In Sachsen-Anhalt säubert die AfD ihren Landesverband und baut einen Herausforderer für CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff auf. Ziel: die erste AfD-Landesregierung.
Der Vorsitzende der AfD in Sachsen-Anhalt, Martin Reichardt, hatte eine zentrale Botschaft für seine Landespartei: Nach den Skandalen und inneren Zerwürfnissen, nach den Jahren der Ausgrenzung, nach der Einstufung als gesichert extremistisch, sei es jetzt, endlich, Zeit für die Macht.
"Wir haben uns vor Deutschland nicht zu schämen", rief Reichardt auf dem Landesparteitag am vergangenen Wochenende. Für die Landtagswahl im kommenden Jahr gebe es einen klaren Plan: "45 Prozent holen und den Ministerpräsidenten stellen!" Die Delegierten jubelten.
Es wäre die erste AfD-Regierung Deutschlands. Der endgültige Dammbruch.
Wähler strömen zur AfD
Dafür, dass es klappt, haben die Wählerinnen und Wähler bei der Bundestagswahl einige Argumente geliefert. 37,1 Prozent hat die AfD in Sachsen-Anhalt geholt. Ihr drittbestes Ergebnis bundesweit. Die Landtagswahl ist nur etwas mehr als ein Jahr hin.
37,1 Prozent sind noch weit entfernt von 45 Prozent. Aber eben auch nicht so weit.
Über 40 Prozent beginnt der Bereich, wo es für eine Partei schon zur absoluten Mehrheit im Landtag reichen kann – und damit zur Alleinregierung. Je mehr Parteien unter die Fünf-Prozente-Hürde fallen, desto leichter wird es.
In Thüringen und vor allem in Sachsen hatte die Partei vergangenes Jahr ähnliche Träume. Dennoch blieb ihr am Ende nur die Rolle als größte Oppositionsfraktion. Aber Sachsen-Anhalt ist – zusammen mit Thüringen – das politische Experimentierfeld der Republik.
Die AfD kam hier schon 2016 aus dem Stand auf 24,3 Prozent. Damals formte CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff Deutschlands erste schwarz-rot-grüne Kenia-Koalition. 2021 entstand die erste schwarz-rot-gelbe Deutschland-Koalition seit den 1950er-Jahren.
Social-Media-Star Siegmund
Der Mann, der Haseloff ablösen soll, begrüßte in Magdeburg alle Journalisten einzeln und per Handschlag. Ulrich Siegmund bemühte sich um einen professionellen Auftritt. Er ist 34 Jahre jung und führt doch schon die AfD-Landtagsfraktion.
Siegmund bringt etwas mit, was einen Ministerpräsidentenbonus aushebeln kann: Bekanntheit. Bei der Wahl vor fünf Jahren kannte gerade mal ein Viertel aller Wahlberechtigten den damaligen AfD-Spitzenkandidaten Oliver Kirchner. Siegmund aber gehört in sozialen Medien zu den reichweitenstärksten Politikern bundesweit.
Los ging das in der Corona-Pandemie, als er in Landtagsreden echte und vermeintliche Widersprüche der Schutzmaßnahmen aneinanderreihte. Videos von ihm heißen etwa "Bin ich der letzte Deutsche im Land?" Er setzt auf Information, Emotion und Agitation.
Noch am Abend des Anschlags von Magdeburg schaltete Siegmund wieder die Handy-Kamera an. Mit brüchiger, aufgekratzter Stimme sagte er: Wer auf einen Weihnachtsmarkt gehe, bezahle dafür mit seinem Leben. "Seit die CDU 2015 unsere Werte, unsere Freiheit verraten hat, müssen wir mit solchen Bildern leben." 2,6 Millionen Mal wurde das Video bisher angesehen.
Für Regierungsverantwortung reicht so ein Auftritt noch nicht. In der Partei gilt es dennoch als ausgemacht, dass Siegmund ihr Spitzenkandidat wird. Die Vorbereitung für eine öffentliche Aufstellung laufen. Er selbst will sich dazu noch nicht äußern.
