf, den Zuschlag freiwillig abzuschaffen. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann drängt stattdessen auf Korrekturen bei der Einkommens- und Körperschaftsteuer, um Betriebe und Bürger zu entlasten. Doch gerade bei diesem Thema gibt es wenig Einigkeit in der werdenden Koalition: Bisher können sich Union und SPD dem Vernehmen nach nicht einmal einigen, wann die im Sondierungspapier verabredete Unternehmensteuerreform greifen soll. Dass sie sich noch mehr vornehmen, ist wohl unwahrscheinlich.