Dass Landeschef Reichardt die Rolle für sich beansprucht, erscheint zumindest aus jetziger Sicht nicht wahrscheinlich. Der Bundestagsabgeordnete führt zwar den Verband seit sieben Jahren und sitzt im Bundesvorstand. Doch er schließt Ambitionen auf die Magdeburger Staatskanzlei für sich aus. Dem stern sagte er: "Ich bin Bundespolitiker – und dort werde ich bleiben."
Bollwerk namens Haseloff
Schon jetzt ist klar, dass es im Sommer 2026 auf die CDU ankommen wird. Ministerpräsident Reiner Haseloff grenzt sich scharf von der AfD ab. Und er gibt sich dieser Tage optimistisch: Die Leute, sagt er, würden am Ende sicher noch zwischen Magdeburg und Berlin unterscheiden.
Bei der Landtagswahl vor vier Jahren hatte Haseloff die AfD überraschend deutlich deklassiert. Er gilt seitdem als Bollwerk gegen die Machtübernahme durch die Extremen. Doch die Ergebnisse der Kommunal-, Europa- und Bundestagswahlen kratzen an diesem Nimbus: Denn hier lag die AfD immer vorn.
Aus seiner Partei kommen deshalb auch andere Töne. "Die Leute wählen die AfD so lange, bis sie in der Verantwortung ist", sagt einer. So, als sei dies ein Automatismus.
Mit dem BSW hätte die AfD notfalls womöglich einen anderen Partner zur Seite. Der Landesverband hat sich bislang nicht dazu positioniert, wie er 2026 mit der AfD umzugehen gedenkt. Jedenfalls lebt die Wagenknecht-Partei in Sachsen-Anhalt noch. Sie kam bei der Bundestagswahl auf 11,2 Prozent.
Haseloff hält dagegen. Er wird zur Wahl 72 sein. 2021 hatte eigentlich sein letzter Antritt sein sollen. Er lässt sich aktuell offen, ob er doch noch einmal kandidiert. In der CDU wünschen sich das viele. Sie bezweifeln, dass Landesparteichef Sven Schulze als Spitzenkandidat die AfD besiegen könnte.
Aber auch der Ministerpräsident schwächelt. Zwar arbeitet seine Koalition mit SPD und FDP ruhig zusammen. Doch die Rückschläge mehrten sich zuletzt. So kommt die Chipfabrik von Intel bei Magdeburg wohl doch nicht. Auch die Chemieindustrie des Landes steht unter erheblichem Druck. Und dem Anschlag von Magdeburg ging ein mehrfaches Behördenversagen voraus.
Skandale schrecken Wähler nicht
Viel Ballast im Kampf gegen die AfD. Die wiederum setzt darauf, dass ein CDU-Bundeskanzler Friedrich Merz in Berlin nicht besser regiert als Olaf Scholz. Und dass die Wähler wieder einmal die ganzen Skandale und Streitereien vergessen.
Davon gab es auf dem Landesparteitag erneut welche. Das den Landesverband dominierende Netzwerk des ehemaligen völkischen Flügels versuchte, seine letzten Widersacher auszuschalten. Der Bundestagsabgeordnete Kay-Uwe Ziegler wurde aus dem Landesvorstand gewählt. Gegen einen unliebsamen Landtagsabgeordneten läuft ein Parteiausschlussverfahren.
Und dann ist da noch die Klage gegen die Einstufung des Landesverbandes als gesichert rechtsextremistische Organisation. Die Delegierten beschlossen eine Satzungsänderung. Diese bekennt sich nun auch zu eingebürgerten deutschen Staatsbürgern und demokratischen Prinzipien.
Was davon zu halten ist, legte die Einbringungsrede durch Landesvorstand Christian Hecht nahe. Er sprach die Delegierten mit "Kameraden" an. Die AfD, so Hecht, sei die "Speerspitze im Freiheitskampf unseres Volkes gegen unsere Unterdrücker".